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ASIEN/940: Sri Lanka - Kriegsverbrechen aufarbeiten, Hoffen auf umfassende Untersuchung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2015

Sri Lanka: Kriegsverbrechen aufarbeiten - Hoffen auf umfassende Untersuchung

von Amantha Perera



Bild: © Amantha Perera/IPS

Denkmal für Regierungstruppen auf dem Elefantenpass im Norden Sri Lankas
Bild: © Amantha Perera/IPS

Colombo, 8. April (IPS) - Die 23-jährige Srilankerin Jessi Joygeswaran wirkt wie jede andere junge Frau ihrer Altersgruppe: Sie ist eine rege Gesprächspartnerin, die viel lacht, wenn sie redet. Und sie hat einen Traum, den sie unbedingt verwirklichen will. "Ich möchte zur Uni gehen und danach eine gute Arbeit finden", sagt sie mit einem ansteckenden Lächeln.

Doch Joygeswarans Leben ist anders verlaufen als das vieler Gleichaltriger. Die junge Frau brachte ihre Kindheit und Jugend in einem Kriegsgebiet zu. Die dortigen Erlebnisse haben sie geprägt. Ebenso oft wie über ihre berufliche Zukunft denke sie über den zurückliegenden Bürgerkrieg nach, sagt sie. Über seine Folgen, das Leid und die Hoffnung auf nationale Versöhnung.

Joygeswaran ist eine in Vanni geborene und aufgewachsene Tamilin. Der riesige Landstrich in Sri Lankas Nordprovinz war Hauptschauplatz des 26-jährigen Bürgerkriegs, der Mitte 2009 mit dem Sieg der Regierungstruppen über die Rebellen der 'Befreiungstiger von Tamil Eelam' (LTTE) zu Ende ging.

Als Joygeswaran 14 Jahre alt war, musste sie mit der Familie vor den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und den LTTE aus ihrem Heimatdorf Andankulam im nordwestlichen Bezirk Mannar fliehen. Die Rebellen kämpften um einen tamilischsprachigen Staat in den Nord- und Ostprovinzen Sri Lankas. "Drei Jahre lang liefen wir vor Kugeln und Granatfeuern davon", erinnert sie sich. "Der Tod war omnipräsent."

Mit dem Ende des Krieges waren die Probleme in Vanni noch längst nicht vorbei. Rund 250.000 Menschen, die vor den bewaffneten Kämpfen geflohen waren, mussten bis Ende 2010 in Auffanglagern ausharren, die große Ähnlichkeit mit Haftzentren hatten.

Die mehr als 400.000 Menschen, die im Verlauf des Konflikts die Region verlassen hatten, kehrten schließlich an den Ort der Zerstörung zurück, um ihr Leben neu zu ordnen und die Schrecken der Vergangenheit zu verarbeiten. Heimatlosigkeit, Ängste und Traumata auch über den Verlust von Angehörigen bestimmten fortan ihr Leben.


Neue Regierung, neue Ära?

Doch seit der Wahl eines neuen Präsidenten im Januar machte Hoffnung der Ausweglosigkeit Platz. Maithripala Sirisena setzte sich gegenüber dem ehemaligen Staatschef Mahinda Rajapaksa durch, dem der Sieg über die LTTE erlaubte, das Land mit eiserner Faust zu regieren. "Wir haben Gerechtigkeit und Frieden für alle gewählt", frohlockt Joygeswaran, die am 8. Januar zum ersten Mal wählen durfte. Trotz der langjährigen Diskriminierung gegen die tamilische Gemeinschaft ist sie zuversichtlich, dass mit Sirisena eine neue Ära beginnt.

Die Mehrheit der 20 Millionen Srilanker denkt ähnlich, zumal viele angesichts des jahrelangen Konflikts und der hohen Opferzahlen nicht mehr an einen Frieden geglaubt hatten.

Die ersten zwei Monate seiner Amtszeit waren durchwachsen. Zwar wurden die Reisebeschränkungen für die Ethnie und die erdrückende Militärpräsenz mit Sicherheitskräften aufgehoben, die im Norden jeden Aspekt des täglichen Lebens überwacht hatten. Doch wurden heikle Themen wie eine umfassende Untersuchung der Kriegsverbrechen noch nicht angegangen.

Allein in den letzten Tagen des Bürgerkriegs könnten 40.000 Zivilisten getötet worden sein, wie eine Beratergruppe des UN-Generalsekretärs schätzt - eine Zahl, die von der Vorgängerregierung strikt zurückgewiesen wurde.

Ein neues Buch, das die angesehenen Wissenschaftler der 'University Teachers for Human Rights' mit Sitz in Jaffna unter dem Titel 'Palmyra Fallen' herausgegeben haben, besagt, dass sogar eine Zahl von 100.000 Toten realistisch sein könnte. Sowohl die regulären Sicherheitskräfte als auch die LTTE werden schwerer Menschenrechtsverbrechen in dieser letzten Phase des Bürgerkriegs beschuldigt.

