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ITALIEN/008: Das Beziehungsgeflecht zwischen Linken und Kapital-Gruppen in Italien (Gerhard Feldbauer)


Das Beziehungsgeflecht zwischen Linken und Kapital-Gruppen in Italien

Wie sieht es damit nach Berlusconi aus

von Gerhard Feldbauer, 20. Oktober 2011


Italien steuert einer Katastrophe ähnlich wie in Griechenland entgegen. Der korrupte Mediendiktator Silvio Berlusconi ist nicht mehr in der Lage, einen Ausweg aufzuzeigen. Führende Kapitalkreise und der Industriellenverband Confindustrie haben ihn längst fallengelassen, zögern aber, ihm endgültig den Laufpass zu geben. Sie befürchten, sein Sturz könnte den Linken, vor allem den Kommunisten, wieder Auftrieb geben, ihren früheren Einfluss auf die Mitte beleben, und daß unter diesen Vorzeichen eine Neuauflage der alten Mitte-Links-Koalition zustande kommen könnte, wie es bei den jüngsten Kommunalwahlen im Frühjahr 2011 der Fall war.


Schacher um eine neue Kräftekonstellation

Vor diesem Hintergrund findet ein heftiges Schachern statt, wie eine neue Kräftekonstellation am besten zusammengezimmert werden könnte. Wird es der liberalen Demokratischen Partei (DP) Luigi Bersanis an der Spitze einer Mitte Links genannten Koalition gelingen, die Linke im Zaum zu halten?(1) Die DP ist 2007 aus der Fusion einer Mehrheit der Linksdemokraten mit der katholischen Zentrumspartei Margherita entstanden. Mit einer mehrheitlich noch immer linksdemokratischen Basis, wird sie dementsprechend unter vielen linken Wähler weiterhin als "ihre" Partei gesehen. Realität ist jedoch, dass ihr damaliger Vorsitzender, Walter Veltroni, sich im Wahlkampf 2008 offen zur Zusammenarbeit mit der "authentischen produktiven Bourgeoisie" eines "demokratischen Kapitalismus" bekannte und einen "demokratischen Pakt zwischen Arbeitern und Bourgeoisie" propagierte.(2) An dieser Konzeption hält die DP-Führung unter ihrem jetzigen Chef Luigi Bersani unverändert fest.

Bei den Betrachtungen der führenden Kapitalkreise spielt eine Rolle, ob die beiden kommunistischen Parteien (PRC und PdCI), wenn sie (wie es ihre erklärte Absicht ist) im Bündnis mit der DP wieder ins Parlament einziehen sollten, sich deren Kurs der Zusammenarbeit mit der sogenannten liberalen Bourgeoisie unterordnen werden. Selbst die Linkspartei "Umwelt und Freiheit" scheint zum unsicheren Kantonisten zu werden, seit sich ihr Vorsitzender, der frühere PRC-Politiker Nicchi Vendola, Präsident der Mitte Links-Regierung von Apulien, neben den Führern der Kommunisten an die Spitze des Generalstreiks im September stellte und gar die Wiederbelebung des Klassenkampfes beschwor. Und Vendola will sich auch noch bei künftigen Parlamentswahlen als Spitzenkandidat der DP bewerben. Sicher, auch in Kapitalkreisen Italiens kennt man das bekannte Sprichwort "Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird" und hofft, dass es so kommen werde. Eine Analyse, wie das Verhältnis zwischen Mitte Links und Kapitalinteressen in der Vergangenheit funktionierte, kann dazu einige Aufschlüsse vermitteln.

Die Erkenntnis ist nicht neu, dass auf Wahlkampagnen im bürgerlichen Parlamentarismus die führenden Kräfte des Kapitals mehr oder weniger offen Einfluss nehmen. Sie unterstützen jene politischen Kräfte - irreführend für gewöhnlich "politisch herrschende Klasse" genannt - von denen sie die beste Sicherung ihrer Interessen erwarten. Oft spielen dabei Interessengegensätze zwischen den großen Kapitalgruppen eine Rolle. Was bewog einflussreiche Kräfte der Großbourgeoisie in Italien mit linken Kräften bis hin zu den Kommunisten auf Regierungsebene zusammenzuarbeiten? Ein entscheidender Faktor war die herausragende politische Position, welche die IKP dort wie in keinem anderen westeuropäischen Land jahrzehntelang einnahm und entscheidenden Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse ausübte.


