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LATEINAMERIKA/1541: Kolumbien - Stolpersteine auf dem Friedensweg (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Perspektive | FES Kolumbien

Stolpersteine auf dem Friedensweg
Die Perspektiven für den Friedensprozess in Kolumbien

Von Lothar Witte
März 2016


• Die Verhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC über die Beendigung des bewaffneten Konflikts stehen kurz vor dem Abschluss. Es muss aber noch viel geschehen, bis in Kolumbien wirklich Frieden herrschen wird.

• Die rechtlichen Voraussetzungen zur Legitimierung der Ergebnisse sind weitgehend geschaffen. Die Details wurden so gestaltet, dass eine Zustimmung wahrscheinlich ist, auch wenn ein großer Teil der Bevölkerung die Verhandlungsergebnisse kritisch bewertet.

• Um den Friedensprozess abzusichern, ist ein vielfältiges Programm erforderlich. Zentral sind die friedliche Reintegration der FARC-Kämpfer_innen in das zivile Leben, die schnellstmögliche Ausweitung der Präsenz staatlicher Institutionen in den peripheren Regionen und deren Eingliederung in die nationale Ökonomie.

• Ob das zentrale Problem der kolumbianischen Gesellschaft - die hohe Konzentration der ökonomischen, sozialen und politischen Machtressourcen - überwunden werden kann, ist fraglich. Die herrschenden Eliten werden einen solchen Prozess kaum unterstützen, und die gesellschaftlichen Gegeneliten sind zu schwach, um sie dazu zu zwingen. Daher wird der Frieden in Kolumbien weiterhin fragil bleiben.

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Seit über fünfzig Jahren liegen die kolumbianische Guerillaorganisation FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Ejército del Pueblo; Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens - Volksarmee, im Folgenden kurz als FARC bezeichnet) und der kolumbianische Staat miteinander im Clinch. Ob man diese Auseinandersetzung als Bürgerkrieg bezeichnen möchte, als bewaffneten Konflikt oder als Terrorbekämpfung: Fakt ist, dass die Waffen seit einem halben Jahrhundert nur selten geschwiegen haben.

Mittlerweile sind die Verhandlungen zwischen beiden Konfliktparteien, die offiziell im November 2012 auf Kuba aufgenommen wurden, so weit fortgeschritten, dass von einem erfolgreichen Abschluss im Laufe der kommenden Monate auszugehen ist, auch wenn die Unterschriften unter das Friedensabkommen wohl nicht wie angekündigt am 23. März 2016 geleistet werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (7.3.2016) konzentriert sich die Aufmerksamkeit bereits weniger auf die Verhandlungen selbst als auf die politisch-rechtliche Legitimierung ihrer Ergebnisse sowie die danach anstehende Umsetzung der Vereinbarungen.

Bedeutet ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen aber auch, dass in Kolumbien demnächst ein Zustand herrschen wird, den man mit gutem Gewissen als friedlich bezeichnen kann? Oder wird der Frieden, wie einige meinen, noch schlimmer werden als der Krieg?

Wie kann das Verhandlungsergebnis gesellschaftlich legitimiert werden?

Zur Erinnerung: Bereits vor längerer Zeit hatte man sich in Havanna auf eine moderate Landreform geeinigt, und darauf, den Drogenanbau durch alternative Agrarprodukte zu ersetzen. Die FARC sicherten zu, sich aus dem Drogengeschäft zurückzuziehen, und im Gegenzug wurde ihnen die politische Beteiligung in Aussicht gestellt. Über die Anerkennung und Entschädigung der Opfer wurde ebenfalls Einverständnis erzielt. Kurz vor Weihnachten 2015 wurde verkündet, dass auch die Frage der Übergangsjustiz für die Straftaten, die während des Konfliktes begangen worden waren, im Einvernehmen geklärt sei. In diesem Punkt orientierten sich die Verhandlungsdelegationen am Präzedenzfall der Reintegration der Paramilitärs: Geständige Täter_innen kommen mit (noch nicht näher definierten) Freiheitsbeschränkungen von fünf bis acht Jahren davon, nicht geständige Täter_innen müssen bei Überführung mit zwanzig Jahren Gefängnis rechnen. In den ersten Wochen des Jahres 2016 kam es schließlich auch in der Frage der Waffenniederlegung zu einem Durchbruch. Der VN-Sicherheitsrat stimmte für ein zunächst einjähriges Mandat der Vereinten Nationen als Garantin für die Übergabe der Waffen an die Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños (CELAC).

