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EUROPA/706: Spanien - Baskischer Präsident vor dem Kadi (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 8. Januar 2008

Präsident vor dem Kadi
Dem baskischen »Lehendakari« Ibarretxe und sieben weiteren Angeklagten wird ab heute der Prozeß gemacht - wegen ihrer Friedensbemühungen während des ETA-Waffenstillstands

Von Ingo Niebel


Am heutigen Donnerstag [8.1.09] wird Juan José Ibarretxe, der »Lehendakari« (Präsident) der baskischen Regionalregierung, Geschichte schreiben: Als erster amtierender Chef einer Autonomen Gemeinschaft Spaniens muß er sich für sein Handeln vor Gericht verantworten. Ibarretxe wird zum Vorwurf gemacht, gegen das Parteiengesetz verstoßen zu haben, als er sich 2006 und 2007 mehrmals mit Vertretern der verbotenen baskischen Linkspartei Batasuna (Einheit) traf - und damit den Versuch unternahm, den baskisch-spanischen Konflikt auf politischem Weg zu lösen. Insofern symbolisiert das Verfahren beispielhaft den permanenten Ausnahmezustand, den die Madrider Zentralregierung von José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) über das Baskenland verhängt hat.

Die öffentlichen Treffen fanden während der Waffenruhe 2006/2007 der Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit) statt. Sie sollten den damals laufenden Verhandlungsprozeß stabilisieren. Dieser hätte den Konflikt zwischen dem Baskenland und Madrid politisch beenden können - eine Vorstellung, die den spanischen Rechten offensichtlich zuwider war. Die der postfrankistischen Volkspartei (PP) nahestehenden Organisationen »Forum von Ermua« und »Dignidad y Justicia« (Würde und Gerechtigkeit) bringen nunmehr Ibarretxe, fünf Batasuna-Politiker und zwei Sozialdemokraten vor den Kadi.

Bei Letztgenannten handelt es sich um Rodolfo Ares und Patxi López, zwei führende Funktionäre des baskischen Landesverbandes der spanischen Regierungspartei PSOE (Sozialistische Arbeiterpartei). Das Pikante daran: Bei den baskischen Regionalwahlen am 1. März tritt López als Spitzenkandidat der PSOE gegen den Christdemokraten Ibarretxe an und hat gute Chancen zu gewinnen - es sei denn, die Richter des Obersten Gerichts des Baskenlandes machen ihm nun einen Strich durch die Rechnung.

Als eine Ansammlung von Widersprüchen präsentierte sich der Prozeß schon im Vorfeld: Sowohl das Oberste Gericht Spaniens als auch der Sondergerichtshof für Terror- und Drogendelikte (Audiencia Nacional) hatten in den Treffen von Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi und Pernando Barrena mit dem baskischen Präsidenten und den beiden Sozialdemokraten keine Verstöße gegen das Parteiengesetz gesehen. Die baskischen Richter dagegen behaupten eben dieses. Völlig offen ist trotzdem, ob sie dem Antrag der Verteidigung folgen werden und das Verfahren mit Verweis auf die zentral unterstellte Rechtslage direkt am ersten Verhandlungstag aussetzen. Falls das nicht der Fall sein sollte, wollen die Anwälte der Beschuldigten Premierminister José Luis Zapatero und dessen Amtsvorgänger, José María Aznar als Zeugen laden lassen. Beide hatten Kontakte zwischen ihren Parteien und der ETA einerseits, Batasuna andererseits gestattet, ohne daß das strafrechtliche Konsequenzen für die Beteiligten gehabt hätte.

Vier der fünf angeklagten Batasuna-Politiker befinden sich derzeit in Untersuchungshaft, weil sie sich entgegen des Parteienverbotes politisch betätigt haben sollen. Ihnen steht diesbezüglich ein weiterer Prozeß bevor, der im Frühjahr stattfinden soll. Für Ibarretxe markiert das Verfahren, unabhängig von seinem Ausgang, den politischen Tiefpunkt seiner Karriere: Madrid hat alle seine politischen Initiativen durchkreuzt, mit denen er im Rahmen der bestehenden Verfassung mehr Souveränität für das Baskenland erreichen wollte. Er steht nicht nur vor den Trümmern seiner Politik, sondern ihm droht auch noch, als erster Präsident des Baskenlandes von einem eigenen Gericht verurteilt zu werden.

Für die linke Unabhängigkeitsbewegung ist das Verfahren eines der vielen, mit denen der spanische Staat versucht, sie zu kriminalisieren. Allerdings könnte sie aus diesem sehr speziellen Verfahren politisches Kapital schlagen: Der Prozeß zeigt, daß jegliche politische Initiative von der Madrider Politik und Justiz abhängig sein wird - solange der aktuelle Verfassungsrahmen nicht grundlegend reformiert wird.


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Quelle:
junge Welt vom 08.01.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2009