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EUROPA/779: Spanien - Mandela gut, Otegi böse (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 4. März 2010

Mandela gut, Otegi böse

Spanisches Gericht verurteilt baskischen Linkspolitiker
und fälscht die südafrikanische Geschichte

Von Ingo Niebel


Arnaldo Otegi, der Sprecher der verbotenen baskischen Linkspartei Batasuna (Einheit), wurde am Dienstag wegen »Verherrlichung des Terrorismus« zur Höchststrafe von zwei Jahren Haft und dem Verlust aller bürgerlichen Ehrenrechte für weitere 16 Jahren verurteilt. Vier weitere Angeklagte erhielten Freisprüche. Das Urteil fällte die Audiencia Nacional, das spanische Sondergericht für Terror- und Drogendelikte. Die Urteilsbegründung weist vergleichbare Fehler auf wie auch das Verfahren an sich.

Während einer Veranstaltung zu Ehren des baskischen politischen Gefangenen José María Sagarduy, »Gatza«, verglich der Linkspolitiker 2005 die Situation des Mitglieds der Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatuna (ETA, Baskenland und Freiheit) mit der des südafrikanischen Freiheitskämpfers und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela. Der Südafrikaner saß 27 Jahre hinter Gittern, bei dem Basken sind es mittlerweile drei Jahrzehnte. Otegi zeigte sich damals zuversichtlich, daß Sagarduy wie Mandela in Folge eines »politischen Prozesses« freikäme. »Diesen verdanken wir den politischen Gefangenen, Flüchtlingen und den vielen Genossen, die wir im Kampf gelassen haben - und wir werden es schaffen«. Dieser Satz führte zu seiner Verurteilung.

Richterin Angela Murillo sieht darin den Tatbestand der »Verherrlichung des Terrorismus« erfüllt, weil Otegi erstens die ETA-Mitgliedschaft von Sagarduy nicht erwähnt, zweitens es ihrer Ansicht nach weder »politische Gefangene« noch »Flüchtlinge« gibt, sondern nur verurteilte Delinquenten oder flüchtige Straftäter. Weiter behauptet sie, daß Mandela »ein echter Held war, der aus ideologischen Motiven im Gefängnis war, aber niemals Gewalt anwandte noch sie unterstütze, um die Abschaffung der Apartheid zu erreichen«.

Das entspricht nicht der historischen Wahrheit: Nach dem Verbot des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) gründete der Südafrikaner 1961 die Organisation Umkhonto We Sizwe (Speer der Nation), um den Kampf militärisch fortzuführen. 1985 lehnte er seine Freilassung ab, weil er dafür dem bewaffneten Kampf hätte abschwören müssen. Nach dem Ende des Apartheid-Regimes integrierte sich der militärische Flügel des ANC in die neue südafrikanische Armee.

Murillos Geschichtsklitterung zeigt erneut den politischen Charakter des Verfahrens. Während des Prozesses mußte die Richterin eingestehen, daß sie des Baskischen nicht mächtig war und folglich Otegis Rede nicht verstand, zumal keine spanische Übersetzung derselben vorlag. Otegi befindet sich seit Oktober 2009 in Untersuchungshaft, weil ihm die Audienca Nacional vorwirft, er hätte die ETA kontaktiert, um sie zu einem neuen Verhandlungsprozeß zu bewegen.


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Quelle:
junge Welt vom 04.03.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2010