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LATEINAMERIKA/1159: Argentinien - Kampagne für das Recht auf Abtreibung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. September 2010

Argentinien
Kampagne für das Recht auf Abtreibung - Präsidentin Fernández dagegen

Von Marcela Valente


Buenos Aires, 30. September (IPS) - Nachdem in Argentinien ein Gesetz verabschiedet wurde, das gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt, hoffen Frauenorganisationen nun auf die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, stellten sie bei verschiedenen Gerichten des südamerikanischen Landes einen Antrag auf Habeas corpus.

"Wir haben uns für diese Rechtsfigur entschieden, weil sie die Freiheit der Person schützt", erläuterte Gabriele Sosa vom Frauenkollektiv Juana Azurduy, das unter dem Namen 'Las Juanas' besser bekannt ist. "In Fällen einer Schwangerschaft und eines möglichen Abbruchs verlangen wir präventiv von der Justiz, dass sie uns schützt." Der Habeas corpus-Grundsatz besagt, dass jede Freiheit entziehende Maßnahme ohne richterliche Anordnung unzulässig ist.

Die unter Federführung der Las Juanas gestellten Habeas-corpus-Anträge beinhalten die Forderung, die Bestrafung von Abtreibungen als verfassungswidrig zu erklären, und die Landesgesetze an internationales Recht anzupassen, das Frauen die Entscheidung über ihren Körper garantiert.

Offenbar ist das gesellschaftliche Klima günstig für das Anliegen der argentinischen Frauenverbände. "Wer hätte sich vor kurzem noch vorstellen können, dass in Argentinien die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt wird? Die Politik greift auf, was die Gesellschaft bewegt", sagte Sosa. Allerdings räumte sie ein, dass im Vorfeld der Wahlen im kommenden Jahr kein Kandidat das heiße Eisen Schwangerschaftsabbruch anfassen wolle.


Abtreibungsverbote wirkungslos

Derzeit sind Abtreibungen in Argentinien verboten und werden mit Gefängnisstrafen geahndet. Ausnahmen gelten nur für geistig behinderte Frauen, deren Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückzuführen ist, und in Fällen, in denen das Leben der Mutter durch Schwangerschaft oder Geburt gefährdet ist. Dennoch werden in Argentinien Jahr für Jahr 460.000 bis 600.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, wie Wissenschaftler der Universität Buenos Aires und dem argentinischen Zentrum für Bevölkerungsstudien herausfanden.

In Lateinamerika werden Schwangerschaftsabbrüche fast überall strafrechtlich verfolgt - die einzigen Ausnahmen sind Kuba, Puerto Rico und Mexiko-Stadt. Die Gesetzeslage in den übrigen Ländern ist unterschiedlich. Während Chile, El Salvador und Nicaragua ausnahmslos alle Schwangerschaftsabbrüche als Straftat ahnden, sind sie in anderen Ländern in einem kleinen Rahmen zulässig.

Trotz der Kriminalisierung der Abtreibung gehen in der Region etwa vier Millionen Frauen das rechtliche und gesundheitliche Risiko ein, eine Schwangerschaft vorzeitig abzubrechen. 13 Prozent der Todesfälle schwangerer Frauen gehen auf unfachgemäß vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche zurück. Die Las Juanas weisen darauf hin, dass "heimliche" Abtreibungen in Argentinien die Haupttodesursache bei schwangeren Frauen sind.

Aus diesem Grund haben argentinische Frauenorganisationen am 28. September, dem Lateinamerikanischen Tag für eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, eine Kampagne für straffreie Abtreibungen gestartet. Unterstützt werden sie von der Gefangenenhilfsorganisation 'Amnesty International', die die Abschaffung aller Rechtsnormen fordert, die Frauen und junge Mädchen für die Absicht und die Durchführung eines Abortes hinter Gittern bringen.

Abtreibung ist in Argentinien schon seit langer Zeit ein Thema und wird vor allem von konservativen Kreisen abgelehnt. Doch in diesem Jahr scheinen die Umstände für eine Entkriminalisierung günstiger denn je. Seit März prüft das Abgeordnetenhaus des Zweikammerparlaments ein entsprechendes Gesetzesprojekt. Etwa 50 Abgeordnete unterschiedlicher Parteien haben bereits ihre Zustimmung erkennen lassen.

Die Gesetzesinitiative, die Abbrüche bis zum 12. Schwangerschaftsmonat vorsieht, könnte im Oktober im Parlament diskutiert werden. Nie zuvor war in Argentinien ein Gesetzesprojekt zur Abtreibung - es gab rund 20 davon - in ein so fortgeschrittenes Stadium eingetreten. Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández allerdings hat sich gegen eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ausgesprochen. (Ende/IPS/bs/2010)


Links:
http://www.lasjuanas.org.ar/index.html
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96525


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. September 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2010