Parallel zum Fortschritt der Verhandlungen auf Kuba wurde in Kolumbien darüber nachgedacht, wie die Verhandlungsergebnisse politisch-rechtlich legitimiert werden könnten. Grundsätzlich gibt es vier Möglichkeiten: Referendum, Plebiszit, Volksbefragung oder verfassungsgebende Versammlung. Am wahrscheinlichsten ist, dass es auf ein Plebiszit hinauslaufen wird, da alle Alternativen große Nachteile haben. Die Vorstellung der FARC, die Ergebnisse im Rahmen einer verfassungsgebenden Versammlung zu legitimieren, ist wenig praktikabel, da die Vorbereitungen für die Einberufung einer solchen Versammlung langwierig sind. Ein Referendum ist in Kolumbien so definiert, dass die Ergebnisse der Verhandlungen nicht als Gesamtpaket, sondern einzeln abgesegnet werden, was in den vergangenen 25 Jahren sehr häufig zu gescheiterten Referenden führte. Im konkreten Fall könnten die Kapitel zur Übergangsjustiz und zur politischen Beteiligung der FARC zum Stolperstein werden - das Unbehagen eines erheblichen Teils der Bevölkerung ist groß. Eine Volksbefragung, für die keine Mindestbeteiligung vorgeschrieben ist, wäre mangels geringer Partizipation möglicherweise nicht geeignet, um das Verhandlungsergebnis wirklich gesellschaftlich zu legitimieren.

Ein Plebiszit liegt dagegen auf halber Strecke zwischen Volksbefragung und Referendum, wäre ausreichend verbindlich, aber nicht zu komplex: Es verlangt, anders als die Volksbefragung, eine Mindestbeteiligung, jedoch müssen die Fragen, anders als beim Referendum, nicht ins Detail gehen. Eine Art Multiple-Choice-Verfahren ist bereits ausreichend: Ja oder Nein, das wäre hier die Frage. Im Jahr 2015 verabschiedeten Kongress und Senat ein Gesetz, das ein solches Plebiszit für den Friedensprozess ermöglicht, wobei dafür Sorge getragen wurde, dass die Hürde nicht zu hoch angesetzt wird: Eine einfache Mehrheit derjenigen, die sich beteiligen, bei einer Beteiligung von mindestens 13 Prozent der Wahlberechtigen, wäre bereits ausreichend. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Es werden mindestens 4.396.625 Ja-Stimmen benötigt, wenig mehr als die Hälfte der gut 7,8 Millionen, die 2014 im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen für Juan Manuel Santos gestimmt haben.

Daher ist wahrscheinlich, dass die Verhandlungsergebnisse im Laufe des Jahres per Plebiszit abgesegnet werden - es sei denn, das Verfassungsgericht würde entscheiden, dass der Frieden ein von der Verfassung garantiertes Recht und eine Abstimmung darüber hinfällig sei, weil man ein solches Recht nicht ablehnen könne. Dies wäre juristisch zwar der einfachste Weg, aber nachdem das Recht auf Frieden in Kolumbien seit über einem halben Jahrhundert in der Praxis nicht garantiert werden konnte und die Verhandlungsergebnisse in der Bevölkerung durchaus umstritten sind, wäre eine explizite politisch-gesellschaftliche Legitimierung von Vorteil.

Worum geht es bei der Umsetzung des Abkommens?

