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LATEINAMERIKA/1141: Abbau von 500.000 Arbeitsplätzen in Kuba - Reform als nationale Herausforderung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. September 2010

KUBA: Abbau von 500.000 Arbeitsplätzen - Reform als nationale Herausforderung

Von Patricia Grogg


Havanna, 15. September (IPS) - Der von Kubas Regierung beschlossene Abbau von 500.000 Arbeitsplätzen bis zum ersten Quartal 2011 erweist sich als eines der schwierigsten Probleme für den Reformprozess in einem Land, das Arbeitslosigkeit bislang nicht kannte.

Ein im Handel Beschäftigter versteht die Welt nicht mehr: "Über Jahre haben sie mir gesagt, dass die Vollbeschäftigung eine Errungenschaft der Revolution ist, und jetzt ist die Rede von zu großen Belegschaften."

Wie aus einer jüngsten Erklärung des zentralen kubanischen Gewerkschaftsbundes 'Central de Trabajadores de Cuba' (CTC) hervorgeht, ist es die Pflicht der CTC, die bevorstehenden Anpassungen auf dem Arbeitsmarkt systematisch zu kontrollieren. Bei den in Angriff genommenen Veränderungen bleibe die "Einheit der Arbeiter" auch weiterhin die "wichtigste strategische Waffe".

Die Frage beschäftigt auch die Versammlungen, die die Kommunistische Partei Kubas in den Fabriken einberuft, um der Regierung den politischen und sozialen Konsens zu verschaffen, der für den Reformprozess unerlässlich ist. Nach Ablauf von fünf Jahren sollen mehr als eine Millionen Stellen im dominierenden staatlichen Sektor abgebaut sein.

Der CTC zufolge vollzieht sich der Stellenabbau zeitgleich mit der Aktualisierung des kubanischen Wirtschaftsmodells und sei bereits bei den wirtschaftlichen Hochrechnungen für den Zeitraum 2011 bis 2015 berücksichtigt. Die Öffentlichkeit hat den Fünfjahresplan bislang jedoch noch nicht gesehen.


Mehr berufliche Selbständigkeit

Die Gewerkschaft spricht von der Notwendigkeit, die entbehrlichen Arbeitsplätze zu ermitteln. Den Beschäftigten, die ihre Stelle verlieren, soll entweder ein anderer Arbeitsplatz verschafft oder eine berufliche Neuorientierung ermöglicht werden. Zugleich sollen die Optionen für Kubaner, sich ein eigenes Auskommen zu schaffen, diversifiziert werden. Dazu gehört beispielsweise die Berechtigung, privaten Wohnraum zu vermieten, sich zu Kooperativen zusammenzuschließen und auf eigene Rechnung zu arbeiten.

Schon heute sei absehbar, dass sich in den kommenden Jahren Hunderttausende Beschäftigte in diese Richtung bewegen würden, so der CTC in seiner Erklärung. 2009 waren rund 5,7 Mio. Kubaner erwerbstätig, unter ihnen fast zwei Millionen Frauen.

Die kubanische Regierung hofft, mit einer grundlegenden Umstrukturierung der Arbeit die wirtschaftliche Produktivität zu steigern. Außerdem soll die Disziplin der Beschäftigten und die Effizienz der Ressourcennutzung erhöht werden. Kubas Präsident Raúl Castro hatte im August erklärt: "Es muss ein für allemal Schluss sein mit der Vorstellung, dass Kuba das einzige Land der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten."

Angesichts des bevorstehenden Stellenabbaus fragen sich viele Kubaner, wie weit die Möglichkeiten selbständiger Arbeit gehen werden. Wie die steuerlichen Regelungen aussehen sollen, ist bislang unbekannt. Der kubanische Wirtschaftswissenschaftler Omar Everleny Pérez Villanueva weist in einer unveröffentlichten Studie darauf hin, dass es eine ganze Reihe ungelöster Fragen gebe wie die Vergabe finanzieller Hilfen an Selbständige. Diese könnten zudem bisher nicht ohne weiteres Personal einstellen.


Perspektiven in Zukunftssektoren

Im Jahr 2004 arbeiteten 166.700 Kubaner 'auf eigene Rechnung', 39.600 von ihnen Frauen. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung - eine Phase, die 1995 begann - hatten bis zu 200.000 Kubaner selbständig gearbeitet. Die Zahl sank allerdings wieder, auch weil die Regierung die Lizenzen für viele Gewerbe wieder zurücknahm. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen sich zum anderen in jenen Sektoren, in denen stark investiert wird. Hierzu zählen die Erdölindustrie, die Baubranche, die Biotechnologie, die Pharmazie und der Tourismus.

Der kubanische Gewerkschaftsbund versichert, der Wandel in der Beschäftigungspolitik werde ganz allmählich vollzogen und alle Sektoren der Volkswirtschaft erfassen. Den Beschäftigten müsse klar sein, dass Arbeitsplätze künftig nicht mehr auf unabsehbare Zeit geschützt oder subventioniert werden könnten. Die Entscheidung, wer die verbleibenden Arbeitsplätze besetze, hänge von der jeweiligen Eignung jedes einzelnen Beschäftigten ab. Ziel der Reformen sei es, das Produktionsniveau anzuheben und die Qualität der Dienstleistungen zu verbessern. (Ende/IPS/bs/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2010