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LATEINAMERIKA/1313: Bolivien - Morales unter Druck, Indigene fordern mehr Rechte in ihren Gebieten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Oktober 2011

Bolivien: Präsident Morales unter Druck - Indigene fordern mehr Rechte in ihren Gebieten

von Franz Chávez


La Paz, 25. Oktober (IPS) - Proteste von Ureinwohnern in Bolivien haben Staatspräsident Evo Morales dazu gezwungen, den umstrittenen Bau einer Schnellstraße durch ein Naturschutzgebiet definitiv einzustellen.

Morales, der Anfang 2006 als erster Indigener das höchste Staatsamt in dem Andenstaat übernommen hatte, kehrte mit seiner Entscheidung zu seinem Wahlspruch 'regieren und dem Volk zuhören' zurück. Vor dem Präsidentenpalast hatten Hunderte Frauen, Männer und Kinder aus dem zentralen Ureinwohnergebiet und Nationalpark Isiboro Sécure' (Tipnis') demonstriert, die nach einem 66 Tage langen Fußmarsch in die Hauptstadt gekommen waren.

Der linksgerichtete Präsident hatte bis vor kurzem eisern an dem Vorhaben festgehalten, die Verwaltungsbezirke Cochabamba im Zentrum und Beni im Norden des Landes durch eine Straße miteinander zu verbinden. Das Projekt sollte mit einem Kredit in Höhe von 332 Millionen US-Dollar finanziert werden, den Brasiliens Nationale Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (BNDES) bereitstellen wollte. Den Rest des auf insgesamt 415 Millionen Dollar geschätzten Vorhabens, das von einer brasilianischen Firma umgesetzt werden sollte, hätte die bolivianische Regierung bereitgestellt.

Die Ureinwohner hatten sich am 15. August in Trinidad, der Hauptstadt von Beni, in Bewegung gesetzt, um gegen die Straßenverbindung zu protestieren, die ihr Traditionsland durchschnitten hätte. Am 25. September ging die Polizei gewaltsam gegen die zunehmende Zahl von friedlichen Demonstranten vor. Am 19. Oktober wurden die Protestierenden unter großem Jubel in La Paz empfangen.


Schlappe bei den Wahlen der Richter

Politische Beobachter werten den Marsch, der bis zum Regierungsgebäude führte, als scharfen Angriff gegen Morales. Bei den ersten Wahlen der Richter am 23. Oktober hatte der Staatschef bereits eine Niederlage erlitten, als einem Fernsehsender zufolge 45 Prozent der Wähler ungültige Stimmzettel abgaben. Lediglich 35 Prozent sollen Berichten zufolge für die regierungstreuen Kandidaten gestimmt haben. Die offizielle Auszählung der Stimmen ist noch nicht abgeschlossen.

"Wir wollen mit dem Thema Tipnis abschließen", erklärte Morales nach einem Treffen mit einigen Protestführern. Er schlug ein neues Gesetz vor, das indigene Territorien für Bau- und andere Projekte unantastbar machen soll. Der Vorschlag wurde jedoch von den Ureinwohnern zurückgewiesen. Ein solches Gesetz hätte zur Folge, dass die Indigenen ihre natürlichen Ressourcen nicht mehr nutzen dürften, meinte dazu David Crispin, der Sprecher des Nationalen Rates der Ayllus und Markas von Qullasuyu.

Mit der Regierung müssten nun längere Verhandlungen geführt werden, kündigte Crispin an. Den Vorschlag des Präsidenten nannte Crispin einen "Racheakt". Den Ureinwohnern den Zugriff auf die natürlichen Ressourcen zu verweigern, hieße ihnen die Lebensgrundlagen zu entziehen.

Nach Angaben von Patricia Illimuri, Vorsitzende der regionalen Vereinigung der Frauen am Amazonas, werden die Demonstranten La Paz erst verlassen, "wenn alle Forderungen erfüllt sind". Die Ureinwohner, die aus tropischen Landesteilen in die auf rund 4.000 Metern Höhe gelegene Hauptstadt kamen, sind derweil in Hörsälen der staatlichen Universität untergebracht.


Morales Verrat an 'Mutter Natur' vorgeworfen

Die Ureinwohner, die zum achten Mal seit 1990 einen Protestmarsch durchgeführt haben, halten Morales vor, seine Umweltziele verraten zu haben. Der Staatschef hatte sich selbst als Verteidiger der 'Mutter Natur' und der indigenen Völker bezeichnet. In der auf Betreiben von Morales gebilligten Staatsverfassung wird den Ethnien die freie Entscheidung über ihr Kollektivland zugestanden.

Morales schlug vor, in das Tipnis-Schutzgesetz eine Klausel aufzunehmen, die die Landnahme durch Fremde verbietet. Diese Botschaft richtete sich an Koka-Bauern, die ihre illegalen Aktivitäten bis in lokale Naturparks ausgedehnt haben. Morales steht allerdings weiterhin an der Spitze von Bauernverbänden, die Koka in Cochabamba anpflanzen.

Crispin zufolge geht es den Ureinwohnern in erster Linie darum zu verhindern, dass die 22 indigenen Territorien in Bolivien von Außenstehenden in Besitz genommen und von weißen Siedlern geplündert werden können. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2011