Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ASIEN/905: Nepal - Ansturm auf 'Viagra des Himalaja', gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Pilzsammlern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Juni 2014

Nepal: Ansturm auf 'Viagra des Himalaja' - Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Pilzsammlern

von Naresh Newar


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Uttam Babu Shrestha

Menschen strömen in Massen ins Hochland von Nepal, um den Pilz, der als 'Viagra des Himalaja' bekannt ist, zu pflücken
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Uttam Babu Shrestha

Kathmandu, 30. Juni (IPS) - Im westnepalesischen Nepal sind derzeit mehr als 100.000 Menschen unterwegs, um Jagd auf einen als 'Viagra des Himalaja' bekannten Pilz zu machen. Das angebliche Aphrodisiakum ist so heiß begehrt, dass es zu regelrechten Revierkämpfen mit Todesfolge kommt.

"Gewalt gab es bereits zu Beginn der Erntesaison, und wir rechnen damit, dass sie weiter zunimmt", berichtet Kesh Bahadur Shahi, der Generalinspektor der nepalesischen Polizei im Bezirk Surkhet, 600 Kilometer westlich der Hauptstadt Kathmandu.

Anfang Juni wurde der Erntearbeiter Phurwa Tshering bei einem Streit in Dolpa nordöstlich von Surkhet getötet. Dort finden sich jedes Jahr Zehntausende Menschen zum Pilzsammeln ein. Ein weiterer Mann starb einige Tage später in einem Krankenhaus in Kathmandu an den Folgen von Verletzungen infolge einer Rauferei.

Der unter dem wissenschaftlichen Namen 'Ophiocordyceps sinensis' (Chinesischer Raupenpilz) bekannte Schlauchpilz befällt eine im Boden befindliche Schmetterlingsraupe, von der er sich im Winter ernährt. Im Frühling bohrt er sich dann durch den Kopf seines Wirtes in Richtung Licht.


Lukratives Geschäft

Seit mehr als 2.000 Jahren ist der Pilz, der in Nepal, Bhutan, Indien und Tibet in 3.000 bis 5.000 Meter Höhe wächst, in Asien als Heilmittel bekannt. Er wird bei Nieren- und Lungenbeschwerden sowie bei Erektionsstörungen verabreicht. Seitdem das Sammeln der Pilze in Nepal erlaubt ist, kommt es in der Bergregion während der zweimonatigen Erntezeit regelmäßig zu Auseinandersetzungen.

Ein Gramm der höchstens vier Zentimeter langen Pilze, die von tibetischen Händlern 'yartsa gunbu' genannt werden, wird in China für umgerechnet 80 US-Dollar verkauft. Tausende verarmter Bauern sehen die Pilze daher als wichtige zusätzliche Einnahmequelle.

Die Nationale Menschenrechtskommission hat kürzlich ein Untersuchungsteam in das an Tibet angrenzende Dolpa geschickt, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Nach Abschluss der Erkundigungen soll auch die Öffentlichkeit informiert werden. 2011 hatte ein lokales Gericht sechs Pilzsammler wegen Mordes an sieben Konkurrenten zu lebenslanger Haft verurteilt.


Regierung setzt erstmals Paramilitärs ein

Die diesjährige Ernte ist bereits seit mehr als drei Wochen in Gang. Seit kurzem sind 160 Mitglieder einer paramilitärischen Einheit, die während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs gegründet wurde und zur Bewaffneten Polizei APF gehört, in der Bergregion unterwegs, um die Pilzernte zu überwachen und Übergriffen vorzubeugen. Doch ist das Gebiet viel zu riesig, um eine flächendeckende Überwachung zu gewährleisten.

Allein Dolpa, wo der Raupenpilz auf 24 großen Wiesen wächst, ist fast 8.000 Quadratkilometer groß. Hinzu kommt, dass inzwischen auch kommerzielle Händler und so genannte 'Kartelle' auf Pilzsuche gehen. "Es gibt eine Mafia aus Geschäftsleuten aus Kathmandu und den Bezirken nahe der Grenze zu China", bestätigt Generalinspektor Shahi. "Manche Händler fliegen sogar in eigenen Hubschraubern ein, um so viele Pilze wie möglich abtransportieren zu können."

Studien belegen, dass die boomende Wirtschaft in China die Nachfrage nach dem 'Viagra des Himalaja' in die Höhe getrieben und dort somit einen eigenen Markt für den Pilz geschaffen hat. Der weltweite jährliche Umsatz wird auf elf Milliarden US-Dollar geschätzt. Nepal deckt demnach zurzeit zwei Prozent der weltweiten Nachfrage ab und ist somit zweitgrößter Lieferant.

"Wir beobachten einen Verlust der sozialen Integrität. Es gibt Fälle von Raubüberfällen und Morden, die mit der Pilzernte zusammenhängen", berichtet Yam Bahadur Thapa, Leiter der Abteilung für Pflanzenressourcen im Forstministerium. "Wir brauchen dringend nachhaltige Erntemethoden und Mechanismen, die eine gerechte Einnahmenverteilung zugunsten der lokalen Bevölkerung ermöglichen."


Rasante Zunahme der Pilzsammler

Laut Thapa hat sich die Zahl der Pilzsammler seit dem Jahr 2001 verdoppelt, während die Ausbeute pro Person immer weiter sinkt. 2006 wurden pro Kopf etwa 260 Pilze geerntet, inzwischen sind es weniger als 125. Lukrativ ist das Geschäft vor allem auf dem internationalen Markt. Wird das Kilo Pilze in Nepal für etwa 25.000 Dollar gehandelt, erzielt es im Ausland bis zu 70.000 Dollar.

Uttam Babu Shresta, Wissenschaftler am Institut für Landwirtschaft und Umwelt an der University of Southern Queensland in Australien, warnt vor den ökologischen Folgen des Pilzbooms. "Am Ende der Erntesaison ist kein Zentimeter Habitat mehr unberührt", sagt er. Schärfere Kontrollen lägen auch im Interesse der Regierung. Das Internationale Zentrum für Integrierte Bergentwicklung (ICIMOD) beziffert die derzeitigen Einnahmen der Regierung aus dem Raupenpilz-Handel auf rund 53.000 Dollar. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/06/violence-casts-shadow-over-himalayan-viagra-harvest-in-nepal/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. Juni 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2014