Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1178: Peru - Nach achtjähriger Flucht, USA liefern den "Anden-Schlächter" aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. November 2010

Peru: Nach achtjähriger Flucht - USA liefern den 'Anden-Schlächter' aus

Von Angel Páez


Lima, 4. November (IPS) - Die USA liefern einen früheren peruanischen Offizier aus, der für ein Massaker an 69 Bauern im Jahr 1985 verantwortlich gemacht wird. Telmo Hurtado hatte sich vor zehn Jahren durch die Flucht nach Miami dem Zugriff der Justiz entzogen.

Hurtado, der in den Medien als 'Anden-Schlächter' bekannt wurde, hatte sich gegen die Auslieferung gewehrt und ein Haftprüfungsverfahren beantragt. Im Falle seiner Rückkehr sei sein Leben in Gefahr, da er sich an der Niederschlagung der linksgerichteten Guerilla beteiligt habe, erklärte er.

Die Justiz in Florida lehnte jedoch ein Berufungsverfahren ab und entschied, dass Hurtado in seine Heimat überstellt wird. Die zuständigen Richter bezogen sich in ihrem Ende Oktober gefällten Urteil auf ein 2001 mit Peru unterzeichnetes Auslieferungsabkommen.

In Peru wurde unterdessen ein Prozess gegen weitere 29 Ex-Militärs eröffnet, die ebenfalls mit dem Massaker in der südperuanischen Gemeinde Accomarca in Verbindung gebracht werden. Es war eines der größten Verbrechen, dass die Streitkräfte des südamerikanischen Landes während ihres Kampfes gegen die Rebellen zwischen 1980 und 2000 begangen haben.


Zu Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt

Hurtado fiel der Justiz in den USA vor einigen Jahren auf. Im April 2007 nahmen ihn in Miami Beamte der Einwanderungsbehörde fest, da er bei der Einreise ein schwebendes Menschenrechtsverfahren gegen ihn in Peru verschwiegen hatte. Im März 2008 verurteilte ihn ein Bundesrichter in Miami zu Entschädigungszahlungen von 37 Millionen US-Dollar an zwei Überlebende des Massakers. Das Gericht empfahl außerdem seine Auslieferung nach Peru.

Angehörige von Opfern erwarten nun die Rückkehr Hurtados. "Ich möchte vor ihm stehen und ihn auffordern, dass er die Wahrheit sagt", erklärte Emiliano Quispe, der Vorsitzende der Vereinigung von durch politische Gewalt geschädigten Familien in Accomarca, im Gespräch mit IPS.

Die Menschenrechtsaktivisten erhoffen sich Auskünfte über die Hintermänner des Massakers. Hurtado habe gesagt, dass er die Morde aus eigenem Antrieb begangen habe, berichtete Quispe. "Das ist aber eine Lüge. In der Zeit hat niemand nur auf eigene Verantwortung gehandelt.

Quispe hat bei dem Angriff des Militärs auf das Dorf seine Mutter und weitere 30 Verwandte verloren. Die Täter waren Soldaten einer Patrouille, die unter dem Befehl von Hurtado stand. "Die Stunde der Gerechtigkeit ist gekommen", betonte er. "Ich danke dem Gericht in den USA dafür, dass Telmo Hurtado ausgeliefert wird und seine verdiente Strafe erhält."

Die Rechtsanwältin der Opferfamilien, Karim Ninaquispe, rechnet mit einer raschen Überstellung des ehemaligen Offiziers. Nachdem das Gericht sein Urteil gesprochen habe, müsse nur noch US-Außenministerin Hillary Rodham Clinton der Auslieferung zustimmen.

Nach Kenntnis von Ninaquispe hat Hurtado keine Möglichkeit mehr, einen weiteren Berufungsantrag zu stellen. Die Staatsanwaltschaft in Peru habe für ihn und etwa 20 weitere Angeklagte 25 Jahre Haft ohne Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung beantragt, sagte die Anwältin.

Hurtado hatte seinen Berufungsantrag in den USA auch mit dem Argument begründet, er sei bei einem Verfahren in Peru bereits entlastet worden. Tatsächlich hatte ihn ein Gericht 1992 vom Vorwurf des Mordes freigesprochen, ihn aber wegen Amtsmissbrauch in Verbindung mit dem Massaker zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Hurtado hatte sich damals vor Gericht ausführlich zu den Vorfällen in Accomarca geäußert.


Amnestiegesetz verhalf Hurtado zur Freiheit

Drei Jahre später kamen er und andere inhaftierte Militärs aufgrund eines von dem damaligen Staatspräsidenten Alberto Fujimori erlassenen Amnestiegesetzes wieder frei. Die Menschenrechtsvorwürfe wurden daraufhin fallen gelassen.

Nachdem die Regierung dieses Gesetz inzwischen außer Kraft gesetzt hat, wurden die Verfahren im November 2000 wieder neuaufgerollt. Hurtado floh kurz darauf nach Miami, wo er Verwandte hat.

Einige Zeugen belasteten Hurtado stark. Ein ehemaliger Soldat, Francisco Marcañaupa, sagte 2008 vor Gericht aus, dass alle Dorfbewohner in einem kleinen Gebäude zusammengetrieben wurden. "Sie schossen nicht und taten uns auch sonst nichts", erklärte er. Plötzlich habe Hurtado jedoch das Feuer auf sie eröffnet und eine Granate auf das Haus geworfen.

Laut einem anderen früheren Armeeangehörigen, José Contreras, hatten die Soldaten den Befehl erhalten, keine Zeugen zu hinterlassen. Weil nicht alle von der Granate getötet worden seien, habe er das Feuer auf die Überlebenden eröffnet und angeordnet, das Haus anzuzünden. "Wir werden bei allen Sitzungen dabei sein und darauf achten, dass ihn die ganze Härte des Gesetzes trifft", sagte Quispe. Die meisten Einwohner von Accomarca seien weggezogen. Sie hätten es nicht mehr ertrage, an einem Ort zu leben, an dem ihre Familien ermordet wurden.

Der 'Anden-Schlächter' ist nicht der einzige Beschuldigte, der sich der Justiz zu entziehen versuchte. Von den 29 Offizieren sind zurzeit zehn flüchtig. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://accomarca.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96800


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. November 2010
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2010