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NAHOST/1043: Internationaler Jihadismus - Neue militärische Entrepreneure? (inamo)


inamo Heft 75 - Berichte & Analysen - Herbst 2013
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Internationaler Jihadismus: Neue militärische Entrepreneure?

von Werner Ruf



Werner Ruf untersucht, ob die jihadistischen Gewaltakteure ähnlich strukturiert sind wie die Privaten Militärischen Unternehmen (PMU). Beide respektieren weder völkerrechtliche Regelungen, noch die Genfer Konventionen; beide, die Jihadisten und die säkularen PMU, könnte man als terroristische Organisationen klassifizieren; beide sind bezahlte Freiwillige mit gutem Gehalt. Doch der Unterschied, so Ruf, sei der, dass die einen "ideologiefrei" in den PMU arbeiten und die anderen fanatischen Glaubens sind mit Blick ins Jenseits - Versprechen auf einen Platz im Paradies.


In Art. 2. Ziff. 4 der Charta der Vereinten Nationen verpflichten sich die Mitglieder dieses Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu einem absoluten Gewaltverzicht: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."

Dieser Verzicht auf die Anwendung von Gewalt seitens der Staaten hat während der ersten vier Jahrzehnte des Bestehens der VN mehr schlecht als recht funktioniert. Kriege wurden vor allem geführt gegen nationale Befreiungsbewegungen wie insbesondere in Vietnam, Algerien oder Angola. Formal wurden sie damit begründet, dass sie ja nicht gegen Staaten geführt wurden, sondern gegen Aufstandsbewegungen. Und da die antikolonialistischen Bewegungen ja - noch - keine staatliche Existenz besaßen, konnte argumentiert werden, dass für solche Konflikte der Artikel 2.4 nicht gelte. Wurde dieses Argument im Westen vor allem zur Rechtfertigung für die gewaltsame Unterdrückung antikolonialer Bewegungen benutzt, so fand diese Denkfigur ihre Entsprechung in der Sowjetunion, als diese die Intervention der Staaten der Warschauer Vertragsorganisation in der damaligen CSSR mit der "begrenzten Souveränität der sozialistischen Staaten", der sogenannten Breschnew-Doktrin, begründete. Für den relativen Erhalt des Weltfriedens war in dieser Zeit wohl mehr die Gefahr der wechselseitigen nuklearen Vernichtung verantwortlich als der Respekt vor allem der großen Mächte vor der Charta.

Formal unterhalb der Verpflichtungen der Charta gab es durchaus Formen der gewaltsamen Intervention, etwa wenn die großen Mächte politische Bewegungen oder deren Gegner innerhalb eines Landes unterstützten, indem sie Waffen und Ausbildung lieferten, wie dies am augenfälligsten die USA mit ihrer Unterstützung der so genannten Contras in Nicaragua taten. Eine besondere, und heute könnte man sagen: eine frühe Mischform von staatlicher Einmischung und privat finanzierter Kriegführung war die Unterstützung für die damals so genannten Freiheitskämpfer, die in Afghanistan mit US-amerikanischer Ausbildung und saudischer Finanzierung gegen die Regierung in Kabul und gegen die Sowjetunion kämpften. Dass jener Krieg, der im Dezember 1979 begann und im Februar 1989 mit dem Rückzug der Sowjetunion endete, bereits damals von der reaktionären wahabitischen saudischen Monarchie offiziell als Religionskrieg der gläubigen Muslime gegen den gottlosen Kommunismus gefördert wurde, in Wirklichkeit aber der Ausdehnung des politischen Einflusses der saudischen Monarchie diente, blieb im Westen wenig beachtet.

In unserem Zusammenhang ist wichtig, dass damals unzählige Freiwillige aus allen arabischen Ländern nach Pakistan zogen, in den teilautonomen Stammesgebieten der Pashtunen zu hoch qualifizierten Kämpfern ausgebildet wurden und später die Führung islamistischer Aufstände in Algerien, Yemen, Libyen etc. übernahmen. Diese so genannten Afghanen sind bis heute der harte Kern islamistischer Kampfgruppen und spielen heute eine führende Rolle in den Kriegsgebieten Irak, Somalia, Syrien, Yemen, Libyen, Tunesien und Mali. Schon damals war es nicht nur religiöser Eifer, der die "Mujaheddin" motivierte (der Begriff ist abgeleitet von dem Wort jihad - s. unten). Zwar ging es vordergründig um die Bekämpfung der (kommunistischen) Ungläubigen, aber es floss auch Geld, sehr viel Geld, nicht nur für Ausbildung und Bewaffnung, sondern auch für die immense Reisetätigkeit führender Kader und für den Aufbau von "Bildungseinrichtungen", die sowohl der Ertüchtigung im "wahren Glauben" eines jihadistischen Islam wie der Erlangung militärischer und terroristischer Fertigkeiten dienten.

Private Militärische Unternehmen: Eine wenig beachtete Dimension der neo-liberalen Globalisierung

Private Militärische Unternehmen (PMU) schossen seit dem Ende der Bipolarität, welche zugleich der neoliberalen Globalisierung weltweit zum Durchbruch verhalf, wie Pilze aus dem Boden.(1) Das Tätigkeitsfeld dieser privaten, also nichtstaatlichen Akteure reicht vom Personen- und Objektschutz bis hin zu kriegerischen Unternehmungen, wobei die Grenzen oft fließend sind. dennoch soll hier der Schwerpunkt auf Tätigkeiten liegen, die kriegerische Handlungen beinhalten. PMU unterscheiden sich von klassischen Gewaltakteuren (Armeen) durch folgende Kriterien:

Private Militärische Armeen sind kostengünstiger als staatliches Militär: Der Unterhalt stehender Heere ist in Friedenszeiten reine Geldverschwendung, da Personal und Ausrüstung unterhalten und stets auf den neuesten technischen Stand gebracht werden müssen. Das Anheuern privater Gewaltakteure erfolgt on demand, für bestimmte, präzise umrissene Aufgaben und mit zeitlicher Befristung. Das immer wieder angeführte Kosten-Argument ist allerdings insofern problematisch, als die Söldner, die sich privat verdingen, ja ihre Ausbildung in der Regel auf Staatskosten absolviert haben, dort oft in Spezialeinheiten tätig waren. Es gilt das neoliberale Credo: Kosten werden sozialisiert, Profite werden privatisiert. Kriegführung wird zu einer "ganz normalen" Sparte profitorientierten Unternehmertums.