Wenn man sich an der Verhandlungsagenda orientiert, ist die Reichweite überschaubar. Im Vordergrund steht der Verzicht auf den Einsatz von Waffen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Um den FARC diesen Verzicht zu erleichtern, erhalten sie Garantien, in Zukunft als politischer Akteur an dieser Auseinandersetzung teilnehmen zu können. Zudem erreichten die FARC kleinere Zugeständnisse beispielsweise in Bezug auf ihre Forderungen nach einer Landreform, welche es ihnen ermöglichen, mit erhobenem Haupt und im Gefühl, etwas erreicht zu haben, ins zivile Leben zurückzukehren. Die Vereinbarungen zur Anerkennung und Entschädigung der Opfer sowie die vorgesehenen Strafen der Übergangsjustiz sollen es der kolumbianischen Gesellschaft erleichtern, die Vereinbarungen und die Reintegration der FARC-Kämpfer_innen ins zivile Leben zu akzeptieren.

Über diese enge Interpretation hinaus geht es jedoch um wesentlich mehr: Es geht darum, dass der kolumbianische Staat sein Gewaltmonopol zurückgewinnt, dass der Rechtsstaat auf das gesamte Territorium des Landes ausgedehnt wird, und dass die Spielregeln der legalen und formalen Marktwirtschaft gegenüber den illegalen Ökonomien wie dem Drogenhandel und dem illegalen Bergbau durchgesetzt werden.

Wenn alles gut läuft, werden die FARC diesem Prozess des nation building zukünftig nicht mehr im Wege stehen. Dabei ist jedoch fraglich, ob die FARC tatsächlich das entscheidende Hindernis für einen solchen Prozess darstellen, oder ob die FARC in den vergangenen Jahrzehnten nicht lediglich die geringe Präsenz des Staates in den peripheren Regionen des Landes für ihre Interessen ausgenutzt haben. Faktisch haben sie ein Machtvakuum ausgefüllt und dabei auch die Kontrolle über wesentliche Teile der illegalen Ökonomien erlangt. Die FARC kontrollieren etwa die Hälfte des Drogenhandels und der anderen illegalen Ökonomien, vor allem den illegalen Abbau von Rohstoffen. Darüber hinaus bestimmen sie in mindestens 100 von 1.100 Kommunen des Landes weitestgehend das gesamte öffentliche (und private) Leben. Sie sind dort nicht nur ein Gewaltagent, sondern ein Ordnungsfaktor innerhalb eines lokalen Herrschaftssystems, das lokale Eliten in einen Mix von legalen und weniger legalen Aktivitäten ebenso einbezieht wie es soziale Mobilität ermöglicht - auch und gerade für diejenigen, die normalerweise in der »exklusiven« kolumbianischen Gesellschaft nur geringe Aufstiegsmöglichkeiten haben.

Was in den nächsten Monaten und Jahren also nicht geschehen darf, ist das erneute Entstehen eines Vakuums durch den Rückzug der FARC aus ihren Machtzentren. Denn ein solches Vakuum in den peripheren, von illegalen Ökonomien geprägten Regionen des Landes wird nicht lange leer bleiben; dafür sind die möglichen Renditen und Zuwächse an sozialem Status einfach zu verlockend. Sollten zudem unterschiedliche Gruppen miteinander über diese Territorien streiten, dann könnte der Frieden tatsächlich noch schlimmer werden als der Krieg.

Was muss geschehen, und wann?

In der unmittelbaren Postkonfliktphase - den ersten zwölf bis achtzehn Monaten nach Abschluss der Verhandlungen - werden die Weichen für die weitere Entwicklung des Friedensprozesses gestellt. In dieser Phase stehen alle gesellschaftlichen Akteure, die sich für den Frieden einsetzen, unter Erfolgszwang - in erster Linie natürlich die Regierung und andere staatliche Einrichtungen.

In dieser Zeit muss auch eine breite gesellschaftliche Unterstützung für den Friedensprozess mobilisiert werden. Noch ist Kolumbien weit davon entfernt, dass das ganze Volk die Verhandlungsergebnisse und den Friedensprozess unterstützen würde. Nach einer aktuellen Befragung von 1.200 Personen in den fünf größten Städten des Landes (Gallup Poll, veröffentlicht in mehreren Tageszeitungen am 2.3.2016) sind nur 36 Prozent der Meinung, dass die Verhandlungen auf einem guten Weg seien, und nur 54 Prozent unterstützen den Friedensprozess. Noch skeptischer sind die Befragten, wenn es um die FARC geht: Über 90 Prozent stehen ihnen negativ gegenüber.

