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NAHOST/1058: Türkei - Vier Tote bei Bombenexplosionen bei HDP-Wahlkampfkundgebung in Amen (Civaka Azad)


Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
Pressemitteilung vom 6. Juni 2015

Vier Tote bei Bombenexplosionen bei HDP-Wahlkampfkundgebung in Amed (Diyarbakir)


Gegen 17 Uhr des heutigen Nachmittags [5.6.2015] kam es zu zwei schweren Bombendetonationen auf einer Kundgebung der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Amed (Diyarbakir). Bei dem Anschlag wurden nach ersten Erkenntnissen vier Menschen getötet, mehrere hundert Menschen, zum Teil schwer, verletzt. Während türkische Sicherheitskräfte mit Wasserwerfern und Tränengasgrantaten gegen die Kundgebungsteilnehmer vorgingen, appellierte der Co-Vorsitzende der HDP Selahattin Demirtas an die Protestanten nicht zum Spielball dieser Provokation zu werden.

Türkischer Energieminister Yıldız: Keine Explosion eines Trafos

Entgegen erster Berichte handelt es sich bei dem Anschlag laut des türkischen Energieministers Taner Yıldız um keine Explosion eines Trafos. Dadurch erhärtet sich der Verdacht, dass die Explosion durch einen Bombenanschlag verursacht wurde. Der Anschlag stellt den vorläufigen Höhepunkt in einer Reihe von Angriffen auf die HDP in den letzten Tagen dar

Bombenexplosion in der Nähe der Bühne

Angaben einer internationalen Wahlbeobachtungsdelegation aus Deutschland zu Folge hat sich die erste Detonation am Rande der Bühne ereignet. Etwa zwei Minuten später folgte die zweite Explosion, welche weitaus gewaltsamer als die erste gewesen sein soll. Weiter berichten die Wahlbeobachtungsteilnehmer, dass i n Folge dessen die türkische Polizei mit Wasserwerfern gegen die Menschenmenge vorgefahren ist.

Etwa 180 Angriffe auf die HDP

Die Anzahl das Gewaltattacken auf HDP-Kundgebungen, Parteibüros und Sympathisanten ist in der letzten Woche vor der Wahl drastisch gestiegen. Menschenrechtsorganisationen beziffern die Zahl der Angriffe auf über 180. Nach einem Angriff auf einen HDP-Wahlkampfwagen in Erzurum wurde der Fahrer des Wagens mit schweren Brandverletzungen auf die Intensivstation verlegt. Mehrere Tausend Angreifer, zum Teil mit Messern und Macheten ausgerüstet, attackierten die HDP-Kundgebung und setzen dabei mehrere Autos in Brand, in welchen sich teilweise noch Menschen befanden.

HDP-Mitglied Hamdullah Öğe wurde am Mittwochabend wurde in der Nähe seines Wohnortes Tod aufgefunden. Der erste Autopsiebericht spricht von schweren Folterspuren und etwa 30 Einschusswunden. Öğe war mit einem HDP-Wahlkampfmobil von einer Kundgebung auf dem Weg nach Hause.

Demirtas ruft zur Ruhe auf

In einem ersten Pressestatement rief Selahattin Demirtas, Co-Vorsitzender der HDP die Menschen dazu auf, nicht zum Spielball von Provokationen zu werden. Weiter fügte Demirtas hinzu, dass die Bevölkerung die Antwort auf den Vorfall am Wahltag des kommenden Sonntags geben wird. "Die HPD, der Frieden und die Freiheit werden siegen."

Opposition wirft AKP Demagogie vor

Seit Wochen klagt die türkische Oppostion, dass die amtierende Regierungspartei AKP und der türkische Staatspräsident eine offene Volkshetze betreiben würde. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen werden seitens verschiedender Vertreter der Republikanischen Volkspartei (CHP) und der HDP als Resulat dieser aggressiven Demagogie bewertet. Bereits Tage zuvor kursierten in den türkischen Medien Gerüchte darüber, dass es zu ähnlichen Provokationen, wie heute in Amed, kommen würde.

Expertenmeinungen gehen davon aus, dass die AKP damit bestrebe den starken Aufwärtstrend der HDP kurz vor den Wahlen zu stoppen. Sollte die HDP die 10% Wahlhürde überschreiten, wird die AKP aller Voraussicht nach nicht mehr die alleinige Regierungsmehrheit aufbringen können. Durch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen HDP-Anhängern und Angehöriger anderer Parteien soll bestrebt werden eine Polarisierung zu erzeugen, die vor allem die westlichen Wähler davor abschrecken soll die HDP zu wählen.

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Berichte der deutschen Wahlbeobachtungsdelegation, die an der Wahlkampfveranstaltung in Amed teilgenommen hat:

Explosionen auf der Wahlkampfveranstaltung der HDP in Diyarbakir am 05.06.2015

Bericht der Delegation

Wir sind als Delegation für die diesjährige Beobachtung der Parlamentswahlen gegen Nachmittag mit ca. 15 Personen zur letzten Wahlkampfveranstaltung der HDP in Diyarbakir gegangen. Mit uns strömen Zehntausende von Menschen auf den Platz und in die Straßen - Kinder, Frauen, Jugendliche, Männer. Alle tragen die kurdischen Farben sowie die Symbole der HDP. Die Stimmung ist ausgelassen, hupende Autos fahren an uns vorbei, immer wieder werden wir angehalten, angesprochen und mit dem Victory-Zeichen begrüßt. Der Platz vor der Bühne und die Straßen sind gefüllt, es wird getanzt und es werden Sprechchöre gerufen. Nach mehreren Konzerten kommen unterschiedliche kurdische und türkische Sprecher_innen auf die Bühne, die allesamt in ihren energievollen Reden für ein "neues, friedliches Zusammenleben aller kulturellen, religiösen und anderen Minderheiten" werben. Die Stimmung ist hoffnungsvoll.

Kurz bevor der Co-Vorsitzende der HDP sprechen soll, gibt es plötzlich eine Detonation rechts vor der Bühne. Wir stehen etwas weiter hinten und können nicht richtig einschätzen was passiert. Menschen in der Nähe der Explosion sind offensichtlich in Aufregung. Nach ca. zwei Minuten gibt es eine zweite, stärkere Detonation, deren Druckwelle bis einige hundert Meter weit weg zu spüren ist. Eine Rauchwolke steigt über der Menschenmenge auf. Es wird hektischer und Leute tragen Verletzte zum Ausgang des Veranstaltungsgeländes. Die Verletzten haben verbrannte, zerrissene Kleider und blutige Wunden. Die strömen zunehmend zum Ausgang, es ist unklar, was genau passiert ist. Immer wieder transportieren normale Autos Verletzte davon, vereinzelt kommen Krankenwägen. Als wir das Gelände verlassen, ist die Polizei mit Wasserwerfern vorgefahren, was die Menge zusätzlich aufbringt. Es kommt zu Straßenschlachten.

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Quelle:
Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
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Internet: www.civaka-azad.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2015

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