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ASIEN/926: Pakistan - Rebellen in Belutschistan werfen Regierung Unterstützung der IS-Miliz vor (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Dezember 2014

Pakistan: Rebellen in Belutschistan werfen Regierung Unterstützung der IS-Miliz vor

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Mitglieder der Befreiungsarmee Belutschistans überprüfen ihre Gewehre
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Sarlat-Berge, pakistanisch-afghanische Grenze, 30. Dezember (IPS) - Belutschistan gilt als eine Unruheregion. Tatsächlich jedoch ist in dem zu Pakistan, Afghanistan und dem Iran gehörenden Gebiet, das etwa die Größe von Frankreich hat, ein richtiger Krieg im Gang.

In der Heimat der iranischsprachigen Belutschen lagern enorme Gas-, Gold- und Kupfervorkommen sowie unerschlossene Erdöl- und Uranquellen. Die etwa tausend Kilometer lange Küste verläuft nahe der strategisch wichtigen Straße von Hormus.

1947 erklärten die pakistanischen Belutschen ihr Gebiet für unabhängig. Doch nur neun Monate später ließ Pakistan dort seine Truppen einmarschieren und annektierte es. Die Folge war ein Aufstand, der bis heute andauert.

Führende Rebellenkommandeure werfen Islamabad vor, Kämpfer der islamistischen IS-Miliz in der südpakistanischen Provinz auszubilden.

IPS hat belutschische Kämpfer an einem geheimen Ort in den Sarlat-Bergen an der Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan getroffen, die etwa in gleicher Entfernung zu zwei Hochburgen der radikalen Taliban im südostafghanischen Kandahar und in Quetta im Südwesten Pakistans liegen.

Baloch Khan, Kommandeur der Befreiungsarmee von Belutschistan (BLA), und seine drei Begleiter Mama, Hayder und Mohamed, die ihre vollständigen Namen nicht nennen wollten, waren nach eigenen Angaben zwölf Stunden zu Fuß zu dem Treffpunkt unterwegs.


"Belutschen kämpfen für Freiheit"

"In dem Gebiet gibt es viele Taliban, die aber ihre eigenen Routen nutzen. Unsere Wege kreuzen sich nur selten", erklärte Khan und betonte, dass seine Bewegung nichts mit dem Fundamentalismus zu tun hat. "Die sieben bewaffneten Gruppen der Belutschen kämpfen für Freiheit und haben ein gemeinsames Ziel: die Unabhängigkeit Belutschistans."

Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Die Rebellen in Belutschistan wollen nicht mit den Islamisten verwechselt werden. Sie verstehen sich als Freiheitskämpfer
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Der 41-Jährige gehört den Rebellen bereits seit seiner Studentenzeit an. Wie viele Männer in den Reihen der BLA aktiv sind, will er nicht sagen. Immerhin verteilen sie sich auf 25 Lager "in ganz Ostbelutschistan", das unter der Kontrolle Pakistans steht.

Khan zog Parallelen zwischen seiner Gruppe und der "für ihre nationalen Rechte kämpfenden, säkularen Bewegung" der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). "Wir stehen den Kurden sehr nahe. Man könnte sagen, dass sie unsere Cousins sind. Auch ihr Land wurde von Nachbarn gestohlen." Der Kommandeur bezog sich damit auf die gemeinsame Herkunft der Belutschen und der Kurden, deren Gebiet sich der Iran, der Irak, Syrien und die Türkei teilen.

Das Nomadenvolk der Belutschen hat eine moderate Auffassung vom Islam. Khan beschuldigt die Regierung in Islamabad, dem Konflikt eine religiöse Ausrichtung gegeben zu haben. Bis zum Jahr 2000 sei kein einziger Schiit in Belutschistan getötet worden, sagte er. Inzwischen schleuse Pakistan aber zahlreiche, zumeist mit den Taliban verbundene Extremisten ein, die gegen die Unabhängigkeitsbewegung der Belutschen vorgehen sollten. Morde und Verschleppungen seien in seiner Heimat an der Tagesordnung.

Laut der Gruppe 'Stimme der Vermissten in Belutschistan', die sich aus Angehörigen von Verschwundenen zusammensetzt, sind seit dem Jahr 2000 etwa 19.000 Menschen verschleppt worden. Nachprüfbar sind diese Zahlen allerdings nicht, da bisher keine unabhängigen Untersuchungen durchgeführt wurden.

Im vergangenen August hatten die Internationale Juristenkommission, 'Amnesty International' und 'Human Rights Watch' die pakistanische Regierung aufgefordert, für ein Ende der Praxis zu sorgen, Menschen im ganzen Land zu entführen, ohne Angaben über deren Verbleib zu machen.

