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LATEINAMERIKA/1106: Mexiko - Wege zu besseren Arbeitsbedingungen in den Maquiladoras (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 112, 2/10

Empowerment und kollektive Führung
Wege zu besseren Arbeitsbedingungen in den Maquiladoras

Von Jenni Jerabek


Kathrin Pelzer traf im Herbst 2009 am Women Workers Summit in Bangkok Martha Ojeda, Geschäftsführerin der Coalition for Justice in the Maquiladoras (CJM) zu einem Gespräch. Dabei erzählte die mexikanische Aktivistin über die Ursprünge der Maquiladora-Arbeiterinnen-Bewegung, über Probleme in den Maquiladoras und über Errungenschaften gegenüber klassischen Gewerkschaften und Konzernen sowie darüber, wie Frauen ihr Leben in die eigene Hand genommen haben. Im Folgenden fasst die Autorin das Gespräch zusammen.


Maquiladoras sind Montagefabriken in der Freihandelszone an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Die meisten ArbeiterInnen sind Frauen und MigrantInnen. Martha Ojeda arbeitete seit den 70er Jahren in der Maquilaindustrie und erzählt der Frauensolidarität von den Erkenntnissen und Errungenschaften der ArbeiterInnen.

Als sich die Maquiladoras in den 1970er Jahren etablierten, finanzierte der Staat die Konzerne, damit diese den wirtschaftlichen Aufschwung ins Land bringen würden. In den Städten wurden ganze Bezirke zu Industrieparks umgebaut, Strom und Wasser wurden von der Regierung gratis zur Verfügung gestellt. Dies stellte bereits das erste Problem dar, da den angrenzenden Gemeinden genau diese Ressourcen entzogen wurden. Um überleben zu können gab es fortan nur noch zwei Möglichkeiten: entweder in den Fabriken zu arbeiten oder zu emigrieren.


Ausbeutung und Bewusstseinsänderung

Am Beginn des Aufbaus der Maquilaindustrie gab diese den ArbeiterInnen der Umgebung die Möglichkeit, Geld zu verdienen und zu konsumieren. Doch rasch änderten sich die Bedingungen, und das Arbeiten in den Maquiladoras wurde zur SklavInnenarbeit. Besonders Frauen legten doppelte Schichten ein, um ihre Familien zu ernähren, sie machten unbezahlte Überstunden und setzten sich gesundheitlichen Risiken aus. Waren sie nicht bereit dies zu tun, verloren sie ihren Job.

Martha Ojeda erzählte, dass sich das Bewusstsein der ArbeiterInnen langsam änderte: Der erste Schritt in den 1970er Jahren bedeutete, sich der Ausbeutung bewusst zu werden. In den l98Oern verschärfte sich die Situation zunehmend, und mit der NAFTA-Freihandelszone 1994 mussten die ArbeiterInnen plötzlich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu unsicheren Konditionen arbeiten. Sie erhielten nur noch ein marginales Gehalt von fünf US-Dollar am Tag, und sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen waren zunehmend an der Tagesordnung. Folter, Vermisstenmeldungen und Morde auf dem Weg von und zur Arbeit waren nicht mehr ungewöhnlich und selbst in den Gemeinden erreichte der Lebensstandard beinahe überall seinen Nullpunkt, da es weder öffentliche Dienste, noch Wasser oder Elektrizität gab, die Menschen lebten in Baracken. Damals formierten sich die ArbeiterInnen und begannen neben Demonstrationen und Streiks Konzepte zu entwickeln, um gegen die Ausbeutung vorzugehen.


Weibliche Organisation versus männliche Gewerkschaften

ArbeiterInnen begannen sich täglich zu treffen und Informationen auszutauschen. Dies fand im engen Familienkreis statt, weil so die Gemeinschaft mit einbezogen wurde und ein positives Klima produktive Gespräche ermöglichte. Es wurde diskutiert und analysiert. Fragen, die sie sich stellten waren: Was produziere ich in der Fabrik? Wie viel verdiene ich? Wie viel verdient der Konzern? Ein Beispiel einer Arbeiterin für den Textilkonzern GAP zeigte folgendes Ergebnis: Sie verdiente fünf US-Dollar am Tag, sie produzierte 3000 Einkaufstaschen für GAP am Tag, und eine Tasche kostete im Geschäft fünf US-Dollar. Also stellte sich die Frage: Wohin gingen die Einnahmen der weiteren 2999 Einkaufstaschen? Diese Erkenntnis machte den ArbeiterInnen klar, wie wichtig sie für den Profit der Konzerne eigentlich waren. Problematisch war jedoch, dass es nicht möglich war, irgendetwas dagegen zu tun. Arbeiterinnen hatten sich mit ihren Problemen an die Gewerkschaften zu wenden, die Gewerkschaften jedoch waren von Männern dominiert, die von der Regierung und den Konzernen bestochen waren und selbst nie in einer Fabrik gearbeitet hatten. Insofern galt es, die Gewerkschaften zu umgehen, eine eigene Organisation zu schaffen und ArbeiterInnen zu mobilisieren.


