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LATEINAMERIKA/1424: Lateinamerika - Auf Ansturm von Klimaflüchtlingen nicht vorbereitet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Juli 2013

Lateinamerika: Auf Ansturm von Klimaflüchtlingen nicht vorbereitet - Thema der kommenden regionalen Bevölkerungskonferenz

Von Fabíola Ortiz


Bild: © Susan Robens-Brannon/IPS

Familie in ihrem Zelt im Cannon-Auffanglager auf Haiti
Bild: © Susan Robens-Brannon/IPS

Rio de Janeiro, 23. Juli (IPS) - Seit dem Ausbruch der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise in den reichen Staaten, treibt es immer mehr Menschen aus Krisenländern nach Lateinamerika. Doch Experten zufolge fehlt es der Region im Umgang mit diesen Migranten an einer inklusiven Vision. Die Regionale Lateinamerikanische und Karibische Bevölkerungs- und Entwicklungskonferenz vom 12. bis 15. August bietet eine Gelegenheit, sich mit dem Manko zu befassen.

20 Jahre sind seit der historischen Weltbevölkerungskonferenz (ICPD) in Kairo vergangen. Dass viele Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben ihre Heimatländer verlassen, führen Demografen nicht zuletzt auf die ökonomische Ungleichheit der lateinamerikanischen und karibischen Länder zurück.

Die ICPD hatte den Rahmen für eine Verschiebung des Schwerpunkts vorgegeben: von einer rein demografischen Sichtweise zu einem Ansatz, der den Rechten der Menschen größere Priorität einräumt, wie Jorge Rodríguez vom Lateinamerikanischen und Karibischen Demografiezentrum erläuterte.

"Seit 2008, dem Beginn der Eurokrise, ist die Emigration nach Europa rückläufig und immer mehr Emigranten kehren aus Europa nach Lateinamerika zurück", erklärte Rodríguez auf einer regionalen Vorbereitungskonferenz vom 15. bis 17. Juli in Rio de Janeiro. "Mit diesen Trends müssen wir uns unbedingt auseinandersetzen." Rodríguez zufolge gilt es die neue Mobilität auch in einen ökologischen Zusammenhang zu stellen. "So bedürfen gerade Umweltflüchtlinge einer besonderen Behandlung."


Mehr Respekt gegenüber Migranten

Nach Ansicht des Demografen und Wirtschaftswissenschaftlers an der Päpstlichen Katholischen Universität von Minas Gerais, Duval Fernandes, der auch der Lateinamerikanischen Bevölkerungsvereinigung angehört, ist es 20 Jahre nach Kairo wichtig, den Migranten über ihren rechtlichen Status hinaus mehr Respekt zu verschaffen.

Die Situation haitianischer Migranten, die seit dem verheerenden Erdbeben im Jahre 2010 ihre Heimat verlassen, zeigt die Herausforderungen, die diese Klimaflüchtlinge für die lateinamerikanischen Länder darstellen. Haiti steckt in einer tiefen Umweltkrise, die sich mit dem Ausbruch des Erdbebens weiter verschärft hat. Die Erdstöße verursachten den Zusammenbruch zehntausender Wohneinheiten. Auch fielen Infrastrukturen und öffentliche Gebäude wie Kartenhäuser zusammen. 200.000 Menschen kamen ums Leben.

Hinzu kommen die Gefahren, die dem karibischen Inselstaat in Gestalt von Zyklonen und Tropenstürmen drohen. Allein in diesem Jahr werden 20 dieser Wetteranomalien erwartet.

Als die USA und auch die Dominikanische Republik, die sich mit Haiti die Insel Hispaniola teilt, die Einwanderung von Haitianern beschränkten, entwickelte sich Brasilien für die Flüchtlinge zu einem alternativen Zielland. "In der Dominikanischen Republik werden die Kinder von Haitianern ohne Papiere nicht registriert. Sie bleiben somit Staatenlose. Das hat viele Haitianer veranlasst, ihr Glück in Brasilien zu suchen", erläuterte Fernandes.

Seit November 2010 sind tausende Haitianer illegal über die nördliche Grenze nach Brasilien eingewandert. Die kleinen Städte im Amazonasgebiet sind jedoch nicht auf den Zustrom der vielen Flüchtlinge vorbereitet. "Das bringt Brasilien in eine fürchterliche Lage", warnte Fernandes. "Die Länder wissen einfach nicht, wie sie mit dem Problem umgehen sollen."

Die legale Einwanderung ist in dem größten südamerikanischen Land ein langwieriger Prozess. Hinzu kommt, dass Haitianer von Brasilien nicht als reguläre Flüchtlinge anerkannt werden. Angenommen wird, dass sich dort etwa 10.000 Haitianer ohne gültige Papiere aufhalten.

"Die Betroffenen nehmen eine gefährliche Reise auf sich, um nach Brasilien zu kommen, und die 'Coyotes', die Menschenhändler, verlangen zwischen 2.500 und 4.000 US-Dollar. Multipliziert man den Mittelwert von 3.000 Dollar mit 10.000 Migranten, ergibt sich die eindrucksvolle Zahl von 30 Millionen Dollar. Dieses lukrative Geschäft muss unbedingt unterbunden werden", forderte Fernandes und fügte hinzu: "Die Haitianer werden mit dem Versprechen nach Brasilien gelockt, hier monatlich 2.000 Dollar im Monat zu verdienen."


Migranten in die Illegalität abgedrängt

Die Regierung hat sich für das Problem folgende Lösung ausgedacht: Sie stattet die Haitianer mit humanitären Visa aus. Sobald sie die Grenze überqueren, können die Ankömmlinge Asyl beantragen, Sechs Monate später wird der entsprechende Antrag vom Nationalen Flüchtlings- und Einwanderungsrat, der schon für die Visavergabe zuständig war, abgelehnt. "Haitianer sind Umweltflüchtlinge, doch werden sie als Flüchtlinge nicht offiziell anerkannt. Das große Problem besteht darin, dass sie nach Ablauf ihrer Visa nicht mehr auffindbar sind", gab Fernandes zu bedenken.

Gabriel Bidegain, technischer Berater des Weltbevölkerungsfonds (UNFPA) ist der Meinung, dass es ein regionales Abkommen geben muss, um die Migration in geordnete Bahnen zu lenken. "Angesichts der Krise in den USA und in Europa ist Brasilien für Haitianer zum neuen Mekka, zum gelobten Land geworden."

Bidegain erinnerte gleichzeitig daran, dass der Zustrom von Haitianern nach Brasilien relativ gering ist. In der Dominikanischen Republik leben etwa 800.000 und in den USA rund 600.000 Haitianer. Hinzu kommen rund 400.000 Binnenflüchtlinge, die in Haiti in informellen Lagern in der Nähe von Puerto Principe ausharren. Dem UNFPA-Experten zufolge bedarf es eines regionalen Migrationsabkommens, das auf die Nöte von Menschen reagiert, die nicht zuletzt aus Klimagründen zur Flucht gezwungen werden. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.unfpa.org.uy/informacion/i-conferencia-regional-sobre-poblacion-y-desarrollo-de-america-latina-y-el-caribe.html
http://www.ipsnoticias.net/2013/07/politicas-migratorias-en-jaque-en-america-latina/
http://www.ipsnews.net/2013/07/latin-americas-migration-policies-fall-short/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2013