Widerstreitende Kapitalinteressen

In der Nachkriegsentwicklung tendierte FIAT, der größte private Industriekonzern des Landes, zur Haltung des ENI-Chefs Enrico Mattei, der schon in den 1950er Jahren noch vor Aldo Moro für eine Einbeziehung der Kommunisten in Reformen zur Lösung politischer Krisen eintrat. Hier ist einzuflechten, dass weniger bekannt ist, dass FIAT seinen gewaltigen Umsatz nur etwa zur Hälfte im Auto-Sektor erwirtschaftet. Zur FIAT-Gruppe zählte der Raumfahrtkonzern SNIA, der in den 1980er Jahren SDI-Aufträge erhielt, an Raumfahrtprojekten von Arianespace und Eureka teilnahm, Motoren und Hitzeschilde für Satelliten lieferte und Raketentreibstoff produzierte, der beim amerikanischen Space Shuttle und auch bei militärisch genutzten Raketen verwendet wurde. FIAT Aviazione stellte Flugzeugtriebwerke, Schiffsantriebe und Gasturbinen her. Die breit gefächerte Produktion des in rund 60 Ländern mit über 1000 Gesellschaften und 1,2 Millionen Beschäftigten präsenten Konzerns reichte darüber hinaus vom Hoch- und Tiefbau über Maschinen und Anlagen, Telekommunikations- und Automatisierungstechnik, Eisen, Stahl und Kraftstoffanlagen bis zur Lebensmittelbranche, schloss Verlage, Werbung und die hauseigene Turiner Tageszeitung La Stampa ein. FIAT war als Banker und an der Börse dabei, sponserte Kunst- und Forschungsprojekte.

Dieses riesige Firmenimperium FIAT galt als ein heimlicher Dulder des Historischen Kompromisses, der Regierungszusammenarbeit mit der Democrazia Cristiana, die IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguers Mitte der 1970er Jahre verfolgte. Man kommt spätestens hier nicht umhin, sich zu fragen, ob diese Kapitalkreise ein Gespür für sich breit machende reformistische Tendenzen auch in kommunistischen Parteien hatten.(3)

Mit dem Auftauchen des von der faschistischen Putschloge P2 protegierten Silvio Berlusconi mit seinem gewaltigem Fininvestimperium entstand FIAT ein ernster Konkurrent. Hinzu kam, dass der Medientycoon sich zum Regierungschef aufschwang und dieses Amt weidlich zu seinem Vorteil nutzte. Die Gegensätze zu der von den Agnellis angeführten Gruppe der Schwerindustrie brachen sehr schnell mehr oder weniger offen aus, nicht zuletzt im Bereich der Wirtschafts- und Außenpolitik. Berlusconi positionierte sich auf Seiten der USA, Agnelli neigte zur EWG/EU. Während Berlusconi ein Bündnis mit den AN-Faschisten und Lega-Rassisten herstellte und sich in diesem Lager eine Wählerbasis schuf, setzte FIAT zunächst weiterhin vor allem (aber nicht ausschließlich, wie gleich zu sehen ist) auf die reformistischen Kräfte in der Arbeiterbewegung und ihr in der Linken Mitte konzentriertes Wählerpotenzial.


FIAT protegierte die rassistische Lega Nord...

Gleichzeitig fuhr der gewiefte Stratege zweigleisig. Denn zu beginn der 1990er Jahre ging es großen Industriekonzernen mit FIAT an der Spitze um die Beteiligung am supranationalen "Alpengroßraum" der EU. Das führte dazu, dass der Turiner Industriegigant 1991 das Entstehen der Lega Nord protegierte, die mit ihren Forderungen nach regionaler Autonomie und föderalen Strukturen bis hin zur Abspaltung des industriellen Norden zu einem Separatstaat Padania genau diesen Interessen diente. Als die von Berlusconi mit AN und Lega im April 1994 gebildete rechtsextreme Regierung mit ihrem hemmungslosen Sozialabbau und offen faschistoiden Maßnahmen (u. a. Proklamierung eines Präsidialregime und das bekannt werden von Listen zu Säuberungen des öffentlichen Dienstes von "linken Elementen") wochenlang anhaltende Massenkämpfe der Arbeiter mit einem Generalstreik provozierte, verließ die Lega Nord, mit 118 Abgeordneten stärkste Parlamentsfraktion, das sinkende Regierungsschiff und stellte im Parlament einen Misstrauensantrag gegen Berlusconi. Es war ein offenes Geheimnis, dass FIAT hier die Fäden zog. Da die 1991 nach der Beseitigung der IKP entstandene Partei der Kommunistischen Neugründung (PRC) und die aus der IKP hervorgegangenen Linksdemokraten der PDS den gleichen Misstrauensantrag stellten, trat Berlusconi angesichts der sich abzeichnenden Niederlage am 22. Dezember 1994 zurück. Es begann ein sogenanntes Techniker-Kabinett zu amtieren.