Um den Friedensprozess so schnell wie möglich abzusichern, ist ein vielfältiges Programm mit folgenden zentralen Elementen erforderlich:

1. die friedliche Reintegration der FARC-Kämpfer_innen in das zivile Leben, einschließlich Sicherheitsgarantien, ökonomischer Perspektiven und Möglichkeiten politischer Beteiligung;

2. die schnellstmögliche Ausweitung der Präsenz staatlicher Institutionen in den peripheren Regionen; dies betrifft den Sicherheitsapparat (vor allem Militär und Polizei), Justiz und Verwaltung sowie sozialstaatliche Institutionen (Schulen, Gesundheitsstationen etc.);

3. die Integration der peripheren Regionen in die nationale Ökonomie, vor allem eine Verbesserung der Kommunikations- und Transportverbindungen (ländliche Straßen) sowie die Kontrolle der illegalen Ökonomien.

All diese Herausforderungen müssen gleichzeitig und schnell angegangen werden. Wenn die Probleme auch nicht sofort vollständig gelöst werden können, müssen doch auf allen Ebenen rasch sichtbare Fortschritte erzielt werden. Nur dann können zwei mögliche Hindernisse für den Frieden rechtzeitig beseitigt werden: zum einen das sinkende Vertrauen in die Perspektiven des Friedensprozesses, und die damit verbundene nachlassende Unterstützung, zum anderen eine Ausweitung der Macht der kriminellen Banden, insbesondere die Übernahme ehemaliger ökonomischer und territorialer FARC-Domänen durch diese »Bacrim« (bandas criminales). Letztere stehen ohnehin auf dem Sprung und sind mit Tausenden bewaffneten und mit einschlägigen Kernkompetenzen ausgestatteten Mitgliedern und Assoziierten schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine den FARC und der ELN ebenbürtige Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Ordnung.

Für mögliche FARC-Dissident_innen stellen die Bacrim eine attraktive Option dar: Wer nicht ins zivile Leben zurückkehren möchte oder auf dem Weg dorthin scheitert, findet bei ihnen höchstwahrscheinlich leichter eine neue Heimat als in der Ejército de Liberación Nacional (ELN) oder durch die Gründung kleinerer lokaler »FARC-Spin-offs«. Auch dies ist ein Argument dafür, die FARC-Kämpfer_innen nicht mit einem zinsgünstigen Kredit für die Anschaffung eines Taxis abzuspeisen, sondern ihnen ausreichend attraktive Angebote zu unterbreiten - ökonomisch, politisch, juristisch, territorial. Denn auch wenn weite Teile der Bevölkerung sich schwer damit tun, wenn »Räuber und Mörder« vom Staat unterstützt werden, sind die Alternativen zu solchen Reintegrationsprogrammen sicher nicht positiver zu beurteilen.

Zusätzlich zu konkreten Verbesserungen in den meist ländlichen Konfliktregionen müssen auch die Bewohner_innen der Städte, die von den Auseinandersetzungen bislang nur wenig betroffen sind - abgesehen von den jetzt in den Städten lebenden Binnenflüchtlingen - und unter dem Krieg der Drogenkartelle in den frühen 1990er-Jahren weit mehr gelitten haben als unter dem Krieg der Guerilla, in die Friedenspädagogik einbezogen werden. Sie müssen akzeptieren lernen, dass öffentliche Investitionen in den kommenden Jahren prioritär in die bisherigen Konfliktregionen fließen müssen, und dafür müssen viele von ihnen auch stärker zur Kasse gebeten werden, als bislang geschehen. Ob hier eine große Bereitschaft besteht, diese finanziellen Lasten mitzutragen, bleibt fraglich, denn der großen Mehrheit der urbanen Bevölkerung erwächst aus dem Friedensprozess kein unmittelbarer Vorteil.

Kolumbien auf dem Weg zur Normalität?