Das Völkerrecht ist Staatenrecht. Die privaten Gewaltakteure unterliegen weder den Beschränkungen und Regeln des Völkerrechts, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, noch dem humanitären Völkerrecht, dem ius in bello, wie es sich seit der Haager Landkriegsordnung (1908) bis zu den Genfer Konventionen entwickelt hat. In diesem Zusammenhang ist die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, dessen Statut die USA nicht beigetreten sind, durchaus auch als der Versuch zu werten, individuelle Verbrechen gegen die Menschlichkeit unterhalb der Ebene der Staatlichkeit zu verfolgen und zu ahnden.

Das von den PMU rekrutierte Personal besteht ausschließlich aus Freiwilligen, die in freier Entscheidung das Risiko des Verwundet- und Getötet-Werdens auf sich nehmen. Demokratischen Druck gegen einen Krieg, der in Staaten möglich ist, haben private Gewaltakteure nicht zu befürchten. Wer sich bei Privaten Militärischen Unternehmen verpflichtet, ist nach Art. 47 der Genfer Konvention eindeutig ein Söldner.(2) Als solcher besitzt er nicht den Kombattanten-Status, der ihm beispielsweise Persönlichkeitsschutz im Falle der Gefangennahme gewährt.

Die Rekrutierung erfolgt unabhängig von Nationalität, sie richtet sich allein nach den Fähigkeiten, die wiederum abhängig sind von der Art des geplanten Einsatzes. Private Militärische Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie - als gewinnorientierte Firmen - ideologiefrei agieren: Sie kämpfen nicht für Kommunismus, Liberalismus, Freiheit oder dergleichen, sondern für das erfolgreiche Erbringen einer Leistung - und damit zugleich für den nächsten Auftrag.(3)

Die vom Neo-Liberalismus beherrschte Welt hat auch jenen Bereich erfasst, der früher der Kern staatlicher Souveränität war, das staatliche Gewaltmonopol: in dem Maße, indem es schrittweise aufgelöst wird, treten Unternehmen und Kapitalinteressen an die Stelle der Staaten. Sie schaffen sich Gewaltakteure, die direkt ihre Interessen vertreten. Der französische Friedensforscher Alain Joxe bringt dies folgendermaßen auf den Punkt:

"Man muss sich fragen können, ob 'der Schutz des Volkes' der legitime Kern der souveränen Gewalt bleibt. [...] Und man kann antworten: 'Nein, nicht im Rahmen des Neo-Liberalismus, weil die Souveränität der Staaten erodiert und weil die herrschende Souveränität, nämlich die der Unternehmen, zum Ziel den Profit und nicht den Schutz hat. Entsprechend kann das Imperium des Chaos, dessen Aufgabe die Verteidigung der Souveränität der Unternehmen und nicht der Schutz der Bewohner des Planeten vor Hunger oder Massakern ist, nur in die Ökonomie eingreifen, um die militärischen Mittel und die Anwendung von Gewalt gegen die internen und externen Abweichler zu verschärfen"(4) - oder, so möchte man anfügen, diese direkt den Unternehmen bzw. ihren staatlichen Helfern zu übertragen.

Der Einsatz von Gewalt aber wird so zum Geschäft, zum profitorientierten Unternehmertum. Der Öffentlichkeit ist weitgehend verborgen geblieben, Welchen Anteil private militärische Unternehmen bereits am internationalen Gewaltgeschehen haben. So zählt eine Studie für das britische Parlament, die den Begriff relativ eng fasst, schon im Jahr 2002 allein in Großbritannien knapp 100 solcher Unternehmen.(5) Herausragend sind dabei die amerikanischen Unternehmen. An erster Stelle ist hier MPRI (Military Professional Ressources Incorporated) zu nennen,(6) die sich 2012 in engility umbenannt hat (http://www.engilitycorp.com/). Die Firma steht dem Pentagon sehr nahe und agiert oft als dessen Subunternehmer, wenn direktes militärisches Eingreifen politisch problematisch erscheint oder wenn die privaten Unternehmer billiger zu sein scheinen. MPRI war führend in der Strategieplanung der Feldzüge Kroatiens gegen Rest-Jugoslawien während des bosnischen Bürgerkriegs. Ferner führte sie zahlreiche Ausbildungs- (und Kampf- ?) Missionen in Afrika durch. Derzeit steht sie an erster Stelle in der Kampfausbildung der afghanischen Armee.(7)

Am anderen Ende der schier endlosen Skala steht die Firma Blackwater, "eine Firma für die Drecksarbeit",(8) die sich insbesondere im Irak durch ungeheure Brutalitäten und zahlreiche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hervorgetan hat. So erschossen Blackwater-Söldner auf offener Straße mehrfach und willkürlich unbeteiligte Zivilisten. Bei den Kämpfen im irakischen Valuta geriet die Firma kurzfristig in die Schlagzeilen, als die Bevölkerung vier Blackwater-Söldner lynchte, zerstückelte und ihre Gliedmaßen an Telefondrähten aufhängte. Blackwater benannte sich daraufhin um in Xe. Unter George W. Bush hat sich das Geschäft der PMU zu einem Milliardenmarkt ausgeweitet. Ihre Auftraggeber reichen vom Pentagon bis zu privaten Firmen vor allem im Erdölgeschäft. Die US-Erdölfirma Halliburton, deren Chef bis zu seinem Amtsantritt als Vizepräsident der USA Dick Cheney war, hat nicht nur die US-Regierung bei der Lieferung von Ausstattung, Lebensmitteln und Treibstoff um mehrere Millionen betrogen, durch Kapitalbeteiligung ist sie verbunden mit Kellogg Brown & Root, einer Gesellschaft, die auch eine Kriegsführungsfirma unterhält. Diese Firma rangiert (ranking nach Umsatzvolumen) auf Platz 29 der amerikanischen PMU und heimste allein bis zum Jahr 2003 Aufträge in Höhe von 2.277 Mrd. $ ein.(9) Das eigentliche Geschäft im Irak und im Verbund mit Halliburton begann erst danach.

