Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

GRIECHENLAND/004: Die Horror-Liste für die Griechen (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 8 vom 24. Februar 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die Horror-Liste für die Griechen
Das Modell von morgen für ganz Europa?

Übersetzung und Zusammenstellung von Georg Polikeit


Da ist immer von "Hilfe für Griechenland" die Rede. Aber "die Griechen" bekommen davon nicht einen Cent. Im Gegenteil: sie sollen bezahlen, durch Lohnkürzungen, Arbeitsplatzverlust, Sozialabbau, Zerstörung des Tarifvertragssystems, Privatisierung des öffentlichen Eigentums. Die "Griechenland-Hilfe" der EU ist einzig und allein eine Hilfe für Banken, Finanzkonzerne und Hedge-Fonds, die damit garantiert bekommen sollen, dass sie die an Griechenland verliehenen Kredite mit Zins und Zinseszins zurück bekommen. Deshalb die von Frau Merkel verkündete Idee, ein "Sperrkonto" einzurichten, mit dem gesichert wird, dass die Zinszahlung und Rückzahlung der Gelder an Banken und Fonds auf jeden Fall Vorrang hat vor allen anderen griechischen Staatsausgaben.

Gleichzeitig behaupten die EU-Oberen, dass mit dem jüngsten Spar- und Privatisierungsdiktat der EU der griechischen Wirtschaft "geholfen" werden soll, international wieder "wettbewerbsfähiger" zu werden. Da lohnt sich der Blick darauf, wie das erreicht werden soll. Denn das Rezept, das heute den Griechen im Namen der Senkung der "Arbeitskosten" aufdiktiert wird, soll nach den Regeln des Euro-Plus- und Fiskalpakts als Modell für die "Vergrößerung der Wettbewerbsfähigkeit" in der ganzen EU zur Anwendung kommen.

Das von der Mehrheit des griechischen Parlaments am 12. Februar abgesegnete "Memorandum 2" über die jüngste Vereinbarung zwischen EU und griechischer Regierung enthält laut griechischen Quellen u. a. folgende Maßnahmen:


1. Löhne

• Senkung aller im Nationalen Allgemeinen Tarifvertrag (NGCA) und in sektoralen und Branchen-Vereinbarungen festgelegten Basislöhne (Mindestlöhne) um 22 Prozent.

• Zusätzliche Senkung des Basislohns für neu eingestellte Arbeiter unter 25 Jahren um weitere 10 Prozent, ungeachtet der 22-prozentigen generellen Kürzung, also um insgesamt 32 Prozent.

Beispiele: Ein Berufsanfänger (Single) wird von 751,39 Euro brutto auf jetzt 510,94 Euro brutto (also vor Abzügen für Steuern und Sozialbeiträge) herabgestuft. Ein verheirateter Beschäftigter ohne Berufserfahrung von 826,54 Euro auf 644,70 Euro. Ein alleinlebender Beschäftigter mit 6 Berufsjahren von 887,99 Euro (brutto) auf 692,63 Euro.

• Reduzierung der Auszubildenden-Vergütung (Beispiel Azubi im öffentlichen Dienst: von 530 Euro brutto auf 412 Euro).

• Einfrieren aller Löhne und Gehälter bis 2015. Keine Erhöhung der Löhne und Gehälter, solange die Arbeitslosenrate über 10 Prozent liegt (gegenwärtig bei etwa 20 Prozent).

• Senkung des Arbeitslosengeldes um 22 Prozent (Beispiel: von 461 Euro auf 369 Euro). Nach den neuen Bestimmungen soll die Arbeitslosenvergütung künftig 313 Euro nicht übersteigen.


2. Arbeitsrecht

• Alle bisher geltenden Tarifverträge werden ein Jahr nach der Annahme der neuen Spargesetze (also am 12.2.2013) ungültig.

• Alle neu abgeschlossenen Tarifverträge haben eine Laufzeit von mindestens drei Jahren.

• Die Fortgeltung bisheriger Tarifverträge bei fehlendem Neuabschluss wird von sechs auf drei Monate verkürzt. Bisher war ein abgeschlossener Tarifvertrag automatisch sechs Monate weiter gültig, wenn bei den Verhandlungen über einen neuen Vertrag nicht fristgerecht ein Ergebnis erreicht wurde. Diese Schutzfrist wird auf drei Monate verkürzt. Wenn dann keine Einigung erreicht ist, gilt automatisch für alle Beschäftigten der Mindestlohn des Nationalen Allgemeinen Tarifvertrags (NGCA).

• Umwandlung aller Vollzeit-Arbeitsplätze in öffentlichen Unternehmen (unbefristete Arbeitsverträge) in befristete Arbeitsverträge.

