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LATEINAMERIKA/1347: Kolumbien - Regierung unter Zugzwang nach Freilassung von FARC-Geiseln (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. April 2012

Kolumbien: Regierung unter Zugzwang nach Freilassung von FARC-Geiseln

von Constanza Vieira und Helda Martínez



Bogotá, 5. April (IPS) - In Kolumbien hat die Freilassung aller von den FARC-Rebellen als Geiseln genommenen Sicherheitskräfte Hoffnungen auf einen baldigen Frieden Auftrieb gegeben. Politischen Beobachtern zufolge ist nun die Regierung am Zug, um den fast 50-jährigen Bürgerkrieg zu beenden.

Die Freilassung der letzten zehn Offiziere und Unteroffiziere von Armee und Polizei, die die Revolutionären Sicherheitskräfte Kolumbiens (FARC) als Kriegsgefangene betrachtet hatten, ist von historischer Bedeutung, da die linke Guerilla mit der Freilassung der Geiseln auf die Möglichkeit verzichtet, diese gegen inhaftierte Rebellen auszutauschen.

Die FARC-Führung hatte die Befreiungsaktion bereits in einer Mitteilung vom 26. Februar angekündigt. Darin war von der Freilassung aller für einen Gefangenaustausch in Frage kommenden Geiseln und einem Ende der Entführungen zur Erpressung von Lösegeld die Rede.

"Die FARC hat sich zum Frieden entschlossen", kommentierte Ariel Ávila von der Nichtregierungsorganisation (NGO) 'Nuevo Arco Iris' (Neuer Regenbogen). Mit der Freilassung sei die Botschaft verbunden, dass nun die Regierung des konservativen Staatspräsidenten Juan Manuel Santos an der Reihe sei, ihren Beitrag zum Friedensprozess zu leisten.

In derselben Mittelung hatte die FARC allerdings vor neuen Geiselnahmen gewarnt, sollte die Regierung ihre Militärausgaben und Angriffe weiter erhöhen. Sie deutete an, dass sie auf Festnahmen von Rebellen mit der Geiselnahme weiterer Sicherheitskräfte reagieren werde.

Ávila erklärte gegenüber IPS, dass man allerdings davon ausgehen könne, dass die Guerilla in einem solchen Fall die Gefangenen nach kurzer Zeit wieder freilassen oder humanitären Organisationen wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz übergeben werde, was seit der FARC-Gründung 1964 bereits mehrfach geschehen sei.


Der lange Weg in die Freiheit

2001‍ ‍hatten die Rebellen unter Vermittlung von Frankreich, der Schweiz und Spanien mehr als 350 Militärs und Polizisten im Austausch gegen 14 Rebellen freigelassen. Seit damals ging die Guerilla dazu über, ausschließlich Offiziere und Unteroffiziere gefangen zu halten, um damit die Chancen für einen Gefangenenaustausch zu erhöhen. Aus dem gleichen Grund wurden Zivilisten und insbesondere politische Führer verschleppt.

Die Regierung von Ex-Präsident Álvaro Uribe (2002-2010) war jedoch nicht an Verhandlungen interessiert, sondern setzte auf militärische Befreiungsaktionen. Einige waren erfolgreich wie die 'Operation Schach', die die Befreiung der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt 2008 zur Folge hatte, andere führten dazu, dass die FARC ihre Drohungen wahr machte und ihre Geiseln exekutierte.

Nachdem im Juni 2007 elf Abgeordnete des Departements Valle del Cauca unter ungeklärten Umständen ums Leben kamen, kündigte die liberale Senatorin Piedad Córdoba an, sich für die Freilassung der FARC-Geiseln einzusetzen. Zwischen August und November des gleichen Jahres ernannte Staatspräsident Santos Córdoba und seinen venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez zu Unterhändlern für Verhandlungen mit der FARC.

Córdoba gründete 2008 die Gruppe 'Kolumbianerinnen und Kolumbianer für den Frieden', die sich ursprünglich der Freilassung von Politikern aus der Geiselhaft der FARC verschrieben hatte. In der Folge konnte aber auch die unilaterale Freilassung einzelner Militärs und Polizisten erwirkt werden. Insgesamt kamen zehn zivile und zehn uniformierte Geiseln frei.

Das Engagement kostete Córdoba ihre politische Karriere. So wurde sie von Generalstaatsanwalt Alejandro Ordóñez ihres Amtes als Senatorin enthoben. Bis 2028 darf sie kein öffentliches Amt bekleiden, weil sie angeblich mit der FARC kollaborierte. Córdoba setzte ihre humanitäre Arbeit fort und brachte die FARC dazu, auf Geiselnahmen zur Erpressung von Lösegeldern zu verzichten.


Erfolgreiche Operation

Fünf Monate lang hatte die ehemalige Senatorin die 'Operation Freiheit' vorbereitet. Sie konnte internationale Persönlichkeiten wie die guatemaltekische Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú für ihr Anliegen gewinnen, die eigens nach Kolumbien gekommen war, um der jüngsten Freilassungsaktion beizuwohnen.

Operation Freiheit nahm ihren Anfang am 1. April um 10.30 Uhr Lokalzeit, als ein von Brasilien gecharterter Hubschrauber vom Flughafen von Villavicencio, der Hauptstadt des zentralen Departements Meta, abhob. Die Maschine war eineinhalb Stunden unterwegs. Nach weiteren sieben Stunden landete sie mit den Geiseln an Bord auf dem Flugplatz von Villavicencio, wo sich bereits die Familien der Geiseln eingefunden hatten. Weitere 50 Minuten später wurden die freigelassenen Sicherheitskräfte mit ihren Angehörigen zum Militärflughafen Catam in Bogotá gebracht.

In einer zehnminütigen Fernsehansprache würdigte Staatspräsident Santos den Erfolg der Aktion, ohne Córdoba und ihre Friedensinitiative zu erwähnen. Nun gelte es die zivilen Geiseln freizubekommen, erklärte er. Ihre Zahl gibt die NGO 'País Libre' (Freies Land) mit mehr als 400 an. In seiner Erklärung legte Santos Nachdruck auf den Hinweis, dass der Frieden Kolumbiens eine nationale Angelegenheit sei.

Córdoba zufolge hat die FARC ihre Bereitschaft bekräftigt, künftig auf Entführungen zur Erpressung von Lösegeld zu verzichten und Friedensverhandlungen mit der Regierung aufzunehmen. (Ende/IPS/kb/2012)

Links:
http://www.arcoiris.com.co/
http://piedadcordoba.net/piedadparalapaz/
http://www.paislibre.org/alfa/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100479

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2012