Die Rolle und vor allem das Geschäftsvolumen Privater Militärischer Unternehmen sind weiterhin im Steigen: Wo immer die USA sich zurückziehen, sei es in Irak oder in Afghanistan: Die privaten Sicherheitsfirmen bleiben, ja dehnen ihr Geschäft aus: Eine Vielzahl von Firmen sichert in Irak nicht nur Regierungsstellen, sondern vor allem die wichtigen Ölförderanlagen und Transportwege. In Afghanistan ist inzwischen eine perfekte parallele Ökonomie entstanden, in der - auch afghanische - private Gewaltunternehmer ihre Geschäfte betreiben und wo deutlich wird, dass darunter auch Firmen sind, die einerseits gewaltige Summen für Transportschutz kassieren, andererseits aber mit diesem Geld "Sicherheit" von den Taliban erkaufen: So wird die US-Präsenz zu einer der wichtigsten Einnahmequellen der Aufständischen.(10) Die Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols zugunsten privater, sprich: profitorientierter und jederzeit und für jeden verfügbarer Gewaltakteure mag für Investoren in diesem Sektor ein interessanter Markt sein. Für die Weltgesellschaft ist die Abschaffung des staatlichen Gewaltmonopols ein Rückfall in Chaos und Barbarei.

Religiöse Motive und Machtinteressen

Somit kann die Frage gestellt werden, ob nicht jene Mujaheddin der 80er Jahre in Afghanistan, finanziert von Saudi-Arabien und ausgebildet von der CIA, bereits wesentliche Merkmale privater Kriegführung aufwiesen. Die Ausbildungslager in Afghanistan und Pakistan entwickelten sich zu Sammelbecken von Kämpfern aus allen arabischen Ländern, viele dieser "Afghanen" kehrten anschließend in ihre Heimat zurück, um dort, teilweise von den Geheimdiensten ihrer oder fremder Länder unterwandert, den jihad gegen die eigenen, "gottlosen" Regierungen voran zu treiben, zugleich aber mittels krimineller Praktiken sich selbst zu bereichern.(11) Seit der Arabellion wird sichtbar, dass "Afghanen" teilweise den Kern des Umsturzes bildeten (Libyen), verstärkt in zahlreichen Ländern (einschließlich Europa) rekrutiert werden und in großer Zahl in Konflikten wie im Irak, Syrien oder im Sahel eingesetzt werden. Direkt oder indirekt stehen sie dort im Sold saudiarabischer und qatarischer Finanziers.

Die Worte jihad und Salafismus - auch in beliebiger Kombination - sind inzwischen in aller Munde. Sie verweisen auf ein krudes Verständnis des Islam, das auf der wahabitischen Lehre basiert, die auf der arabischen Halbinsel vorherrschend ist. Andrerseits sollte nicht unterschätzt werden, dass das im Westen vor allem seit dem Ende der Bipolarität gepflegte Feindbild Islam im Sinne von Huntingtons Paradigma des "Kampfes der Kulturen" einen wichtigen Beitrag zur Radikalisierung unter Muslimen leistet.(12)

Zunächst zu den Begriffen

In aller Munde ist das Wort jihad, worunter meist Verstanden wird der "Heilige Krieg" gegen die "Ungläubigen", assoziiert mit deren Vernichtung. Richtig ist jedoch: Es gibt den großen und den kleinen Jihad. Der große jihad meint den alltäglichen Kampf für ein gutes, den Prinzipien von Religion und Moral entsprechendes Leben. In diesem Sinne ist jihad auch ein gängiger Vorname. Der kleine und nachrangige jihad ist dagegen der Krieg gegen die Ungläubigen und für die Ausbreitung des Islam.

Juden und Christen sind aber keine Ungläubigen, da sie einen Teil der von Gott offenbarten Wahrheit besitzen. Sie stehen unter dem Schutz des Islam, zahlen zwar höhere Steuern, sind aber vom Kriegsdienst befreit. Der anschaulichste Beweis hierfür ist, dass im ganzen Nahen und Mittleren Osten zahlreiche jüdische und christliche Gemeinden leben bzw. bis zur Mitte des 20.Jh. lebten - ganz im Gegenteil zum Okzident, wo das multikulturelle Zusammenleben der drei Religionen vom christlichen Fanatismus auf der iberischen Halbinsel im 15. Und 16.Jh. vernichtet wurde.

Intolerant und militant auch gegen andere islamische Glaubensrichtungen ist allerdings die wahabitische Richtung des Islam, benannt nach Muhamed Ibn Abdel Wahab, der im 18. Jh. auf der arabischen Halbinsel eine dogmatische Variante des Islam lehrte. Sie forderte die Rückkehr der Gesellschaft zu einer Ordnung, wie sie zur Zeit des Propheten, der Vorfahren (salaf) bestand. Diese Strömung, auch Salafismus genannt, ist Grundlage des Wahabismus, der in Saudi-Arabien Staatsreligion ist.

In der Auseinandersetzung mit dem Imperialismus entstand Vor allem unter dem Einfluss von Jamal ed-Din al Afghani ein Reformislam, der zu erklären versuchte, weshalb die islamische Welt die wissenschaftliche, kulturelle und militärische Vormachtstellung verloren hatte, welche sie im Hochmittelalter innehatte. Seine Antwort: Die Muslime sind vom wahren Glauben abgekommen, sie müssen zurück zum Glauben ihrer Vorfahren, salaf, um wieder ihre Größe und Macht zu erreichen. Aus dieser Bewegung gingen schließlich die Muslimbrüder hervor, die 1928 als politische Partei in Ägypten gegründet wurden.

Beide, Salafisten und Muslimbrüder, streben also eine Ordnung an, die sich streng am Koran und an der in der Zeit des Propheten praktizierten sozialen Ordnung orientiert, wobei sich die Salafisten durch größere dogmatische Militanz auszeichnen als die Mehrheit der Muslimbrüder. Mit dem im Rest des in der muslimischen Welt praktizierten toleranten und pragmatischen Islam haben diese Strömungen wenig bis nichts zu tun.

