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LATEINAMERIKA/1173: Brasilien - Rousseff soll siegen, Arbeiterpartei will Anhänger mobilisieren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Oktober 2010

Brasilien: Rousseff soll siegen - Arbeiterpartei will ihre Anhänger mobilisieren

Von Fabiana Frayssinet


Rio de Janeiro, 27. Oktober (IPS) - Vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in Brasilien am 31. Oktober mobilisiert die regierende Arbeiterpartei (PT) die Massen, um ihrer Kandidatin Dilma Rousseff zum Sieg zu verhelfen. Erwartet wird, dass sich die Anhänger von Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva, der seit 2002 regiert und nach zwei Amtsperioden nicht erneut kandidieren darf, geschlossen auf die Seite seiner Wunschnachfolgerin stellen werden.

Die PT versucht die während der achtjährigen Regierungszeit träge gewordene Basis erneut zum Leben zu erwecken. Politische Beobachter gehen davon aus, dass die Wähler die Notwendigkeit sehen, die von Lula da Silva herbeigeführten Fortschritte zu verteidigen. Er erreichte unter anderem ein höheres Wirtschaftswachstum, beseitigte soziale Ungleichheiten und verschaffte Brasilien eine prominente Rolle auf der internationalen politischen Bühne.

Auch die Wähler, die im ersten Wahlgang am 3. Oktober nicht für Rousseff gestimmt haben, sind jetzt aufgerufen, einen Sieg der Sozialdemokratischen Partei und ihres Kandidaten José Serra zu verhindern. Mit einer Mischung aus Politik und Kultur wollte die Arbeitspartei in den vergangenen Wochen die noch unentschlossenen Bürger zur Unterstützung von Rousseff motivieren. Am 24. Oktober fand eine Kundgebung auf der berühmten Copacabana in Rio de Janeiro statt.


Wahlkampfwerbung im Sambaschritt

Anspielungen auf den in der Bevölkerung äußerst beliebten Karneval durften dabei nicht fehlen. Die 'Sambaschule von Dilma' rückte mit einem Orchester an, um für Rousseff zu werben. Bei der ersten Wahl erhielt die Wirtschaftswissenschaftlerin 47 Prozent der Stimmen, während Serra 31 Prozent auf sich vereinte. In den Umfragen vor dem zweiten Wahlgang liegt Rousseff mit 50 Prozent vor Serra, der demnach mit 40 Prozent der Stimmen rechnen kann.

"Ich bin Dilmas Fahnenträgerin", sagte Maria Elena von der traditionellen Sambaschule 'Emperatriz' IPS. Lula da Silva sei der Erste gewesen, der sich im Land um die Armen gekümmert habe. Umfragen zufolge liegt sein Beliebtheitsgrad bei 80 Prozent. "Dank Lula haben mehr arme Menschen Chancen erhalten", fügte eine andere Frau hinzu. Die Einkommen seien anders verteilt worden.

Vor den Tänzern marschierten bekannte PT-Politiker wie Umweltminister Carlos Minc. Er unterstütze Rousseff, weil sie die Umweltpolitik weiter voranbringen könne, erklärte er, während er zu den Samba-Rhythmen tanzte.

Der Soziologe Emir Sader hat in einem Theater der Stadt zahlreiche Aufführungen organisiert, mit denen die PT weitere Wähler gewinnen will. Viele Brasilianer sind auf die Seite der Arbeiterpartei gewechselt, als der Abstand zwischen den beiden Kandidaten geschrumpft war.

Auf den Wahlkundgebungen zeigten sich Politiker, Intellektuelle, Kirchenvertreter und Künstler darin einig, dass Bildung, Kultur und Nachhaltigkeit in Brasilien hohe Priorität erhalten müssten. Auch die Beseitigung von Elend und sozialer Benachteiligung seien wichtige Herausforderungen, hieß es. Zu den Unterstützern Rousseffs zählen auch der bekannte Sänger Chico Buarque und der Architekt der Hauptstadt Brasilia, Oscar Niemeyer.


Lob für Lulas "Revolution ohne Gewalt"

Der Befreiungstheologe Leonardo Boff unterstrich, dass Lula da Silva eine "Revolution ohne Gewalt" herbeigeführt habe, um den Bedürfnissen der Allerärmsten gerecht zu werden. "Die herrschenden Klassen ertragen es nicht, dass ein Sohn der Armut, der von ganz unten kam und viel Leid überstanden hat, Präsident geworden ist", erklärte Boff, der damit auf die Anhänger von Serras Partei anspielte. "Viele von ihnen hätten es wohl am liebsten gesehen, wenn Lula da Silva weiter als Metallarbeiter in der Fabrik gearbeitet hätte."

Auch der Führer der Landlosen-Bewegung, João Pedro Stédile, meldete sich zu Wort. "Wir vertreten eine kollektive Position, die bereits von den ersten sozialen sozialen Bewegungen in diesem Land diskutiert wurde", sagte er. Zugleich nähmen die Landlosen das Recht in Anspruch, die Regierung von Lula da Silva auch kritisieren zu dürfen. Laut Stédile stellt sich die Landlosen-Bewegung hinter Rousseff, um Serra davon abzuhalten, als Präsident seine "neoliberale" und "faschistische" Politik umzusetzen.

Die sozialen Organisationen sind sich weitgehend einig darüber, dass ein Sieg von Serra, der im Kabinett von Präsident Fernando Henrique Cardoso (1995-2003) Gesundheitsminister war, die Demokratie im Land schwächen und den Einfluss der USA auf Brasilien vergrößern würde.

Dass sich Rousseff im ersten Wahlgang nicht weiter von Serra absetzen konnte, führt Ricardo Ismael von der katholischen Pontificia-Universität in Rio de Janeiro vor allem auf den Widerstand von Vertretern religiöser Gemeinschaften zurück. Im Wahlkampf hat es eine konservative Offensive gegen die Kandidatin gegeben, die als Befürworterin von Abtreibungen kritisiert wurde. In Wirklichkeit hat sich Rousseff jedoch nie öffentlich zu diesem Thema geäußert. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2010