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LATEINAMERIKA/1200: Kuba - CDs mit Essays zur Gegenwartskultur gratis verbreitet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2010

Kuba: Nacht der 1001 Texte - CDs mit Essays zur Gegenwartskultur gratis verbreitet

Von Dalia Acosta


Havanna, 10. Dezember (IPS) - Die legendäre Scheherazade erlebt in Kuba eine Renaissance. Eine CD mit 1001 Texten soll den Lesern in dem Karibikstaat einen besseren Überblick über die internationale Gegenwartskultur geben.

Das 'Centro Teorico Cultural Criterios' verfolge das Ziel, Informationen zu verbreiten, "die aus wirtschaftlichen oder kulturpolitischen Gründen in Kuba nicht in Umlauf gebracht werden und somit in Buchhandlungen und Bibliotheken nicht zu finden sind", erklärte der Direktor der Initiative, Desiderio Navarro, im Gespräch mit IPS.

Navarro organisierte auch die 'Nacht der 1001 Texte', bei der auf CD gebrannte Schriften allen Interessierten kostenlos zugänglich gemacht wurden. Monatelang hatte das Zentrum Texte über Literatur, bildende Kunst, Kino, Theater, Musik, Tanz, Fernsehen, Architektur und Religion zusammengetragen.

Den größten Teil der Artikel erhielten Navarro und seine Mitarbeiter über Email zumeist von den Autoren selbst. Darunter waren auch Texte zum Verhältnis der Geschlechter, zur Situation von Schwulen und Lesben und zu neuen Informationstechnologien wie dem Internet.

Bereits 2007 und 2009 waren solche CDs verteilt worden. Insgesamt hat 'Criterios' also schon 3003 Texte auf Spanisch und in anderen Sprachen verbreitet, zu denen die Kubaner ansonsten nur unter großen Schwierigkeiten Zugang erhalten hätten. Darunter sind auch Essays des französischen Soziologen Pierre Bourdieu und des indischen Theoretikers Homo K. Bhabha, der als Experte für Postkolonialismus gilt.


"Massive Injektionen" von kulturellem Gedankengut

Navarro sprach von "massiven Injektionen" von kulturellem Gedankengut der Gegenwart aus aller Welt. "Dabei habe ich mir nicht vorgenommen, die bestehenden Lücken zu schließen. Das wäre utopisch", meinte der Kunstkritiker. "Ich will aber erreichen, dass die Leute etwas erfahren, das sie bis jetzt nicht kannten."

Offiziellen Statistiken zufolge hatten 2008 nur 1,4 Millionen der insgesamt rund 11,2 Millionen Kubaner zu Hause einen Telefonanschluss. Knapp 630.000 Menschen auf der Insel besaßen einen Computer. Lediglich 13 Prozent von ihnen hatten Zugang zum Internet.

'Criterios', das 2012 seinen 40. Geburtstag feiert, setzte sich bereits vor dem digitalen Zeitalter für einen kulturellen Informationsaustausch ein. Die einstige Beilage der Zeitschrift 'La Gaceta de Cuba' hat sich im Laufe der Jahre zu einer in Lateinamerika einzigartigen Kulturinitiative entwickelt.

Navarro, der aus 15 Sprachen übersetzt, hat es trotz knapper finanzieller Mittel geschafft, mehr als 350 kritische Essays zu Ästhetik, Literaturtheorie und bildender Kunst zu veröffentlichen. Über 200 Autoren aus etwa 30 Ländern, auch aus dem damaligen Ostblock, beteiligten sich an dem Projekt.

Eine Debatte über die kubanische Kulturpolitik der sechziger und siebziger Jahre gab 'Criterios' 2007 den Anstoß, eine Reihe von Vorträgen zu organisieren. Darin wurde beleuchtet, wie es dazu kommen konnte, dass die Kultur in Kuba einer Zensur unterliegt. "Die Geschichte darf sich nicht wiederholen", lautete das Fazit. Kritisiert wurde auch, dass zahlreiche Leute aufgrund ihrer sexuellen und religiösen Orientierung aus dem Bildungs- und Kulturbereich ausgegrenzt wurden.


Gebrannte CD gegen Rohling zu haben

Jeder, der in diesem Jahr eine CD mit 1001 Texten mitnehmen wollte, musste Navarro als Gegenleistung einen Rohling übergeben. Zahlreiche Kubaner, vor allem junge Leute, beteiligten sich an dem Tauschgeschäft.

Eigentlich sei sein Angebot so ähnlich wie das einer Bibliothek, meinte Navarro. Die Texte würden kostenlos zu nicht-kommerziellen Zwecken verteilt und dürften nicht reproduziert werden. Für die Zukunft wünscht er sich, dass sich mehr Menschen aus älteren Generationen für die Aktion interessierten. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.criterios.es/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97090


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 13. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2010