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LATEINAMERIKA/1256: Guatemala - Biotreibstoffboom verschärft Problem der ungleichen Landverteilung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. März 2011

Guatemala: Vertreibung indigener Bauern - Problem der ungleichen Landverteilung

Von Danilo Valladares


Guatemala-Stadt, 29. März (IPS) - Im Nordwesten Guatemalas sind 3.000 ethnische Kekchíe von Ländereien vertrieben worden, auf die private Agrarunternehmen Anspruch erheben. Der Konflikt ist einer von vielen Landstreitigkeiten, die historische Ursachen haben, jedoch wegen handfester Wirtschaftsinteressen zu Lasten der armen Bauern entschieden werden.

Sicherheitskräfte hatten am 15. März im Polochic-Tal im Gemeindebezirk Panzós in Alta Verapaz mehrere Fincas geräumt, auf denen sich indigene Bauern niedergelassen und Nahrungsmittel angebaut hatten. Bei dem Einsatz wurden dutzende Ureinwohner verletzt, ein Bauer kam ums Leben. "Es gibt hier nichts mehr, was wir ernten könnten", berichtet Jorge Chocoj, der mit seiner Familie zum Verlassen der Finca San Pablo Pamoxan genötigt worden ist.

Hinter den Vertreibungen im Polochic-Tal steckt das Ziel, auf möglichst viel Land Zuckerrohr für die Produktion der seit 2005 international gefragten Biotreibstoffe anzubauen. Zuckerrohr ist inzwischen das zweitwichtigste Anbauprodukt Guatemalas nach Kaffee.

Es sei jedoch gar nicht klar, ob die Industrieunternehmen einen Anspruch auf die Ländereien hätten, meint dazu die Wissenschaftlerin Laura Hurtado, die für das Guatemala-Büro der Hilfsorganisation 'ActionAid' tätig ist. Seit der Ankunft der spanischen Kolonisatoren sei der bäuerliche Landbesitz von Generation zu Generation weitervererbt wurde.

"Die Unternehmen wollen sich im Polochic-Tal immer mehr Grundstücke für den Zuckerrohranbau beschaffen", so Carlos Barrientos, Leiter des Komitees für bäuerliche Einheit. Für die Bauernfamilien vor Ort sei das ein großes Problem, da man ihnen dadurch die Flächen für den Maisanbau fehlen. "Um zu überleben, sind sie gezwungen, Gründstücke zu besetzen", erläutert er.


Kleinbauern den Wirtschaftsinteressen geopfert

Eduardo Sacayón, Direktor des Instituts für interethnische Studien an der staatlichen Universität von San Carlos de Guatemala, kritisiert, dass die Regierung ausschließlich die Interessen der Großindustrie wahrnimmt. Dabei verschärfe der Biotreibstoffboom das alte Problem der ungleichen Landverteilung.

Fast 80 Prozent der produktiven Agrarflächen befinden sich in der Hand von fünf Prozent der 14 Millionen Guatemalteken. Die Hälfte der Bevölkerung des zentralamerikanischen Landes ist nach Angaben der Vereinten Nationen arm, 17 Prozent der Menschen sind sogar extrem arm. Die Ereignisse in Alta Verapaz spiegeln nach Ansicht Sacayóns diesen verschleppten und historischen Agrarkonflikt wieder.

Die ungerechten Landbesitzverhältnisse hatten in der Vergangenheit zu Maßnahmen geführt, die blutige Kriege und Staatsstreiche zur Folge hatten. 1952 zog der damalige Staatspräsident Jacobo Árbenz (1951-1954) im Rahmen einer Landreform brachliegende Grundstücke von Großgrundbesetzern ein, um sie an die armen Bauern zu verteilen. Doch nur zwei Jahre später wurde Árbenz mit aktiver Hilfe der USA gestürzt.


Ungerechte Landverteilung kriegstreibend

Das ungeklärte Problem des Großgrundbesitzes spielte zudem eine entscheidende Rolle für den Ausbruch des guatemaltekischen Bürgerkrieges (1960-1996), der mehr als 200.000 Menschen das Leben kostete. Die Friedensverträge von 1996 zwischen der linken Rebellenorganisation Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas und der Regierung tragen diesem Umstand Rechnung. Sie beinhalten ein Kapitel, das neben sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit auch eine Demokratisierung der Landbesitzrechte in Aussicht stellte. Doch bis heute ist der Staat die Umsetzung des Versprechens schuldig geblieben.

Stattdessen zeigen die Vertreibungen in Alta Verapaz, auf wessen Seite die Regierung von Álvaro Colón steht. "Die Vertreibungen enthalten zudem eine wahltaktische Botschaft an die herrschende Klasse: 'Seht her, wir sind mit Euch und haben kein Interesse daran, den Forderungen der Bauern nachzukommen'", meint Eduardo Sacayón. Die Wahlen finden im September statt.

Den Vertriebenen wurden bisher keine Alternativen angeboten. Einige Familien kampieren am Rand der Straßen und bitten um Lebensmittel, während andere Bauerngemeinden in der Angst vor der Vertreibung leben.

Der fehlende politische Wille, den Bauern im Lande zu helfen, manifestiert sich nach Ansicht von Laura Hurtado auch am Umgang mit dem Gesetz für Integrale ländliche Entwicklung, das derzeit im Parlament festhängt. "Besonders besorgniserregend", so die Wissenschaftlerin, "ist jedoch die ausschließlich strafrechtliche Auseinandersetzung mit einem sozialen Problem". (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.idei.usac.edu.gt/
http://www.actionaidguatemala.org/espanol/
http://www.cuc.org.gt/es/
http://www.ipsnoticias.net/print.asp?idnews=97857

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2011