Weder Salafisten noch Muslimbrüder stellen allerdings in sich geschlossene ideologische Formationen dar, wie dies die Auseinandersetzungen im Lager der Muslimbrüder in Ägypten und in Tunesien oder das Verhältnis der ägyptischen Muslimbrüder zur palästinensischen Hamas zeigen. Am Augenfälligsten sind derzeit die bewaffneten Auseinandersetzungen auch zwischen salafistischen Gruppen in Syrien. Schon dies zeigt, dass auch der scheinbar einfache Weg des "Zurück zum Buch" eine Sache sehr unterschiedlicher Exegesen ist.

Es liegt wohl mehr an unserem Blick auf die Anderen, die Fremden, wenn Konflikte in der islamischen Welt weniger auf ihre sozialen Ursachen untersucht, sondern als religiös verwurzelt oder determiniert gedeutet werden. In der Dialektik der wechselseitigen Selbstdefinition des Wir und der Anderen verwundert es dann nicht, wenn auch seitens salafistischer Militanz Kategorien benutzt werden, die teils auf die Religion verweisen, teils aber antikoloniale und antiwestliche Ressentiments bedienen, die durchaus Realitätsbezug haben. So erhalten Reden Überzeugungskraft wie etwa die, die Ayman al-Zawahiri, damals Stellvertreter Bin Ladens und seit dessen Ermordung Führer des nebulösen Netzwerks Al-Qaida zum zweiten Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 hielt:

"An diesem zweiten Jahrestag wollen wir uns an die Menschen in den am Kreuzzug teilnehmenden Staaten wenden, um ihnen Folgendes zu sagen: Wir sind keine Verfechter Von Töten und Zerstörung. Mit Hilfe Gottes aber werden wir jede Hand abschlagen, die sich in feindlicher Absicht nach uns streckt. Hört auf mit Euren Angriffen auf die Menschen und das Eigentum der Unterdrückten. Genug des Handelns mit Slogans von "Freiheit und Gerechtigkeit" und "Menschenrechten"! Wenn Ihr den Islam zurückweist, haltet wenigstens inne in Eurer Feindseligkeit gegen unsere islamische Weltgemeinschaft. Über Jahrzehnte habt Ihr unsere Frauen und Kinder getötet, unseren Wohlstand gestohlen und Tyrannen unterstützt, die unsere Gemeinschaft brutal beherrschen ..."(13)

Schon immer wurde - im Orient wie im Okzident - die Religion für politische Zwecke instrumentalisiert. Saudi-Arabien nutze die wahabitische Missionierung zum Zwecke der Steigerung seines Einflusses in der islamischen Welt schon seit den 50er, Verstärkt in den 70er Jahren und massiv seit 1990 durch die Entsendung von Predigern insbesondere in die Sahara, in die muslimischen Gebiete des Kaukasus und des Balkan und, vor allem, nach Pakistan und Afghanistan, aber auch in die aus der Migration hervorgegangenen islamischen Communities in Westeuropa.

Die Rekrutierung von Jihadisten

Viel ist in der letzten Zeit in unseren Medien die Rede von radikalen Salafisten, die sich aus ganz Europa auf den Weg nach Syrien machen, um dort am Jihad gegen die "Ungläubigen" teilzunehmen, Innenminister Friedrich spricht von "50 Kämpfern aus Deutschland".(14) Diese Angaben können durchaus zutreffen. Von der Hand zu weisen ist auch nicht die Befürchtung, dass diese Jihadisten eine solide Ausbildung im terroristischen Kampf (Herstellung von Bomben aller Art, deren strategischer Einsatz gegen die Zivilbevölkerung) erhalten, wie dies aus der Kriegführung von Al-Qaida nahe stehenden Gruppen aus Afghanistan, Irak und Syrien bekannt ist.

Andrerseits darf nicht übersehen werden, dass die Radikalisierung einzelner Muslime auch Resultat der Ausgrenzung und Diskriminierung ist, die sie hier erfahren.(15) Jenseits diskriminierender Erfahrungen hier kommt die Demütigung hinzu, die Muslimen ob ihrer Religionszugehörigkeit weltweit zu Teil wird: Da ist das Lager Guantanamo, wo seit zwölf Jahren Terrorverdächtige inhaftiert sind und gefoltert werden, ohne dass ihnen die Mindestrechte zur Verfügung stehen, die jedes rechtsstaatliche Verfahren fordert. Da sind die Horrorbilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib,(16) die Berichte über Foltergefängnisse wie Baghram in Afghanistan, über US-Folterschiffe auf hoher See, über die geheimen Flüge der CIA, mit denen willkürlich gefangen Genommene von Lager zu Lager verbracht worden - u. a. auch nach Syrien mit der Begründung, die Verhörmethoden seien dort effizienter als bei der CIA.(17)

Medien und Politik hierzulande behandeln das Problem der Rekrutierung von Kämpfern für den so genannten Jihad fast nur auf der ideologischen Ebene und ordnen es meist ein in das Paradigma eines "Kampfes der Kulturen" von Samuel P. Huntington.(18)

So gelingt es, den Zustrom von Kämpfern etwa nach Syrien als Folge des den Muslimen scheinbar eingeborenen Fanatismus zu deuten, der in der Tat Züge eines Massenphänomens angenommen hat: Schon im Juni 2012 berichtete Rainer Herrmann in der FAZ von "mindestens 3000 libyschen Kämpfern" in Syrien.(19) Und bereits im Mai 2011 war bekannt, dass nicht nur Kämpfer, sondern auch erhebliche Mengen Waffen nach Syrien geliefert werden.(20)

Es gibt aber bei weitem nicht nur die in unseren Medien allgegenwärtige ideologische Motivation, da ist auch die finanzielle Seite des Jihadismus: Beispielsweise erhalten junge Tunesier bei ihrer Rekrutierung für den Krieg in Syrien oder anderswo ein Handgeld zwischen 15.000 und 20.000 €."(21) Darüber hinaus sollen sie einen täglichen Sold von über 300 $ erhalten.(22) Für die perspektivlosen Jugendlichen der Elendsviertel sind dies gewaltige Summen. Erstmalig können sie zum Familienunterhalt beitragen, ihrem Vater ein Auto kaufen ... Die Zahl allein der tunesischen Kämpfer in Syrien wird inzwischen auf 5000 geschätzt. Doch nicht nur die "Freiwilligen" erhalten ein Handgeld, auch die Werber werden königlich entlohnt: Sie sollen bis zu 25.000 $ pro angeworbenem Kämpfer bekommen.(23)

