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LATEINAMERIKA/1124: Peru - Späte Suche nach Gerechtigkeit, Massakeropfer in den Anden exhumiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. August 2010

Peru: Späte Suche nach Gerechtigkeit - Massakeropfer in den Anden exhumiert

Von Angel Paéz


Lima, 27. August (IPS) - Dutzende Familien aus dem Dorf Putka in der südwestlichen Andenprovinz Huanta brachten im August etliche Nächte unter freiem Himmel zu. Sie wollten die Gräber nicht verlassen, in denen sich die Leichen ihrer Angehörigen befanden. Inzwischen wurden die 37 Opfer des sogenannten 'Weihnachtsmassakers' exhumiert.

Nach Aussagen von Überlebenden handelte es sich bei den Tätern um Mitglieder der bäuerlichen 'Selbstverteidigungsgruppen' ('rondas de autodefensa'), die während des peruanischen Bürgerkriegs von 1980 bis 2000 mit Rückendeckung der Streitkräfte gegen Rebellen und vermeintliche Sympathisanten vorgingen. Hauptschauplatz des blutigen Konflikts war die südwestliche Region Ayacucho, in der auch das 'Weihnachtsmassaker' begangen wurde.

Die Mörder von Putka kamen im Morgengrauen des 25. Dezember 1984. Zeugenaussagen zufolge wurden zahlreiche Bewohner von den Angreifern mitgenommen. Vor dem Eingang einer alten Mine seien die Männer gefoltert und Frauen vergewaltigt worden, hieß es. Dann hätten die Mörder ihre Opfer erstochen und in die Mine geschafft. Den Eingang hätten sie danach verschlossen, um die Leichen zu verstecken.

Schuhe und Kleidungsreste aus einem anonymen Grab in Putka - Bild: © Angel Paéz/IPS

Schuhe und Kleidungsreste aus einem anonymen Grab in Putka
Bild: © Angel Paéz/IPS




Eingang zu der Mine, wo die Leichen versteckt wurden - Bild: © Angel Paéz/IPS

Eingang zu der Mine, wo die Leichen versteckt wurden

Bild: © Angel Paéz/IPS

Überlebende des Massakers informierten jedoch die Familien, die die Opfer, einschließlich eine Schwangere und 13 Kinder unter 15 Jahren, bargen und in acht Gräbern bestatteten. Sie schwiegen über die schrecklichen Geschehnisse aus, da sie Racheakte der Milizen und des Militärs fürchteten. Erst viele Jahre später nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf. Mitte Februar 2010 lagen Gutachten mit den Angaben vor, wo sich die Gräber befinden. Anfang August konnten sie im Beisein der Angehörigen der Opfer geöffnet werden.

Angenommen wird, dass die Täter die Unterstützung von den in der Gegend stationierten Militärtruppen erhalten hatten. Zum Zeitpunkt des Massakers waren Angehörige von Heer und Marine in der Provinz Huanta stationiert. Im Kampf gegen den Leuchtenden Pfad konnten die Soldaten auf die Hilfe von Einwohnern mehrerer Gemeinden zählen, die sich mit Waffen gegen gewalttätige Rebellen zur Wehr setzten.


Massaker folgten dicht aufeinander

Nur wenige Wochen vor den Morden in Putka hatte das Militär bereits 123 Bewohner der Nachbargemeinde Putis getötet. Beobachter sehen einen direkten Zusammenhang zwischen den beiden Verbrechen. Das Verteidigungsministerium ließ unterdessen verlauten, nichts über die Identität der Militärs zu wissen, die in dem fraglichen Zeitraum in der Region stationiert waren.

Erst im November 2000 hatte die nichtstaatliche Nationale Koordinationsgruppe für Menschenrechte (CNDDHH) das 'Weihnachtsmassaker' an die Öffentlichkeit gebracht, nachdem ihr Augenzeugen darüber berichtet hatten. "Die Ereignisse von Putka und Putis sind keine Einzelfälle", sagte der ehemalige CNDDHH-Direktor Roland Gamarra. Schätzungen zufolge sollen insgesamt 4.600 Massengräber die Leichen von 15.000 'Verschwundenen' bergen.


Kinderkleidung in Gräbern gefunden

"Die Exhumierung war für die Familien sehr schmerzlich", sagte Karina Chávez von der christlichen Vereinigung 'Frieden und Hoffnung', die die Hinterbliebenen als Anwältin vertritt. "Die Angehörigen erkannten Kleidungsstücke wieder, auch die der Kinder."

Eine Wahrheitskommission hatte von 2001 bis 2003 Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs untersucht. Der Bericht der Kommission bestätigte, dass Soldaten die Bauernmilizen im Kampf ausbildeten und mit Waffen ausstatteten. Befehlshaber des Militärs autorisierte die Milizen demnach, Verdächtige festzunehmen und mitzunehmen.

Nach Erkenntnissen der Kommission konnten die Bauernverbände ihre Machtstellung in Ayacucho in dem Jahr des Weihnachtsmassakers deutlich ausbauen. Vom Militär erhielten sie praktisch einen Freibrief. Die Milizen reagierten nicht nur auf Angriffe, sondern suchten gezielt in Nachbardörfer nach Verdächtigen. 1991 legalisierte die damalige Regierung von Präsident Alberto Fujimori die Milizen und ließ sie bewaffnen. Die Familien der Opfer von Putka fürchten, dass die Täter auch weiterhin straffrei bleiben werden. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.pazyesperanza.org/
http://www.derechos.net/cnddhh/
http://derechoshumanos.pe/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96136

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. August 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2010