...und gleichzeitig die Linksdemokraten

In der Kampagne zu den Parlamentswahlen im Frühjahr 1996 gaben einflussreiche Kapitalkreise mit FIAT an der Spitze offen zu verstehen, dass sie eine Regierungskoalition mit der PDS vorziehen würden, noch dazu, wenn sie von dem Christdemokraten und Wirtschaftsprofessor Romano Prodi angeführt werde. Man erwartete, dass die Prodis Bündnis angehörende PDS besser in der Lage wäre, den Volkswiderstand gegen den Sozialabbau in Zaum zu halten. Nach dem Wahlsieg verzichtete die PDS dann auf das ihr als wählerstärkster Partei zustehende Recht, den Ministerpräsidenten zu stellen, und ließ Prodi den Vortritt. PDS-Chef D'Alema signalisierte, "für die nächsten fünf Jahre 'linker Politik' zu entsagen", was den damaligen FIAT-Chef Cesare Romiti veranlasste, das Prodi-Kabinett als "ausgezeichnete Wahl" zu bewerten.(4)

Prodi brauchte für eine Parlamentsmehrheit die Stimmen der PRC. Diese entschloss sich, angesichts der problematischen sozialen Lage, keine Minister in die Regierung zu entsenden, das Kabinett aber im Parlament zu unterstützen. Die PDS-Führung unterstützte alle Maßnahmen Prodis zur Sicherung der Rückkehr Italiens in das Europäische Währungssystem (EWS),(5) was u.a. hieß, das Haushaltsdefizit zu senken und die Inflationsrate zu drücken, um den Staatshaushalt binnen zwei Jahren zu sanieren. Neben weiteren Privatisierungen öffentlicher und staatlicher Unternehmen bedeutete das, den Sozialabbau fortzusetzen. Außenpolitisch trug die PDS die Teilnahme Italiens an der NATO-Aggression gegen Jugoslawien mit. Im Oktober 1998 stellte die PRC die Unterstützung Prodis aus Protest gegen einen Rotstifthaushalt und die Beteiligung an dieser Aggression ein.

Seitens der Linksdemokraten waren Rechtspolitik und Sozialabbau und die Teilnahme an der NATO-Aggression Eckpfeiler des politischen Niederganges, der 2001 zur Wahlniederlage der Linken Mitte und zum erneuten Sieg Berlusconis führte. Obwohl die Linkspartei unter den Parteien der Linken Mitte mehr als die Hälfte der Parlamentssitze belegte, verzichtete sie darauf, den Oppositionsführer zu stellen, und überließ diese Position dem früheren Grünenpolitiker und nunmehrigen Zentrumsmann Francesco Ruttelli.


Die FAZ warnte, FIAT auszuschalten

2001 trug zum Wahlsieg Berlusconis bei, dass die Lega ins Regierungsboot zurückkehrte. Wieder Regierungschef tönte Berlusconi vollmundig, er vertrete die Interessen der gesamten Unternehmerschaft. Er baute darauf, dass er mit Renato Ruggiero auf dem Posten des Außenministers einen Mann der FIAT-Gruppe einbezogen hatte. Der war jedoch ins Kabinett eingetreten, um Berlusconi bei der Ausbootung des Turiners Paroli zu bieten. Außerdem widersetzte er sich den vom Regierungschef verfolgten "Sonderbeziehungen" zu den USA, die darauf hinausliefen, sich deren Weltherrschaftskurs bedingungslos unterzuordnen und zwischen Brüssel und Washington zu lavieren. Als Berlusconi eine italienische Beteiligung an dem für eine von den USA unabhängige EU-Streitmacht erforderlichen Militärtransporter A400M ablehnte, brüskierte der Chefdiplomat seinen Premier: "Ich stehe für eine europäische Verteidigung". Im Januar 2002 flog der widerspenstige Minister aus dem Kabinett. Zum Hintergrund gehörte, dass Berlusconi eine Reduzierung der Vertretung der Agnellis im Confindustria-Vorstand durchgesetzt hatte. Dass Berlusconi "den alten Industrieadel" ausschalten wolle", sorge "für Zwiespalt im Unternehmerlager", vermerkte die FAZ am 4. Juni 2002 warnend. Der Medientycoon, der einen hemmungslosen Antikommunismus sowohl gegen Kommunisten als auch Linksdemokraten führte, wollte mit den Agnellis auch führende Vertreter der Kapitalkreise, die in der Arbeiterbewegung auf die Reformisten setzten, ausschalten und schließlich seinen Kontrahenten für die Teilnahme an seinem Sturz im Dezember 1994 abstrafen.