Die Angaben über die Zahlen der Kämpfer schwanken gewaltig: So berichtet der österreichische Journalist und Schriftsteller Hannes Hofbauer unter Verweis auf eine Pressekonferenz von Hanna Ghoneim, einem griechisch-katholischen Geistlichen aus Syrien, der im Rahmen der Erzdiözese Wien die römischen Christengemeinden des Nahen Ostens betreut, von insgesamt 60.000 ausländischen Kämpfern, die in Syrien Krieg führen. Sie stammen vorwiegend aus Libyen, Tunesien und Ägypten.(24) Darunter sind auch Kinder und jugendliche, die in Büros in Tunis und in Kairo im Alter von 14 bis 18 Jahren für den "Jihad" in Syrien rekrutiert werden. Das Handgeld für diese Kategorie von Kämpfern betrage 2000 $, versprochen werde auch finanzielle Hilfe für die Bestattung, sollte das Kind den "Märtyrertod" erleiden.

Diese Beschaffung billigen Kanonenfutters hat nichts mit Religion zu tun, sondern ist Folge des sozialen Elends in den nordafrikanischen Großstädten. Das Ausmaß des Jihad-Tourismus erhellt sich u.a. aus den Angaben einer tunesischen Zeitung, wonach die Regierung sich auf die Rückkehr von 2300 tunesischen Jihadisten aus Syrien vorbereite,(25) die, so ist anzunehmen, größtenteils von der syrischen Armee gefangen genommen wurden. Selbst das von der islamistischen Ennahda geführte tunesische Innenministerium erklärte, dass 1094 tunesische Jihadisten in Syrien kämpften.(26) Die größte Zahl der tunesischen Jihadisten wechselt offenbar über die Grenze in Ausbildungslager in Libyen. Von dort werden sie meist über die Türkei nach Syrien gebracht.(27)

Ein besonders widerlicher Aspekt des Jihad-Tourismus nach Syrien ist der "sexuelle Jihad": So sollen mindestens dreizehn junge Frauen und Mädchen aus Tunesien freiwillig nach Syrien gegangen sein, um dort mit sexuellen Dienstleistungen die Moral der Kämpfer zu stärken. Dabei berufen sich die Jihadisten auf eine ominöse Fatwa eines bis dahin unbekannten Scheikhs.(28) Erschütternd ist ein Video, das vor allem im Internet kursierte und auch von einem privaten tunesischen TV-Sender ausgestrahlt wurde, in dem die Eltern einer Schülerin deren Verschwinden nach Syrien beklagen: Salafistische Mitschüler hätten sie zu diesem Entschluss getrieben.(29) Dass es sich bei diesem "sexuellen jihad" nicht um ein Einzelphänomen handelt, bestätigt der ehemalige Mufti der altehrwürdigen (theologischen) Zituna-Universität, der von Ennahda abgesetzt worden war.(30)

Das genaue Ausmaß der Migration von Kämpfern nach Syrien ist unklar. Immerhin verwies der Sondergesandte für Syrien des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Lakhdar Brahimi, in seinem Bericht für den Sicherheitsrat vom 23. April 2013 auf glaubwürdige Zahlen von 30 bis 40.000 ausländischen Kämpfern.(31) Als stärkste Gruppe gilt die Nusra-Front (jabhat an-nusra), die sich als Teil von Al-Qaida bezeichnet und von Ayman al-Zawahiri, dem Nachfolger Bin Ladens, als Gruppe des Netzwerks anerkannt ist.(32) Jedoch ist Front nicht die einzige islamistische und vom Ausland finanzierte Gruppe: Die International Crisis Group zählt in ihrem Bericht vom Oktober 2012 mindestens zehn unterschiedliche islamistische Gruppen auf, die, von unterschiedlichen ausländischen Akteuren unterstützt, je nach momentaner Konjunktur teilweise im Verbund, teilweise gegeneinander kämpfen.(33) Dieser Kriegstourismus wird überwiegend finanziert von den Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien und Qatar.(34) Dabei spielen nicht nur die dortigen Regierungen eine wichtige Rolle, viel Geld fließt wohl auch von reichen Familien in diesen reaktionären Staaten und zahlreichen dort angesiedelten religiösen Stiftungen zur Verbreitung des Wahabismus. Auch gibt es Hinweise, dass auch die USA über ihre Geheimdienste schon seit 2011 al qaeda nahestehende Gruppen finanzieren.(35)

Welche internationale Dimensionen der Jihadismus inzwischen erreicht hat, zeigt auch die Tatsache, dass unter den getöteten Angreifern auf das algerische Gasfeld bei Ain Amenas im Januar 2013 elf Tunesier waren.(36) Der Zulauf von Jihadisten in die Kriegsgebiete Syriens und des Sahel rekrutiert sich fast aus allen arabischen Ländern. Die Zahl der libyschen Kämpfer in diesen Konfliktgebieten dürfte mit Abstand die höchste sein. Die Presse der arabischen Länder liefert hierzu immer wieder Zahlen, die aber schwer nachprüfbar sind.

Jihad oder Machtpolitik: Die Neugestaltung des Nahen Ostens nach der Arabellion

Sicherlich spielt die salafistische Ideologie bei der Rekrutierung der Kämpfer eine Rolle, und sicherlich werden in der Ausbildung identitätsstiftende Elemente wie die Idealisierung von Kameradschaft gepflegt.(37) Erheblich wichtiger aber dürfte die Bezahlung sein, denn es ist unbestritten, dass sich die große Masse der Jihadisten aus den ärmsten Schichten der Bevölkerung rekrutiert: Handgelder und Tagegelder stellen somit im "Heiligen Krieg" das wohl entscheidendste Motiv dar für perspektivlose Jugendliche, ja Kinder (und teilweise deren Eltern), wenn sie sich auf die Schlachtfelder in Syrien, Irak und im Sahel begeben oder ihre Kinder dorthin schicken.