Drei Resolutionen, die der UN-Menschenrechtsrat in Genf vorangebracht hatte, verlangen die internationale Untersuchung der Ereignisse gegen Kriegsende. Die Rajapaksa-Regierung, fest entschlossen, jede "Einmischung von außen" zu unterbinden, setzte ihre eigene Untersuchungs- und Versöhnungskommission ('Lessons Learnt and Reconciliation Commission' - LLRC) ein. Doch die darin unterbreiteten Empfehlungen sind bisher reine Papiertiger geblieben.

Derzeit werden im Land die Verschwundenen gezählt, und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat mit einer landesweiten Erfassung der Familien begonnen, die Angehörige vermissen. Doch bisher konnte keine dieser Handlungen eine strafrechtliche Verfolgung oder Anklage herbeiführen. Sirisenas Regierung hat indes eine neue Untersuchung mit internationaler Hilfe versprochen.

Der neue Außenminister des Landes, Mangala Samaraweera, ist weltweit unterwegs, um die internationale Gemeinschaft von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass Sri Lanka mehr Zeit braucht, um einen eigenen und glaubwürdigen Versöhnungsprozess in Gang zu setzen. Bisher scheint er damit Erfolg zu haben. Die USA, Großbritannien und andere westliche Staaten haben einer Verschiebung der Veröffentlichung eines Untersuchungsberichts des UN-Menschenrechtsrats zu Kriegsverbrechen von März auf September zugestimmt.


Versöhnungsgeste gegenüber der Diaspora

Die Regierung erklärte sich am 18. März bereit, die Ächtung von Tamilengruppen in der Diaspora aufzuheben. Der Vorstoß gilt als ein Versuch der Regierung, sich die Unterstützung der moderaten, im Ausland lebenden Tamilen zu sichern, deren Zahl auf 700.000 geschätzt wird.

"Die Regierung von Präsident Sirisena ist ernsthaft bemüht, den Versöhnungsprozess voranzubringen. Der srilankischen Diaspora aus Singalesen, Tamilen und Muslimen kommt dabei eine wichtige Rolle zu", betonte Samaraweera am 18. März gegenüber dem Parlament.

Nicht zu rütteln ist offenbar an der Entscheidung, die von beiden Seiten begangenen Kriegsverbrechen durch einen einheimischen Mechanismus aufzuklären. "Sämtliche Vorwürfe [...] gegen unsere Sicherheitskräfte müssen untersucht werden, [doch] muss dies durch einen lokalen Mechanismus erfolgen, worauf wir schon immer hingewiesen haben", bestätigte Sri Lankas Energieminister Patali Champika Ranawaka im Februar vor dem Verband der Auslandspresse in Sri Lanka.

Allerdings wird sich das Land einiges einfallen lassen müssen, um die internationale Gemeinschaft von der eigenen Fähigkeit, Kriegsverbrechen zu untersuchen, zu überzeugen. Nach Ansicht von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen sollten die srilankischen Behörden mit den UN kooperieren und von der internationalen Expertise bei der Entwicklung eines glaubwürdigen, wirksamen und unabhängigen Untersuchungsmechanismus profitieren, wie David Griffiths, der stellvertretende Asien-Pazifik-Direktor von Amnesty, gegenüber IPS erklärte. Man wünsche sich für die Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen ein Sondertribunal.

Geklärt werden müssten auch die mutmaßlichen summarischen Erschießungen von LTTE-Kadern durch die Sicherheitskräfte sowie sexuelle Übergriffe auf Gefangene. Die LTTE wiederum wird unter anderem beschuldigt, Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht und Kinder als Kämpfer rekrutiert zu haben.

Es sei wichtig, sämtliche Vorwürfe zu klären und in den Fällen, in denen genügend Beweismaterial vorliege, die Verantwortlichen vor unabhängige und unparteiische Gerichte unter Einhaltung internationaler Prozessstandards zu stellen, betont Griffiths. Die Opfer müssten umfassend entschädigt werden.


"Vorsichtig optimistisch"

Inzwischen sind bereits einige positive Entwicklungen feststellbar. So bezeichnete Ruki Fernando, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation INFORM mit Sitz in Colombo die Ernennung eines zivilen Gouverneurs in Jaffna, der einen Militärgouverneur ersetzt, sowie die Freigabe von Ländereien, die sich das Militär angeeignet hatte, als vielversprechende Gesten. "Ich bin vorsichtig optimistisch", fügte er hinzu.

Für Jessi Joygeswaran geht kein Weg an der Vergangenheitsbewältigung vorbei. "Um voranzukommen", meint sie, "müssen wir uns zunächst unserer gemeinsamen schrecklichen Vergangenheit stellen". (Ende/IPS/kb/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/04/effective-war-crimes-inquiry-could-heal-sri-lankas-old-wounds/

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IPS-Tagesdienst vom 8. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2015

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