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ASIEN/867: Pakistan - Taliban warten auf Übernahme Afghanistans nach NATO-Abzug (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. November 2013

Pakistan: Taliban warten auf Übernahme Afghanistans nach NATO-Abzug

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Wachen vor Gefängnis nach Massenflucht von Taliban
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peschawar, 1. November (IPS) - Während sich die internationalen Truppen auf den Abzug aus Afghanistan Ende 2014 und die afghanischen Streitkräfte auf die Zeit danach vorbereiten, geht in den pakistanischen Grenzgebieten die Angst vor einem Erstarken militanter Gruppen um.

In den pakistanischen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) und in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa wächst die Sorge, dass insbesondere die 'Tehreek-e-Taliban Pakistan' (TTP) wieder an Boden gewinnen wird, die ihre Hochburg im Verwaltungsbezirk Waziristan im Süden der FATA hat. Ziel der TTP ist die landesweite Einführung der Scharia, dem islamischen Recht. Seit die inzwischen verbotene Gruppe 2007 erstmals in Erscheinung trat, hat sie Terrorakte gegen den pakistanischen Staat, Geheimdienste und zivile Ziele verübt.

Die Regierungsübernahme durch die Pakistanische Muslim-Liga PML-N unter Führung des vormaligen Premierministers Nawaz Sharif im vergangenen Mai gibt allerdings Anlass zur Hoffnung. Die Partei zeigt sich fest entschlossen, mit den Extremisten Frieden zu schließen.

Eine All-Parteien-Konferenz erteilte der Regierung am 9. September das Mandat, Friedensgespräche in die Wege zu leiten. Als weiteres Zeichen für Versöhnungsbereitschaft lässt die Regierung Gefangene frei.


Ex-Kricket-Star für Gespräche mit Taliban

Der Politiker und ehemalige Kricket-Star Imran Khan, der seit längerem für Verhandlungen mit den Taliban wirbt, hat seinen Forderungen seit dem Amtsantritt seiner Partei 'Tehreek-e-Insaaf' in Khyber Pakhtunkhwa im Mai noch mehr Nachdruck verliehen. "Der Krieg gegen das eigene Volk muss endlich aufhören", erklärte er. "Und wir sollten einen Ausweg aus dem US-geführten Krieg gegen die Taliban finden."

Pakistan ist seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ein Frontstaat im Krieg der USA gegen den Terrorismus. In jenem Jahr wurde das fundamentalistische Taliban-Regime in Kabul gestürzt. Zahlreiche ranghohe Mitglieder der Taliban und des Terrornetzwerks Al Qaeda kamen über die durchlässige, rund 2.400 Kilometer lange Grenze in den gebirgigen Westen Pakistans.

Schätzungsweise 50.000 Menschen wurden seither bei Terroranschlägen und Militäroperationen getötet, wie aus einem pakistanischen Geheimdienstbericht hervorgeht, der dem Obersten Gericht im März vorgelegt wurde.

Khan führt die derzeitige Situation auf die ausgedehnten Militäraktionen in den FATA zurück. Sie hätten nur noch mehr Terroristen generiert. Militärquellen zufolge hat die pakistanische Regierung 100.000 Soldaten in die FATA entsandt und dort seit 2001 mehr als 100 Militäroperationen durchgeführt. "Wir haben die Armee in alle sieben FATA-Distrikte geschickt, doch die Gewalt hat zugenommen und die Taliban sind noch immer aktiv", sagt Khan.

Suhil Shah, der internationale Beziehungen an der Universität von Peschawar studiert, wirft der TTP vor, in der Vergangenheit vier Friedensabkommen missachtet zu haben. "Auch dieses Mal wird sie keine Ausnahme machen", befürchtet er. "Einerseits sprechen sie über Frieden, doch andererseits eskaliert die Gewalt."

Auf einen doppelten Selbstmordanschlag auf eine Kirche in Peshawar, der Hauptstadt von Khyber Pakhtunkhwa, am 22. September folgte fünf Tage später ein Bombenattentat auf einen Bus. Sieben Tage später ging auf dem Qissa-Khwani-Markt eine Autobombe hoch. Am 16. September wurde der Justizminister der Provinz, Israullah Gandapur, bei einem Selbstmordanschlag vor seinem Haus in der Ortschaft Kullachi ermordet. Diese Vorfälle zeigen laut Shah, dass die Extremisten nicht friedensbereit sind und vor der Regierung Stärke demonstrieren wollen.


Islamisten machen Scharia zur Bedingung

TTP-Sprecher Shahidullah Shahid warf der Regierung derweil vor, nicht ernsthaft an Friedensgesprächen interessiert zu sein. "Wir werden mit der Regierung in Übereinstimmung mit unserer Agenda der islamischen Scharia verhandeln", sagte er. "Sollte sie dazu nicht bereit sein, werden wir unseren Kampf fortsetzen."

Laut Sagheer Ahmed, Professor an der Abdul-Wali-Khan-Universität in Mardan in Khyber Pakhtunkhwa, geht es den Taliban darum, den Friedensdialog hinauszuzögern. "Sie warten auf den Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan, denn sie sind fest davon überzeugt, dass ihre Kameraden im Nachbarland der bedrängten Regierung die Macht abnehmen werden."

Shahid hatte bereits gegenüber den Medien prognostiziert, dass "alle USA-freundlichen politischen Führer nach dem Abzug der US- und NATO-Truppen aus Afghanistan fliehen werden". Überdies hielten die afghanischen Taliban noch immer die Hälfte des Landes unter ihrer Kontrolle. Der afghanische Präsident könne seinen Amtssitz aus Furcht vor den Taliban nicht verlassen.

Major Khalid Khan, der bis zu seiner Pensionierung im Mai an Militäreinsätzen in den FATA teilgenommen hatte, fürchtet, dass die TTP nach dem Rückzug der internationalen Truppen unschlagbar sein wird. Er rechnet damit, dass die Kämpfer wie schon in Afghanistan und im Swat-Tal öffentliche Hinrichtungen durchführen werden. "Sie verfügen über reichlich Waffen und Munition. Mindestens ein Dutzend Waffenproduzenten in den FATA haben die Taliban regelmäßig beliefert."

Die Gebiete in Nord-Waziristan und Khyber, in denen sich die Fabriken befinden, stehen unter dem Einfluss der TTP. Etwa zehn Tage vor der Gewaltwelle in Peshawar, am 11. September, konnte die Polizei eine große Waffenlieferung auf dem Weg von den FATA nach Peshawar sicherstellen.

"Die Menschen wollen aber weder die Armee noch die Taliban in ihrem Umfeld, sie wollen Frieden", sagt Khan. Bewohner der Regionen berichten, dass sämtliche soziale Aktivitäten zum Erliegen gekommen sind. Auch Konzerte, die früher vor Hochzeiten stattfanden, seien seit dem Ausbruch der Gewalt nicht mehr möglich. (Ende/IPS/ck/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/10/taliban-waiting-to-take-over-from-the-u-s/

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IPS-Tagesdienst vom 1. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2013