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NAHOST/1022: Libyen - Von Gaddafi unterdrücktes Volk der Toubou entdeckt eigene Identität wieder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2013

Libyen: 'Frühling' für die Toubou - Von Gaddafi unterdrücktes Volk entdeckt eigene Identität wieder

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Toubou-Milizionäre in ihrem Hauptquartier in Murzuq im Süden Libyens
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Murzuq, Libyen, 29. November (IPS) - "Kann es noch etwas Befriedigenderes geben, als dem eigenen Volk die eigene Sprache beizubringen?", meint Abdel Salam Wahali. Die alte Sprache Tebu erlebt in Libyen nach dem Sturz von Diktator Muammar al Gaddafi einen regelrechten Zulauf.

"Der Unterricht geht von 17 bis 19.30 Uhr, weil die Kinder morgens in die Schule müssen", berichtet der Tebu-Lehrer in Murzuq, etwa 800 Kilometer südlich der Hauptstadt Tripolis. "Offiziell wird der Schulstoff immer noch ausschließlich in Arabisch vermittelt."

Das Volk der Toubou lebt in einer ungastlichen Region nahe der Grenzen zu den Nachbarländern Tschad und Niger. Unter Gaddafis Herrschaft von 1969 bis 2011 wurde es Zielscheibe einer brutalen Arabisierungskampagne. Viele Toubou verloren in der Zeit die libysche Staatsangehörigkeit und damit auch den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit.

"Wir befinden uns in einem Wettlauf gegen die Zeit. Doch von der libyschen Regierung ist keine Hilfe zu erwarten. Trotzdem sind wir mit den bisherigen Ergebnissen zufrieden", sagt Wahali, der auch Französisch lehrt.

Adam Rami Kerki ist Vorsitzender der Nationalversammlung der Toubou, der größten politischen Organisation für Angehörige der Volksgruppe in Libyen. "Heute werden wir zwar nicht mehr verfolgt, doch die amtierende Regierung sieht Libyen ähnlich wie Gaddafi als 'arabisches' Land", kritisiert er.

"Was macht jemanden zum Araber? Seine Hautfarbe, die Religion oder die Muttersprache?", fragt Kerki. "Für uns ist eines klar: wir sind vielleicht keine Araber, aber doch Libyer. In unserer Region wurden Siedlungsreste entdeckt, die 30.000 Jahre alt sind."


Lage im Land chronisch instabil

Zwei Jahre nach Gaddafis Tod ist das gesamte Land chronisch instabil. Die Lage spitzte sich Mitte November weiter zu, nachdem bei einem friedlichen Protest Dutzende Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden, als Mitglieder einer radikalen Miliz wahllos das Feuer auf sie eröffneten.

Die Toubou beobachten die Ereignisse in Libyen aus der Distanz und hoffen, dass ihre eigene Miliz sie gegen mögliche Aggressoren schützen kann. Ihnen ist bewusst, dass sie erst dann den Weg ins 21. Jahrhundert finden werden, wenn in der Region Ruhe einkehrt.

Mitten in der Wüste liegt ein Sozialzentrum, das von der Kulturorganisation 'Söhne der Sahara' mit Hauptsitz in Murzuq betrieben wird. Freiwillige unterrichten Englisch und Französisch und geben Computer-Kurse.

Hassan Egi ist einer der Koordinatoren der Gruppe. Den Zugang zum Internet sieht er als "unverzichtbar in der unwirtlichsten Region in einem der isoliertesten Länder der Erde. Als 1997 das Satellitenfernsehen kam, dachten wir Libyer, im besten Land der Welt zu leben. Für uns ist das Internet die wahre Revolution", meint der 31-Jährige.

An einem der Rechner in dem Zentrum sitzt der 14-jährige Adam Kukin, der sonst in der Sahara eine Herde von rund 100 Kamelen hütet. Im Gegensatz zu seinen Eltern kann er aber in seiner Sprache lesen und schreiben. In den sozialen Netzwerken im Internet kennt er sich immer besser aus. "Dank des Internet weiß ich, was in Murzuq und darüber hinaus passiert."


Zeitungen und Magazine auf Tebu

Der 'Frühling' der Toubou reicht weit über die vier Wände des Klassenraums und das Kulturzentrum in der Wüste hinaus. Die Sprache der ethnischen Gemeinschaft verbreitet sich auch über die im Südwesten Libyens gelegene Region Fezzan, die in der Tebu-Sprache Zalaa heißt. Dafür sorgen unter anderem Publikationen wie die Zeitung 'Sodur Zalaa' (Das Echo von Zalaa) und das Magazin 'Labara Zalaa' (Nachrichten aus Zalaa).

Die Zeitschrift wurde gegründet, als Gaddafi seinen Einfluss im Süden des Landes verlor. "Wir begannen im August 2011, 500 Exemplare zu drucken. Heute kommen jeden Monat 2.000 Hefte heraus", berichtet der Herausgeber Ahmed Kuki. In der jüngsten Ausgabe von Labara Zalaa finden sich Nachrichten, Interviews, Kreuzworträtsel, Liedertexte und sogar ein Bericht über die Toubou-Kultur im nördlichen Tschad.

Kuki erklärt, dass die Bewegung vieles dem US-amerikanischen Linguisten Mark Ortman, auch 'Kandamai' genannt, zu verdanken hat. "Er hat uns große moralische Unterstützung geleistet", sagt er. Ortman war vor 20 Jahren in das Toubou-Gebiet im Tschad gekommen, um den Menschen Kenntnisse der Tebu-Sprache zu vermitteln.

"Ich habe Tebu dem lateinischen Alphabet angeglichen, da die offizielle Sprache im Tschad Französisch ist. Damit wird auch eine Brücke zum Englischen gebaut, das die Toubou in allen drei Ländern lernen wollen", erklärt Ortman, der mit seiner Frau und fünf Kindern im Tschad lebt.

Nach Ansicht des Forschers hängt die Zukunft der Toubou in Libyen davon ab, inwiefern sie eine Assimilierung an die arabische Weltsicht verhindern und stattdessen ihre gewachsene Kultur beibehalten können. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/11/spring-bursts-among-toubou-libyas-desert/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2013