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ASIEN/879: Taiwan - Rückenwind für bäuerliche Landrechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Januar 2014

Taiwan: Rückenwind für bäuerliche Landrechte - Gericht stellt Weichen für Revision des Landenteignungsgesetzes

von Dennis Engbarth



Taipeh, 21. Januar (IPS) - In Taiwan haben Bauern einen langjährigen Rechtsstreit um ihre Landrechte gewonnen. Das Urteil stärkt die Forderung von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Oppositionspolitikern nach einer Revision des sogenannten 'Landenteignungsgesetzes', das dem Staat erlaubt, produktive Agrarflächen zugunsten von Infrastrukturprojekten zu konfiszieren beziehungsweise zu verkaufen, um Projekte und Kommunen zu finanzieren.

Der Rechtsstreit, den mehrere Bauern in Dapu im nordwestlichen Landkreis Miaoli angestrengt hatten, ist der bisher spektakulärste im Zusammenhang mit umstrittenen 'Zonenenteignungen'. Er wurde vor dem hohen Verwaltungsgericht in der Stadt Taichung im Westen Taiwans ausgetragen. Am 3. Januar erklärten die drei zuständigen Richter die vor 15 Jahren angeordnete Landenteignung für illegal und annullierten einen vom Innenministerium erteilten Räumungsbefehl, der die Zerstörung von Reisfeldern und zwei Suizide zur Folge hatte.

Derzeit sind die Landesgerichte mit 95 ähnlichen Fällen befasst. Dabei geht es um die Zweckentfremdung von insgesamt 7.600 Hektar Agrarland. Der Widerstand richtet sich unter anderem gegen eine 'Flugplatzstadt' (3.000 Hektar) in der Nähe des Taiwan Taoyuan International Airport, einen Industriepark im Kreis Hsinchu (447 Hektar) und einen Bahnhof in Flughafennähe, der eine Schnellverkehranbindung an Taipeh-Stadt ermöglichen soll (236 Hektar).


"Meilenstein im Kampf um Landgerechtigkeit"

"Meist werden hochwertige Böden unter dem Vorwand konfisziert, neue Städte oder Industriezonen zu bauen", erläutert Hsu Shih-jung, Vorsitzender der Taiwanesischen Ländlichen Front (TRF). Oft sei die Notwendigkeit solcher Infrastrukturen gar nicht gegeben oder aber das betreffende Land werde an Spekulanten verscherbelt. Das Ergebnis sei die schnelle Verödung von bestem taiwanesischem Agrarland. Hsu zufolge entlarvt das jüngste Urteil die ganze Verwerflichkeit der Zonenenteignungen. "Der Richterspruch ist ein Meilenstein im Kampf um Landgerechtigkeit."

1999 hatte der Regierungschef des Landkreises Miaoli, Liu Cheng-hung, die Enteignung eines 156 Hektar großen Gebietes bekannt gegeben. Bei dem Gros der betroffenen Fläche handelte es sich um qualitativ hochwertige Reisfelder, die einem nahe gelegenen Technologiepark zugeschlagen werden sollten. Obwohl für das Erweiterungsprojekt, das darüber hinaus später abgeblasen wurde, 28 Hektar Land ausgereicht hätten, gingen die Enteignungen weiter.

Die Vorfälle in Dapu hatten im Juni 2010 international für Schlagzeilen gesorgt, als ein taiwanesischer Bürgerjournalist filmte, wie hunderte Polizisten mehrere Baggerfahrer schützten, die grüne Felder mit erntereifen Reiskulturen niederwalzten. Die öffentliche Empörung über die Zerstörung und der sich anschließende Selbstmord der Seniorin Chu Feng-min entzündete die Protestkampagne 'Gebt uns unser Land zurück', die von der Vereinigung zur Rettung von Dapu und der TRF angeführt wurde.