Widerstand

Mehrere Schritte waren notwendig, um die eigenen Bedürfnisse umsetzen zu können. Nachdem die Probleme erkannt wurden, mussten sie analysiert werden und die Informationen verbreitet werden - denn Wissen ist Macht. Ein weiterer Schritt war, sich zu mobilisieren und gemeinschaftlich zu arbeiten. Der Anfang der Koalition CJM war gekommen: eine demokratische flache Hierarchie, in der alle ArbeiterInnen dieselben Informationen inne hatten und so nicht von den Konzernen belogen und ausgebeutet werden konnten. Die Koalition entschloss sich, den Zusammenschluss zu legalisieren. Aber obwohl sie alle gesetzlichen Vorschriften eingehalten hatte, wurde sie weder von der Regierung noch von den Konzernen akzeptiert. Demonstrationen und Streiks wurden erst von der Polizei, dann von Soldaten gewaltsam niedergeschlagen. Es wurde notwendig, eigene Regeln aufzustellen und ein Heimspiel zu erlangen: Ein direktes Zusammentreffen der ArbeiterInnen mit den Konzernen musste arrangiert werden. Die Gewerkschaften wurden ausgeschlossen, damit nur die tatsächlichen ProtagonistInnen der Ökonomie verhandeln konnten. Bald fanden sich ArbeiterInnen-Organisationen aus allen Bereichen und vernetzten sich mit der CJM, um noch größeren Druck ausüben zu können.


Errungenschaften der Frauen und die Krise

Mit diesem System der gemeinsamen Zusammenarbeit wurde erreicht, dass ArbeiterInnen gerechtere Arbeitszeiten, Gesundheitsversorgung und bessere Löhne erhielten. Krumme Geschäfte der Konzerne mit den ArbeiterInnen waren nicht mehr möglich, wie z. B. ein Abendessen oder ein neues T-Shirt gegen Informationen zur Produktionsverbesserung zu erhalten. Durch das Wissensmanagement der CJM waren die ArbeiterInnen nicht mehr bestechbar. Stattdessen forderten sie in solchen Fällen die Erhöhung aller Löhne und gaben sich nicht mehr mit einem Burger zufrieden.

Die aktuelle Finanzkrise hingegen hat neue Probleme geschaffen, die Konzerne schieben Entlassungen und geringere Löhne auf den Einfluss der Wirtschaftskrise. Die ArbeiterInnen protestieren jedoch weiterhin, denn gerade in Zeiten der Krise ist es wichtig, gut bezahlte ArbeiterInnen zu haben, die konsumieren können, um wieder einen Aufschwung der Wirtschaft zu begünstigen. In diesem Sinn demonstrieren die ArbeiterInnen mutig weiter - denn die Wirtschaftskrise stellt eine nur willkommene Ausrede der Konzerne dar, um ihre Produktionskosten senken zu können.

Warum diese Bewegung besonders von Frauen getragen wurde und wird, liegt daran, dass Frauen den wichtigsten wirtschaftlichen Faktor für die kapitalistische Ära der Maquiladoras darstellen. In dieser Atmosphäre der Ausbeutung haben sich Frauen mobilisiert und ihre Rechte eingefordert. Noch gibt es viele Probleme, aber seit der Gründung der CJM in den 1980er Jahren haben die Frauen ihre Geschichte selbst in die Hand genommen und sie nicht mehr allein von der Regierung, den Gewerkschaften oder den Konzernen schreiben lassen.


Web- und Filmtipps: http://coalitionforjustice.info/cjm_website/index.html
www.maquilapolis.com:
Maquilapolis (USA/Mexiko 2006): ein Dokumentarfilm über die Arbeit in den Maquilas.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 112, 2/2010, S. 26-27
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2010