Das Spiel des Frontwechsels begann erneut, als die Linke Mitte 2006 wieder mit Romano Prodi zur Wahl antrat und, wenn auch im Senat nur mit zwei Stimmen Mehrheit, Dank der Unterstützung aus den bekannten Kapitalkreisen an die Regierung zurückkehrte. Nicht nur die Linksdemokraten, diesmal auch die beiden kommunistischen Parteien (PRC und PdCI), ordneten sich dem Kurs des Regierungschefs unter und stimmten nicht nur der Fortsetzung des Kriegseinsatzes in Afghanistan zu, sondern auch dem anhaltenden Sozialabbau. Das Ergebnis war, dass die Linke Mitte die Wahlen 2008 verlor und Berlusconi zum dritten Mal an die Macht kam.


"Liberale" Kapitalkreise liebäugeln mit der Demokratischen Partei

Zu den sich gegenwärtig gegen Berlusconi auflehnenden Industriekreisen gehören neben FIAT weitere norditalienische Industrielle, Großbanken Mittelitaliens, an ihrer Spitze die Bank von Italien, die Monte Paschi di Siena(6), Finanzgesellschaften wie Unipol, das in der Emilia ansässige wirtschaftsstarke und auch große Wählergruppen beeinflussende Genossenschaftswesen (einst eine Domäne der IKP), aber auch neue Unternehmerschichten im Süden. In dieser Gruppe liebäugeln viele mit der Demokratischen Partei. Ihnen neigt auch die große Stahlunternehmerin Emma Marcegaglia zu, mit der 2008 erstmals eine Frau Präsidentin der Confindustria wurde. Wichtigstes außenpolitisches Ziel der "liberalen" Kapitalkreise ist, einen klaren Schulterschluss mit der EU, besonders mit ihrer Hegemonialkraft Deutschland, herzustellen. Um den Niedergang der italienischen Wirtschaft zu stoppen, wollen sie sich an die "deutsche Lokomotive" ankoppeln. Wie der Corriere della Serà am 18. August 2010 schrieb, sehen sie im "deutschen Herrschaftsmodell" eine "politische Vorbildkraft". Auch die "absolute Kooperation" der deutschen Gewerkschaften im Bündnis von "Kapital und Arbeit" feiern sie als Beispiel für Italien.

Die Entwicklung wird schon bald zeigen, ob sich Kommunisten und Linkspartei erneut vor den Karren des "liberalen" Flügels des Kapitals spannen lassen.


Fußnoten:

(1) Unter Mitte Links wurden in Italien, seit 1963 der DC-Vorsitzende Aldo Moro die 1947 zusammen mit den Kommunisten aus der Regierung vertriebenen Sozialisten wieder in die Regierung aufnahm, immer entsprechende Bündnisse der bürgerlichen Mitte mit den Linken verstanden. Seit 1996 gehörten diesen Koalitionen auch die Kommunisten (PRC und PdCI) an.

(2) Repubblica, 10. Febr. 2008.

(3) Alan Friedmann: Agnelli. Das Gesicht der Macht. München 1989.

(4) FAZ, 18. Mai 1996.

(5) Aus dem EWS war Italien 1992 auf Betreiben der BRD ausgeschlossen worden, weil es die von Berlin diktierten Stabilitätskriterien von Maastricht nicht erfüllte.

(6) Die 1492 gegründete Bank ist die Älteste der Welt. 2007/08 erwarb sie von der Santandergruppe für 9 Billionen Euro die Antavenetra-Bank. Nach UniCredit und Sanpaolo ist sie die drittstärkste Bank Italiens.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2011