Obwohl es zu Verhandlungen mit der Zentralregierung kam und rechtliche Verfahren eingeleitet wurden, zerstörten am 18. Juli 2013 Baggerführer im Auftrag der Kreisregierung, erneut mit Rückendeckung der Polizei, die Häuser der letzten vier Widerstand leistenden Haushalte. Die TRF reagierte mit einem Sit-in, dem sich mehr als 10.000 Menschen anschlossen. Einen Monat später wurde Chang Sen-wen tot unter einer Brücke in der Nähe seines Hauses gefunden, offensichtlich hatte er sich aus Verzweiflung über die Zerstörung seiner Apotheke das Leben genommen.

Anfang Januar erklärten die Verwaltungsrichter in Taichung die Enteignung des Landes im Besitz von Peng Hsiu-chun, der Witwe Changs, und von weiteren acht Bürgern aus vier Haushalten sowie die Zerstörungen vom 18. Juli 2013 als "illegal" und annullierte den Enteignungsbefehl des Innenministeriums.

Rechtsanwalt Chan Shun-kuei, der die Einwohner von Dapu rechtlich vertrat, erklärte gegenüber IPS, dass es unwahrscheinlich sei, dass das Innenministerium und die Regierung des Landkreises Miaoli ein Revisionsverfahren vor dem höchsten taiwanesischen Verwaltungsgericht gewinnen würden.


Revisionsverfahren unwahrscheinlich

"Die Ausschüsse des Innenministeriums zum Thema Landenteignungen und städtische Entwicklung und die Kreisregierung von Miaoli konnten weder nachweisen, dass es substanzielle Diskussionen über mögliche Alternativen zu den Enteignungen gegeben hat, noch dass die Enteignungen dem öffentlichen Interesse dienten", erläutert Chan.

Auf einer Pressekonferenz im Nationalen Taiwanesischen Almuni-Klub in Teipeh-Stadt im Anschluss an die Urteilsverkündung erklärte Hsu Shu-jung von der TRF, dass der Richterspruch für Chu Feng-min und Chang Sen-wen leider zu spät gekommen sei.

Hsu berichtete gegenüber IPS, dass ihn Chang Sen-wen vor seinem Freitod gefragt habe, welches Verbrechen er begangen habe, um von der Kreisregierung so schlecht behandelt zu werden. "Was gab ihr das Recht über mein Leben und meinen Tod zu entscheiden?"

"Wir wollen, dass man uns unser Land und unsere Häuser zurückgibt, dass sich Liu Cheng-hung entschuldigt und erklärt, warum er meinen Mann in den Tod getrieben hat", erklärte Peng Hsiu-chun. Sie wird nach eigenen Angaben Regressansprüche auf der Grundlage des Nationalen Entschädigungsgesetzes stellen.

Der Vorstandsvorsitzende von 'Citizen Congress Watch' Ku Chung-hwa, erklärte gegenüber IPS, dass "die Kontroverse im Fall Dapu sowie zahlreiche andere Enteignungen und die gnadenlose Haltung der Exekutive letztendlich die Richter davon überzeugt hat, wie wichtig es ist, die Umweltrechte zu stärken". Die Zivilgesellschaft habe eine Schlacht gewonnen, die die Behörden zwingen werde, den Einwänden der Betroffenen mehr Beachtung zu schenken. Auch werde es schwierig sein, eine Revision des Landenteignungsgesetzes zu verhindern.

Neben einem Verbot weiterer Zonenenteignungen sollen die Revisionsvorschläge aus der Feder der Abgeordneten der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei dafür sorgen, "dass die Überlebens- und Eigentumsrechte der Menschen respektiert werden, dass im öffentlichen Interesse gehandelt und eine demokratische und transparente öffentliche Kontrolle gewährleistet wird".

Tai Hsiu-hsiung, Professor für Landökonomie an der Nationalen Chengchi-Universität in Teipeh, zufolge haben die exzessiv niedrigen Steuereinnahmen die Lokalregierungen dazu veranlasst, sich auf diese umstrittene Form der Finanzierung öffentlicher Infrastrukturen und der Aufbesserung ihrer Bilanzen zu verlegen. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/01/land-cleared-reforms-taiwan/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Januar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2014