Die Herausforderungen, vor denen der kolumbianische Friedensprozess auch weiterhin steht, sind beträchtlich. Umso wichtiger ist es, dass das politische Management dieses Prozesses funktioniert. Es wäre dem Frieden förderlich, wenn ein kohärenter Fahrplan zur Umsetzung vorläge, finanzielle und institutionelle Ressourcen in ausreichender Quantität und Qualität zur Verfügung stünden, ein gesellschaftlicher Konsens existierte und einflussreiche Führungspersönlichkeiten sich mit dem Prozess identifizierten.

Niemand kann dem Präsidenten Juan Manuel Santos absprechen, dass er sich höchstpersönlich an die Spitze der Bewegung gesetzt hat, und dies seit Jahren. Auch das Management des Verhandlungsprozesses mit den FARC kann man gelungen nennen, in einer nötigen Mischung aus Entschiedenheit und Geduld. Weniger positiv fällt die Bewertung aus, wenn es um das Werben für einen gesellschaftlichen Konsens geht. Die wichtigsten Eliten des Landes unterstützen zwar mittlerweile den Prozess - von den meisten politischen Parteien über die Medien und die Zivilgesellschaft bis hin zu großen Teilen des Unternehmerlagers -, aber die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger ist noch immer mangelhaft. Um die notwendige Zustimmung für ein erfolgreiches Plebiszit zu erreichen, sollten die Mobilisierungsbemühungen der traditionellen politischen Apparate zwar ausreichen, für einen gesellschaftlich abgesicherten, dauerhaften Frieden scheint die Unterstützung aber noch zu schwach. Erschwerend kommt hinzu, dass die ökonomischen Rahmenbedingungen derzeit schlechter sind als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den vergangenen zehn Jahren.

Der Präsident wird noch bis zum 7. August 2018 im Amt sein. Ihm werden ab dem Tag der Unterschrift unter das Abkommen mit den FARC also noch etwa zwei Jahre verbleiben, um »sein Friedenswerk« von der Spitze her zu gestalten. In der Umsetzungsphase wird er jedoch zunehmend darauf angewiesen sein, dass andere Akteure ihren Beitrag leisten. Skepsis ist vor allem in Bezug auf die Kapazitäten und Prioritäten vieler lokaler Autoritäten angebracht, von denen sich ein nicht unerheblicher Teil gut mit dem Konflikt arrangiert hatte.

In den folgenden Jahren wäre es dann seinen Nachfolgern im Präsidentenamt vorbehalten, die Weichen so zu stellen, dass im weiteren Prozess, in dem der Frieden dauerhaft konsolidiert werden muss, auch diejenigen Probleme angepackt werden, die in den Verhandlungen explizit nicht auf der Agenda standen, für den gesellschaftlichen Konflikt in Kolumbien aber dennoch zentral sind. Dazu zählt vor allem die außergewöhnlich hohe Konzentration der ökonomischen, sozialen und politischen Machtressourcen, oder - anders ausgedrückt - die weitgehende Exklusion des Großteils der Bevölkerung von diesen Ressourcen.

Dass die politischen Eliten dieses Feld angehen werden, ist jedoch eher nicht zu erwarten, sind sie doch selbst Privilegierte dieses Systems. Im besten Falle ist daher eine Art lampedusisches Arrangement zu erwarten: »Se vogliamo che tutto rimanga come è, bisogna che tutto cambi.« - »Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern.«

So paradox es klingt: Ein derartiger »Status quo 2.0« wäre bereits ein Fortschritt gegenüber dem derzeitigen Status quo. Mit dem Ende des bewaffneten Konfliktes ist die Hoffnung verbunden, dass diejenigen politischen und sozialen Bewegungen, welche das »exklusive« herrschende System kritisieren, nicht mehr der Nähe zum FARC-Terrorismus bezichtigt werden können. Zwar ist mittelfristig nicht damit zu rechnen, dass ein ehemaliger Metallarbeiter oder ein ehemaliger Guerillero in Kolumbien das Präsidentenamt übernehmen wird, aber möglicherweise gelingt dem Mitte-links-Spektrum bei den nächsten Wahlen der Sprung über die Zwanzig-Prozent-Hürde.


Über den Autor

Lothar Witte ist Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kolumbien.


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2016

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