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ASIEN/959: Sri Lanka - Schicksal Tausender im Bürgerkrieg Verschwundener noch nicht geklärt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 09. Dezember 2015

Sri Lanka: Schicksal Tausender im Bürgerkrieg Verschwundener noch nicht geklärt

von Amantha Perera


Bild: © Amantha Perera/IPS

Thavarasa Utharais Sohn mit einem Foto seiner Mutter und seines im Krieg verschleppten Vaters
Bild: © Amantha Perera/IPS

PAVAKODICHENNAI, SRI LANKA (IPS) - Der kostbarste Besitz von Thavarasa Utharai steckt in mehreren Plastiktüten, die sicher in alten Reisetaschen verstaut sind: verblasste Fotografien, Notizbücher, Ausweispapiere und sogar alte Rechnungen. Dies sind die einzigen Hinterlassenschaften ihres Ehemanns, die die 36-jährige Sri-Lankerin den beiden gemeinsamen Kindern zeigen kann. Er verschwand am 20. März 2009, nachdem er seine Rinderherde versorgt hatte. Seitdem fehlt von ihm jede Spur.

Utharai hat den Verdacht, dass ihr Mann wenige Monate vor dem Ende des über 25 Jahre andauernden Bürgerkriegs von Personen aus dem Umfeld der Regierungsarmee verschleppt wurde. Der Konflikt endete am 18. Mai 2009, nachdem die Streitkräfte die Rebellenbewegung 'Befreiungstiger von Tamil Eelam' (LTTE) endgültig besiegt hatten. Die Befreiungskämpfer hatten über Jahre hinweg gegen mehrere aufeinander folgende Regierungen des südasiatischen Inselstaates gekämpft, um einen eigenen Staat für die Bevölkerungsminderheit der Tamilen durchzusetzen.

Utharai, die ebenfalls dieser Ethnie angehört, stammt aus dem entlegenen Dorf Pavakodichennai im östlich gelegenen Distrikt Batticaloa, etwa 350 Kilometer von der Hauptstadt Colombo entfernt. Selbst die große Entfernung, mangelnde Verkehrsmittel und schlecht arbeitende Behörden können sie nicht davon abhalten, Gerechtigkeit zu suchen. Um das Schicksal ihres Mannes in Erfahrung zu bringen, schaltete sie die Polizei, einen Ausschuss des Präsidialamtes und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) ein.


Möglicherweise bis zu 90.000 Todesopfer in letzter Kriegsphase

Über den Verbleib des Vermissten hat sie bislang aber nichts gehört. Ein Kriminalbeamter riet Utharai, ihren Mann für tot erklären zu lassen und eine Entschädigungszahlung von umgerechnet etwa 700 US-Dollar zu beantragen, die die Regierung Hinterbliebenen von Bürgerkriegsopfern bereitstellt.

"Warum sollte ich das tun?" meint sie. "Ich werde nach der Wahrheit suchen, das bin ich ihm schuldig." Utharai ist in ihrer Situation nicht allein. Zehntausende Sri-Lanker wissen auch sechs Jahre nach Kriegsende noch nicht, was mit ihren verschwundenen Angehörigen geschehen ist.

Eine vom Präsidialamt eingesetzte Kommission für die Suche nach Vermissten führt seit zwei Jahren Befragungen durch und hat bis jetzt mehr als 20.000 Strafanzeigen entgegengenommen. Etwa 5.000 davon bezogen sich auf vermisste Mitglieder der Regierungstruppen. Das IKRK hat seit 1990 bereits 16.064 Fälle von Verschwundenen erfasst. Laut einem Beratungsgremium des UN-Generalsekretärs wurden in der Endphase des Krieges etwa 40.000 Menschen getötet. Die Vereinigung 'Hochschullehrer für Menschenrechte' kam hingegen auf eine Zahl von 90.000 Opfern.

Die vergangenen sechs Jahre seien die schlimmste Zeit in ihrem Leben gewesen, sagt Vallipuram Amalanayagni, die ihren Mann seit Februar 2009 vermisst und Ansprechperson für Angehörige anderer Verschwundener ist. "Wir wurden wie Kriminelle verfolgt, nur weil wir nach unseren Verwandten suchten."

Die ehemalige Regierung von Präsident Mahinda Rajapaksa verhinderte mehrmals international geführte Untersuchungen über die letzte Phase des Konflikts. Auch die Suche nach Vermissten wurde zurückgestellt.


Neuer Präsident will Nachforschungen intensivieren

Der neue Staatschef Maithripala Sirisena, der im Januar 2015 sein Amt antrat, sicherte dagegen den Vereinten Nationen ausdrücklich zu, die Nachforschungen nach den Verschwundenen zu verstärken und Entschädigungen bereitzustellen. Geplant ist die Einrichtung einer neuen Behörde, die sich mit der Vermisstenfrage befassen soll.

Kürzlich erschien bereits ein Bericht der Präsidialkommission, die Hinweisen auf mögliche Verschleppungen nachgegangen war. In dem Report wird bestätigt, dass Personen verschwanden, während sie im Gewahrsam des Militärs waren. Gruppen, die mit der Armee zusammenarbeiteten, wurden mit Verschleppungen in Verbindung gebracht.

Kabinettssprecher Rajitha Senarathana bekräftigte, dass die Regierung ihr Wahlversprechen, nach Tausenden Vermissten zu suchen, einhalten werde. "Damit die Wunden der Nation heilen können, müssen wir die Wahrheit erfahren, so unbequem sie auch sein mag."

Angesichts des großen Interesses der Medien hoffen manche politische Beobachter, dass es rasche Fortschritte geben wird. Andere Analysten warnen dagegen vor zu hohen Erwartungen. "Ich gehe davon aus, dass es langsam vorangehen wird", sagte Jehan Perera, Exekutivdirektor des Nationalen Friedensrats. "Immerhin hat die Regierung den Willen zum Handeln gezeigt und erhält Unterstützung aus dem Ausland. Sie wird aber Zeit brauchen, um alle zu überzeugen." (Ende/IPS/kf/09.12.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/10/sri-lanka-a-ray-of-hope-for-those-looking-for-war-missing/

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IPS-Tagesdienst vom 09. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2015

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