Damit stellt sich die Frage, welche Interessen mit der Finanzierung dieser Gruppen verfolgt werden. Und es stellt sich weiter die Frage, ob gerade die Kriege in Libyen und Syrien nicht ein neues Licht auf die arabischen Revolten des Jahres 2011 werfen: Die USA und der Westen hatten die Revolten, die die ihnen Jahrzehnte lang treu ergebenen diktatorischen Freunde stürzten, mit Begeisterung begrüßt.(38) Der qatarische Sender Al-Jazeera hatte entscheidenden Anteil an der Mobilisierung der Menschen in der ganzen Region gegen die verhassten Tyrannen. Die Islamisten, die in Tunesien während der Revolte und noch Monate danach nicht in Erscheinung traten und auch in Ägypten erst spät in die Proteste einschwenkten, dominieren in Tunesien die Regierung, in Ägypten wurden sie unter Beifall aller politischen Richtungen vom Militär von der Macht vertrieben. Ihre Wahlkämpfe wurden massiv unterstützt durch saudisches und qatarisches Geld. Erstmals seit ihrer Gründung trat die Arabische Liga als wichtiger Akteur auf die internationale Bühne, als sie - nun endlich unter islamistischer Dominanz - eine Resolution zur Einrichtung einer Flugverbotszone in Libyen beschloss, die dann zur Vorlage für die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats wurde, mit der der Krieg in Libyen legitimiert wurde.(39)

Gleichzeitig ist festzustellen, dass die USA nach zwei verlorenen Kriegen in Irak und Afghanistan, nach den Folgen der Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrisen nicht mehr in der Lage sind, ihre hegemoniale Stellung unilateral und beliebig durchzusetzen.(40) Ihre militärische Macht dirigieren sie um in den Pazifik, wo ihnen eine Bedrohung durch die neue Großmacht China zu entstehen scheint. In der arabischen Welt brauchen sie daher einen Statthalter und zugleich ein Gegengewicht gegen den Iran, nachdem sie dessen bisherigen Rivalen Irak zerstört haben. Da fügt es sich, dass die Islamisten, allen voran die Wahabiten, konsequente Verfechter liberaler Wirtschafts- und Außenhandelspolitik und damit dem westlichen Kapital willkommene Partner sind. Zugleich kontrollieren sie die wichtigsten Öl- und Gasreserven der Welt. Ein dauerhaftes Arrangement mit den Golfstaaten erscheint dem Westen so als verlässliche Bastion in der in Unruhe geratenen arabischen Welt (Westerwelle: "Saudi-Arabien ist ein Anker der Stabilität"). So werden die Saudis und Qataris, die zugleich die größten Akteure an den Finanzbörsen sind, als neue Statthalter aufgebaut. Der Preis dafür ist, dass sie ihrerseits ungehindert die Islamisierung der Region betreiben dürfen, um ihre eigene Herrschaft zu stabilisieren - und dies mit der Unterstützung des Westens, für den die islamistischen Terroristen von gestern nun neue und wichtige Partner werden:

"Der Export ihrer eigenen Variante des Islam ist nicht der einzige Punkt auf der Tagesordnung von Saudi-Arabiens Außenpolitik. Während sie sich verstehen als die Hüter der islamischen Lehre und immer großzügig islamische Missionare finanziert haben, ist es eben nicht die Priorität der Saudis, die islamische Welt zu "salafisieren". Ihr wahres Ziel ist die Konsolidierung ihres politischen und ideologischen Einflusses durch die Etablierung eines Netzwerks von Unterstützern, die in der Lage sind, die strategischen und wirtschaftlichen Interessen des Königreichs zu verteidigen."(41)

Der Preis der Stabilisierung der Verbündeten am Golf ist also der Sturz der säkularen Regime. Nach Tunesien, Ägypten und Jemen gilt dies vor allem für Libyen und Syrien, womit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Wegen ihrer relativen politischen Unabhängigkeit, wegen der Afrika-Politik Libyens und wegen ihrer Gegnerschaft zu Israel waren sie westlichen Regierungen schon lange ein Dorn im Auge. Hinzu kommt die enge Zusammenarbeit zwischen Syrien und Iran, dem Erzfeind des Westens und der reaktionären sunnitischen Despotien am Golf. Dafür scheinen einflussreiche Kreise bereit zu sein, abermals mit jenen zu paktieren, die bereits in den 80er Jahren in Afghanistan zu den verlässlichen Unterstützern gezählt wurden, wie die Banden Osama Bin Ladens. So schrieb der wichtige US-Think Tank Council on Foreign Relations schon am 6. August 2012:

"Die syrischen Rebellen wären heute ohne Al-Qaida in ihren Reihen unermesslich schwächer. Die Einheiten der Freien Syrischen Armee sind weitgehend erschöpft, zerstritten, chaotisch und ineffektiv. (...) Al-Qaidas Kämpfer können jedoch helfen, die Moral zu steigern. Der Zustrom der Jihadisten bringt Disziplin, religiöse Leidenschaft, Kampferfahrung aus dem Irak, Finanzmittel von sunnitischen Sympathisanten aus den Golfstaaten, und am wichtigsten, tödliche Resultate, mit sich. Kurz gesagt, die FSA braucht Al-Qaida - jetzt."(42)

Zusammenfassung

So fügt sich die jihadistische Kriegführung in die sich herausbildenden neuen Koordinaten der internationalen Politik. Betrachtet man die eingangs aufgeführten Kriterien, die Private Militärische Unternehmen charakterisieren, dann ist festzustellen: Das Anheuern islamistischer Kämpfer erfolgt - wie bei den PMU - nach Bedarf und auf Zeit.

Die Gewaltakteure wie Al-Qaida und ihr nahestehende Gruppen respektieren weder völkerrechtliche Regelungen, noch die Genfer Konventionen. Da sie keine Staaten sind, können sie ihnen genauso wenig beitreten wie die "säkularen" PMU - ganz egal, ob sie als "terroristische Organisationen" klassifiziert werden oder nicht. Daraus resultiert für die Kämpfer auch ihr völkerrechtlicher Status als Söldner, der ihnen bei mörderischen Aktionen durchaus bewusst zu sein scheint.

