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ASIEN/878: Thailand - Erstarkende Mittelschicht sagt korrupten Politikern den Kampf an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Januar 2014

Thailand: Demokratie als Selbstbedienungsladen - Erstarkende Mittelschicht sagt korrupten Politikern den Kampf an

ein Kommentar von Kalinga Seneviratne


Bild: © Kalinga Seneviratne/IPS

Protest in der Innenstadt von Bangkok
Bild: © Kalinga Seneviratne/IPS

Singapur, 22. Januar (IPS) - Die seit Monaten anhaltenden Straßenproteste in der thailändischen Hauptstadt Bangkok sind vor allem eins: Ausdruck der Unzufriedenheit einer in ganz Asien erstarkenden Mittelschicht. Die Bürger sind offenbar nicht länger bereit, den Missbrauch der Mehrparteien-Demokratien als Spielfeld für Korruption zu dulden und Volksvertreter zu tolerieren, die der Gesellschaft und ihrem Land nicht dienen.

"Seit mehr als 20 Jahren kommt in der thailändischen Demokratie eine inkompetente und korrupte Regierung nach der anderen an die Macht ", schrieb der politische Kommentator Voranai Vanijaka kürzlich in der Zeitung 'Bangkok Post'. "Viele Demonstranten auf den Straßen sind mit dem Demokratieprozess unzufrieden. Viele haben das Vertrauen verloren und wollen einen Neubeginn herbeiführen, indem sie die derzeitige Form der thailändischen Demokratie beseitigen und eine neue aufbauen."

In Indien hat der Unmut der städtischen Mittelschicht über die Korruption zu einem rasanten Aufstieg der 'Aam Aadmi'-Partei geführt, die als Partei des 'kleinen Mannes' gilt. Ein Jahr nach ihrer Gründung übernahm sie vor kurzem die Macht in der Landeshauptstadt Neu-Delhi. Ähnliche Entwicklungen sind in Staaten wie Indonesien, Sri Lanka und auf den Philippinen zu beobachten. Auch dort dienen viele Politiker vor allem sich selbst.

Thailands Anti-Korruptionsbewegung nahm vor zwei Monaten an Fahrt auf, als die regierende 'Phue Thai'-Partei von Regierungschefin Yingluck Shinawatra - der ersten Frau in dieser Position - ein Gesetz zugunsten einer Generalamnestie durch das Parlament bringen wollte. Damit sollten Politiker, die seit 2004 wegen Bestechlichkeit und anderer Vergehen im Amt verurteilt worden waren, freikommen.


Amnestiegesetz sollte Ex-Regierungschef entlasten

Die Regierung stellte das Vorhaben als Gesetz zur Versöhnung nach Jahren harter politischer Kämpfe zwischen den so genannten 'Gelbhemden' in den Städten, die die traditionellen Machteliten unterstützten, und den 'Rothemden' in ländlichen Gebieten vor allem im Nordosten des Landes dar. Dort leben etwa 70 Prozent der Wähler, die treu hinter der Shinawatra-Regierung stehen.

Auch wenn Politiker aller Lager von dem Amnestiegesetz profitieren sollten, wurde es in Thailand vor allem als Vorstoß gesehen, der es dem ehemaligen Premierminister und Yinglucks Bruder Thaksin Shinawatra ermöglicht hätte, als freier Mann in seine Heimat zurückzukehren. Der milliardenschwere Unternehmer, der in die Politik ging, ist in Thailand wegen Bestechlichkeit zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Seit er 2006 durch einen Militärputsch gestürzt wurde, lebt er im selbstgewählten Exil in Dubai.

Mit Hilfe ihres enormen Reichtums hat die Familie Shinawatra einen mächtigen Politikapparat geschaffen, der den Gegnern zufolge Stimmen der armen Landbevölkerung aufkauft und ihr im Gegenzug höhere Preise für Agrarprodukte, Gesundheitszentren in Dörfern und eine Verbesserung der Infrastruktur in Aussicht stellt.

Die wohlhabende urbane Mittelschicht fühlte sich machtlos gegen diesen Apparat des Shinawatra-Clans, der einen Wahlsieg nach dem anderen herbeiführte und die Familie sogar ohne den Rückhalt der Städter an die Regierung brachte.

Vor zwei Monaten gelang es den Städtern jedoch, ausreichend Unterstützung aus der Oberschicht, der Mittelschicht und sogar der armen Bevölkerung Bangkoks zu mobilisieren. Die Demonstranten zwangen Regierungschefin Yingluck, die Einführung des umstrittenen Gesetzes zu stoppen, ohne dass ein Schuss gefallen und Blut vergossen wurde.

"Diese Bürger haben festgestellt, dass sich das Korruptionsproblem im thailändischen Verwaltungsapparat und in der Politik verschärft. Diesen Trend wollen sie nicht länger hinnehmen. Ihre Forderungen nach einem Wandel sind gerechtfertigt und glaubwürdig", heißt es in einem Kommentar der Zeitung 'The Nation'.

Von diesem Erfolg angetrieben, erzwingt die Bewegung nun im Rahmen einer Kampagne die Schließung von Regierungsbehörden. Shinawatra soll auf diese Weise gezwungen werden, die am 2. Februar geplanten Wahlen zu verschieben, aus denen ihre Partei allen Prognosen nach als Siegerin hervorgehen würde. Denn die Unterstützungsbasis in den ländlichen Regionen ist nach wie vor intakt.


Regierungspartei in der Klemme

Die oppositionelle Demokratische Partei, die die Demonstrationen unterstützt, boykottiert die Wahlen. Damit hat sie die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Phue Thai-Partei selbst dann keine Regierung bilden dürfte, wenn die Wahlen wie geplant stattfänden und sie diese gewänne.

In 28 Wahlkreisen gibt es keinen Kandidaten und in 22 weiteren nur jeweils einen Bewerber. Damit ist es unwahrscheinlich, dass im Fall der Wahl der erforderliche Anteil der Parlamentarier von 95 Prozent erreicht wird. Die Protestführer verlangen indes die Einsetzung eines nicht gewählten 'Volksrats', der das Wahlsystem vor dem nächsten Urnengang reformieren soll. Die Städter fordern zudem eine stärkere Gewichtung ihrer Stimmen und argumentieren damit, dass sie die Steuern zahlen.

Pasuk Phongpachit von der Chulalongkorn-Universität in Bangkok ist jedoch anderer Ansicht. In einem Kommentar in der 'Bangkok Post' und der 'Straits Time' aus Singapur erklärte sie, dass sich in den beiden letzten Jahrzehnten das Pro-Kopf-Einkommen in Thailand verdreifacht und die Bevölkerung auf dem Land davon profitiert habe. Diese Menschen seien ihrerseits zu Steuerzahlern geworden und hätten mehr politischen Einfluss gewonnen. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/01/thai-protests-challenge-democracy/

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IPS-Tagesdienst vom 22. Januar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2014