• Überprüfung des neuen Nationalen Allgemeinen Tarifvertrags (NGCA) Ende Juli 2012 mit dem Ziel der Anpassung des Grundlohns an konkurrierende Länder (Portugal, Türkei, Mittel- und Südosteuropa)

• Abschaffung des von einer Seite anrufbaren staatlichen Schiedsverfahrens. Bisher konnte eine Firma, die Verluste hatte, von vereinbarten Tarifverträgen einseitig abweichen (Lohnminderung, Kurzarbeit). Dagegen konnten die Beschäftigten einen staatlichen Schiedsmechanismus anrufen, womit die Abweichung vom Tarifvertrag bis zur Entscheidung der Schiedsstelle blockiert wurde.


3. Reduzierung der öffentlichen Dienste und Unternehmen

• Entlassungen von 15 000 Beschäftigten des öffentlichen Sektors im Jahr 2012 in die "Arbeitsreserve" (zusätzlich zu den bereits 2011 vorgenommenen Entlassungen).

• Reduzierung der Zahl der Beschäftigten im Öffentlichen Sektor bis 2015 um insgesamt 150 000.

• Neueinstellung von Beschäftigten im Öffentlichen Sektor nur noch nach der Regel "Eine Neueinstellung für fünf Abgänge".

• Reduzierung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die mit befristeten oder Teilzeitverträgen arbeiten, Nichterneuerung dieser Verträge.

• Reduzierung der Neuaufnahmen in die Akademien (Militär und Polizei), die eine automatische Beschäftigung im öffentlichen Sektor garantieren.

• Schließung zahlreicher öffentlicher Einrichtungen und
Dienststellen ab Juni 2012.

• Sofortige Privatisierung der öffentlichen Unternehmen der Wasserversorgung von Athen (EYDAP) und Thessaloniki (EYATH) sowie der staatlichen Lotterie (OPAP).


4. Renten und Sozialbeiträge

• Neues Gesetz über die Sozialversicherungsfonds mit dem Ziel der Reduzierung der Ausgaben auf insgesamt 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das heißt um 600 Millionen Euro. Von den Kürzungen betroffen sind sowohl Grundwie Zusatzrenten.

• Kürzung der Renten des Öffentlichen Dienstes (DEH), der griechischen Telecom (OTE) und der Bankbeschäftigten um 15 Prozent. (Beispiel: Beamtenrente DEH Klasse A von 1900 auf 1615 Euro).

• Kürzung der Renten im Pensionsfonds der Marine (NAT) um 7 Prozent (Beispiel: Von 900 Euro auf 765 Euro).

• Die oben genannten Kürzungen treten rückwirkend ab 1.1.2012 in Kraft.

• Neuerliche Überprüfung aller Sozialversicherungskassen im Juni 2012. Studie zur Einführung eines "Nachhaltigkeitsfaktors", der die Leistungen automatisch anpasst, um schnell jedes sich möglicherweise ergebende "Ungleichgewicht" zwischen Einnahmen und Ausgaben zu beseitigen.

• Senkung der Sozialbeiträge der Unternehmen an das Institut für Soziale Sicherheit (IKA - größte Sozialversicherungskasse für die Privatwirtschaft) um 2 Prozent im Jahr 2012 und um weitere 3 Prozent in 2013. (Damit wird das IKA 2012 mindestens 200 Millionen Euro und 2013 rd. 500 Millionen Euro weniger einnehmen. Hinzu kommen die Wenigereinnahmen infolge der Absenkung der Löhne/Gehälter und der darauf basierenden Sozialbeiträge der Arbeiter und Angestellten. Damit wird das jährliche Defizit des IKA in diesen zwei Jahren auf ca. 5 Milliarden Euro anwachsen).

• Abschaffung von zwei staatlichen Einrichtungen für die Gewährung von zinsreduzierten Krediten an Beschäftigte mit niedrigen Einkommen zum Erwerb oder für die Reparatur eines Hauses (OEK und OEE).


5. Zusätzliche Maßnahmen 2012

• Kürzungen im Gesundheitssektor und bei Ausgaben für Medikamente um 1,1 Millionen Euro.

• Reduzierung der Ausgaben für die Überstunden von Ärzten in Krankenhäusern um 50 Mio. Euro.

• Einschnitte bei einer Reihe von Sozialleistungen durch Koppelung an die Einkommenshöhe.

• Kürzung der Sozialhilfe für Familien mit mehr als drei Kindern.

• Reduzierung der operationellen und konsumtiven Staatsausgaben (laufende Ausgaben) um 300 Millionen Euro.

• Reduzierung der Investitionsprogramme der öffentlichen Hand um 400 Millionen Euro.

• Einschnitte bei verschiedenen den Ministerien für Bildung und Kultur unterstellten Einrichtungen um 200 Millionen Euro.

• Neues Steuersystem ab Juni 2012, das eine Reihe von Steuervergünstigungen zugunsten einiger Schichten der arbeitenden Bevölkerung abschafft. Größere Steuerbefreiungen für das große Kapital.


*


Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 8 vom 24. Februar 2012, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de

Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2012