Wie bei den PMU besteht das Personal aus (gut) bezahlten Freiwilligen. Der einzige, allerdings nicht unwichtige Unterschied ist im Gegensatz zu den "ideologiefreien" westlichen Unternehmen ein fanatischer Glaube, der mit seinen Versprechungen eines privilegierten Platzes im Paradies bei manchen Kämpfern ein zusätzliches Motiv, nicht aber der Hauptgrund für die Verdingung als Söldner sein kann. Dass es sich hierbei weniger um eine geschlossene und einigende Ideologie handelt, sondern um unterschiedliche Ausrichtungen, die wohl mehr von den Vorstellungen der jeweiligen Finanziers abhängen als von der religiösen Offenbarung, zeigt die Vielzahl der Gruppierungen gerade in Syrien.

Es zeigt sich also, dass die materielle irdische Attraktivität für die "Heiligen Krieger" wichtiger sein dürfte als der im Himmel versprochene Lohn. Betrachtet man die Lebensläufe prominenter Jihadisten,(43) so verweisen diese darauf, dass Männer, die ihr kriegerisches und terroristisches Handwerk ordentlich gelernt haben, wie insbesondere die arabischen Afghanen, von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz ziehen, immer dorthin, wo sie sich gewinnbringend verdingen können, genau wie die Landsknechte des 17. Jahrhunderts. Dabei nehmen sie es auch mit der viel gepriesenen Religion nicht so genau, wenn sie - wie insbesondere die islamistischen Banden im Sahel - sich alimentieren durch Entführungen, Menschen- und Drogenhandel.

Um die Funktionsweise moderner Gewaltakteure zu verstehen, genügt es nicht, deren kruden religiösen Diskurs zu analysieren. Private Militärische Unternehmen sind eine Zeiterscheinung. Warum sollten nur der Westen und die großen Konzerne ihre Dienste in Anspruch nehmen? Die vor allem an den Finanzmärkten aufsteigenden neuen global player von der arabischen Halbinsel haben im Jihadismus ein ihren Systemen konformes, aber durchaus modernes Instrument entdeckt, um ihre eigene Dominanz abzusichern und ihre Ziele durch Einsatz von Gewalt zu verfolgen. Genau darum ging es schon in den 80er Jahren in Afghanistan, nun gilt das Konzept offenbar für die ganze Region.


Anmerkungen

(1) Ausführlich hierzu: Ruf, Werner (Hrsg): Politische Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und die Privatisierung von Gewalt und Krieg, Opladen 2003.

(2) Die Bestimmungen sind auch nachzulesen unter
http://snallabolaget.com/?page_id:809 [24-06-13].
S. auch die definitorische Analyse des Begriffs bei Shearer, David: Private Armies and Military Intervention, Adelphi Paper Nr. 316. IISS London 1998

(3) Dies wird beispielhaft illustriert durch das Verhalten der Firma Executive Outcomes, die im Bürgerkrieg in Angola zunächst mit den Rebellen des Warlords Savimbi kämpfte, dann aber für bessere Bezahlung auf die Seite der Regierung wechselte und schließlich durch das Kriegsführungsunternehmen MPRI ersetzt wurde.
http://www.medico.de/projekte/angola/ [22-06-13].

(4) Joxe, Alain: L'Empire du Chaos, Paris 2002, S. 184. Aus dem Französischen W. R.

(5) House of Commons: Privat Military Companies. Options for Regulation, HC 577, London 12.02.2002

(6) Ausführlich dazu s. Ruf, Werner, a.a.O., S. 318-324

(7) http://www.engilitycorp.com/service-offerings/training-education/ [28-06-13].

(8) So Otfried Nassauer im Tagesspiegel am 24. August 2009, wo zahlreiche Kriegsverbrechen von Söldnern der Firma aufgezählt werden.
www.tagesspiegel.de/politik/international/soeldnerkonzern-blackwater-eine-firma-fuer-die-drecksarbeit/1586544.html [28-06-13].

(9) http://www.sourcewatch.org/index.php?title-Kellogg_Brown_and_Root [28-05-13].

(10) Imbert, Louis: D'où vient l'argent des talibans? In: Le Monde Diplomatique (Französische Ausgabe), September 2010, S. 1 und 22.

(11) Ruf, Werner: Terror, Geheimdienste und Geopolitik: Wie die Achse Washington - Algier Ressourcensicherung betreibt: in: Albrecht, Holger (Hrsg): Der Vordere Orient. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Baden-Baden 2007, S. 63-79.

(12) Ruf, Werner: Der Islam - Feindbild des Abendlandes. Wie sich der Westen sein Feindbild konstruiert. Köln 2012.

(13) http://jihadunspun.com/home.php [22-12-03].

(14) FAZ, 8. Juni 2013 S. 1 und 2.

(15) Ruf: Der Islam a. a. O.

(16) Dass dies propagandistisch leicht nutzbar war, liegt auf der Hand. S. El Difraoui, Asiem: Drei ]ahrzehnte Videodschihad. In: Blätter für deutsche und Internationale Politik Nr. 6/2013, S. 43-51, hier S. 47

(17) www.guardian.co.uk/politics/2011/aug/04/uk-allowed-interrogate-tortured-prisoners [10-06-13]

(18) Huntington, Samuel P.: The Clash of Civilizations? In: Foreign Affairs, Summer 1993, S. 22-49.

(19) FAZ 18. Juni 2012.

(20) Jay, Paul: Was ist los mit Al Jazeera? In: inamo Nr. 70, Sommer 2012, S. 43-46.

(21) So Balduin Winter unter Berufung auf die Wochenzeitung Jeune Afrique. Winter, Balduin: Tunesien: Islamismus oder neuer Aufbruch. In: Blätter für deutsche und Internationale Politik S. 111-119, hier S. 114. In der tunesischen Presse finden sich Angaben, die zwischen 15.000 und 18.000 € schwanken.

(22) Todenhöfer, Jürgen: Es gibt keine gemäßigten Rebellen mehr. In: FAZ 3. Mai 2013, S. 10.

(23) Diese Summe nennt Achourouk, 28. Mai 2013. Nach den Angaben dieser Zeitung erhalten die Kämpfer "nur" ein Handgeld von 6.000 $.