Belutschische Rebellengruppen werden ebenfalls beschuldigt, Zivilisten zu töten. Im August 2013 übernahm die BLA die Verantwortung für den Tod von 13 Menschen, die in zwei Bussen unterwegs waren. Sie wurden von den Kämpfern im Gebiet von Mach, etwa 50 Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Quetta entfernt, angehalten.

Pakistanische Behördenvertreter sprachen von Zivilisten, die das Ende des Fastenmonats Ramadan in Punjab feiern wollten. Khans Version lautet aber anders: "In den beiden Bussen saßen 40 Insassen. Wir nahmen 25 von ihnen fest und richteten schließlich 13 hin. Alle gehörten den pakistanischen Sicherheitskräften an." Ausländischen Medien hielt er vor, sich nur auf offizielle Angaben der pakistanischen Regierung zu stützen.

Könnte ein unabhängiges Referendum einen Ausweg aus der verfahrenen Lage bieten? Khan zeigte sich skeptisch: "Vor einem solchen Schritt müssten wir erst den Verlauf der nationalen und geografischen Grenzen klären. Weite Teile unseres Landes liegen in den Nachbarprovinzen Sindh und Punjab. Außerdem kommen immer mehr Siedler hierher, und die Armee übt die volle Kontrolle über das Land, einschließlich der Wahlverfahren, aus."

Der Kommandeur sieht die internationale Staatengemeinschaft nicht in einer Beraterrolle, sondern fordert offen ein militärisches und wirtschaftliches Eingreifen. "Die zivilisierte Welt sollte uns und nicht Pakistan unterstützen", so Khan. "Warum sollte einem Land geholfen werden, das Fundamentalistengruppen in aller Welt am Leben hält?" Gemeinsam mit seiner Eskorte machte er sich dann wieder auf den Rückweg in ihr Lager. Das Gebiet, in dem das Treffen stattfand, ist nur über Afghanistan zu erreichen, weil Pakistan die südwestliche Provinz abriegelt.


Gefährliches Pflaster für Journalisten

Belutschistan ist für Journalisten ein gefährlicher Ort. Nirgendwo sonst in dem Land würden so viele Medienvertreter getötet, berichtete der Schriftsteller und Zentralasien-Experte Ahmed Rashid, der in seiner Jugend selbst für die Unabhängigkeit Belutschistans eingetreten ist. Ausländische Berichterstatter würden zum Verlassen des Gebietes gezwungen.

Der Chef der Belutschischen Befreiungsfront (BLF), Allah Nazar, bestätigte indes, dass alle Belutschen-Rebellen für ein gemeinsames Ziel kämpfen. Wie Khan wirft auch er der Führung in Islamabad vor, fundamentalistische Gruppen zu unterstützen.

"Pakistan züchtet Fundamentalisten heran, um der nationalen Bewegung in Belutschistan etwas entgegenzusetzen. Doch diese Anstrengungen haben ihr Ziel verfehlt. Nun will man die Religion instrumentalisieren, um die Aufmerksamkeit von der Befreiungsbewegung in Belutschistan abzulenken", erklärte Nazar, der sich an einem unbekannten Ort im Süden der Provinz aufhält, via Satellitentelefon. In dem Gebiet hat die BLF ihre wichtigsten Stützpunkte.

Nach Ansicht von Nazar könnten die von Islamabad unterstützten Islamisten auch außerhalb der Grenzen der unwirtlichen Region Belutschistans bedrohlich werden. Er weiß von mindestens vier Trainingslagern, in denen angeblich Mitglieder der IS-Miliz ausgebildet werden, bevor sie in den Mittleren Osten gebracht werden.

Diese Camps liegen demnach in Makran und Wadh, jeweils 990 und 315 Kilometer von Quetta entfernt, sowie in Zehri, 200 Kilometer südlich von Quetta. In diesem Lager sollen sich mehr als 100 bewaffnete Männer aufhalten - darunter Araber, Paschtunen, Punjabis. Das vierte Camp befindet sich Nazar zufolge in Chiltan in Quetta.

Den pakistanischen Geheimdienst beschuldigte er, "die IS-Miliz zu aktivieren und zu schützen. Der Islamische Staat ist in großem Maße bei uns präsent. Sie werfen sogar Pamphlete auf unsere Straßen, um ihre Sicht auf den Islam zu darzulegen und neue Anhänger zu finden."

Im Oktober hatten sechs einflussreiche pakistanische Taliban-Kommandeure, unter ihnen auch der Sprecher der Vereinigung 'Tehrik-e-Taliban', der mehrere pakistanische Extremistengruppen angehören, ihre Verbundenheit mit der IS-Miliz verkündet. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/12/pakistans-other-insurgents-face-is/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. Dezember 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2014


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