(24) Hofbauer, Hannes: Für eine Handvoll Dollar an die vorderste Front. Neues Deutschland, 29. Mai 2013, S. 2. Vgl.
http://syrieninfo.blogspot.de/2013/05/christlicher-pater-hanna-ghoneim-aus.html [26-07-13].

(25) Achourouk, 4. Juni 2013.

(26) Achourouk, 23. Mai 2013.

(27) Ebenda.

(28) http://frontpagemag.com/2013/dgreenfield/islamists-rename-prostitution-for-terrorists-as-sexual-jihad/ [15-07-13].

(29) www.youtube.com/watch?v=joAJ3RI77WA [09-07-13]

(30) "Ich habe den Preis dafür bezahlt, dass ich mich gegen den Jihad in Syrien, gegen die Jihad-Prostitution von Frauen, gegen Polygamie, gegen die undokumentierten traditionellen Eheschließungen und für die erneute Vereinheitlichung der Gebetszeiten ausgesprochen habe und dass Zivilstaat und Islam miteinander vereinbart sind." Tageszeitung Achourouk vom 7. Juli 2013, zit. n. Pressedienst der deutschen Botschaft Tunis, 07-07-13.

(31) http://un-report.blogspot.de/2013/04/brahimi-in-closed-meeting-I-apologize.html [27-06-13].

(32) Ebenda.

(33) Volltext des Berichts:
http://www.crisisgroup.org/-/media/Files/Middle%20East%20North%20Africa/Iraq%20Syria%20Lebanon/Syria/131-tentative-jihad-syrias-fundamentalist-opposition [27-06-13].

(34) www.spiegel.de/politik/ausland/golfstaaten-sollen-millionen-an-syrische-aufstaendische-zahlen-a-825135.html [28-06-13].

(35) www.opinion-maker.org/2011/09/u-s-ambassador-to-syria-in-charge-of-recruiting-arab-muslim-death-squads/ [26-06-13].

(36) So die algerische Zeitung El Watan am 22. Januar 2012.
http://www.algeria-watch.org/fr/article/mil/groupes_armes/eclairage_premier_ministre.htm [24.-01-13].

(37) El Difraoui, a. a. O., S. 50.

(38) Ausführlich dazu: Ruf, Werner: Revolution und Konterrevolution in Nahost: Vom arabischen Frühling zum islamistischen Winter? In: Edlinger, Fritz/Kraitt, Tyma (Hrsg.): Syrien. Hintergründe, Analysen, Berichte. Wien 2013, S. 157-174

(39) Ruf, Werner: Libyen und die arabische Welt. In: Becker, Johannes M./Sommer, Gert (Hrsg): Der Libyen-Krieg, Münster 2012, S. 159-172, hier S. 164-166.

(40) Brzezinski, Zbigniew: Strategic Vision. America and the Crisis of Global Power. New York 2012.

(41) Samir Amghar in einem Interview mit dem französischen Sender France 24:
http://moneyjihad.wordpress.com/2012/12/07/saudi-arabia-still-head-of-terror-finance-octopus/ [28-06-13].

(42) www.cfr.org/syria/Al-Qaidas-specter-syria/p28782 [12-06-13].

(43) Genannt seien hier nur relativ prominente "Afghanen" wie Abou Moussab al-Zarqaoui (aus Jordanien). Abou Yahya al-Libi (aus Libyen), Diamal Zitouni, Mokhtar Belmokhtar (beide aus Algerien).

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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 75, Herbst 2013

Gastkommentar
- Die EU-Richtlinien und der "Friedensprozess". Von Shir Hever

Mali
- Vielschichtige Akteure und ihre Interessen: Ein neues Spiel mit alten Karten. Von Ines Kohl
- Knarren, Kippen & Salafi-Träume: Wie Al-Qaida in den Maghreb kam. Von Andy Morgan
- Ein Flusspferd und acht blinde Analysten. Von 8 Analysten
- Vor und nach den Wahlen - die Tuaregperspektive. Von Jeremy Keenan
- Der Nord-Süd-Mythos. Der eurozentrische Blick auf Mali. Von Charlotte Wiedemann
- Malis Krieg - ungesehen. Von Thomas R. Lansner
- Wirtschaftsfunktionär bei der Wahl abgeschlagen ... Von Bernard Schmid
- Niger: Der 'gerechte' Preis des Uran. Paul Martial im Gespräch mit Solli Ramatou
- Die Intervention in Mali: Kampf um geostrategische Interessen? Von Werner Ruf
- Krieg und Frieden - das malische Kapitel. Von Aminata Traoré

Afghanistan
- Der Kampf um den Kopf des toten Kalbes. Von Matin Baraki

Ägypten
- Weder Helden noch Bösewichte. Ayça Çubukçu im Gespräch mit Talal Asad
- Mubarakismus ohne Mubarak. Von Joseph Massad

Jihad
- Internationaler Jihadismus: Neue militärische Entrepreneure? Von Werner Ruf

Türkei
- 'Shoppen, Beten, Kinderkriegen' - Aufstand in der Türkei. Von Errol Babacan

Syrien
- In den Händen des Bösen. Von Domenico Quirico

Sudan
- Sudan und Südsudan: Bleibt alles anders. Von Roman Deckert und Tobias Simon

Wirtschaftskommentar
- "Derweil die Aufmerksamkeit sich auf Syrien richtet ..." Syrien und die Realität daheim in Amerika. Von Robert Reich

Zeitensprung
-"Orient" (Haifa 1942-1943). Von Norbert Mattes

Nachruf
- Ilan Halévi 1943 - 2013. Von Dominique Vidal

ex mediis
- Trevor Aaronson: The Terror Factory. Von Norbert Mattes
- Tikva Honig-Parnass: False Prophets of Peace. Von Ludwig Watzal
- Michael Bröning: Political Parties in Palestine. Von Werner Ruf
- Stefan M. Kreutzer: Dschihad für den Deutschen Kaiser. Von Jörg Tiedjen

Nachrichtenticker

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Quelle:
INAMO Nr. 75, Jahrgang 19, Herbst 2013, Seite 61 - 67
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und Mittleren Ostens
Herausgeber: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2014