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NAHOST/1068: Repressive Regierungen verantwortlich für Aufstieg islamistischer Gruppen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Dezember 2015

Nahost: Menschen machen korrupte, repressive Regierungen für Aufstieg islamistischer Gruppen verantwortlich

von Derek Davison *



Bild: © Khaled Moussa al-Omrani/IPS

Menschen in Kairo stehen an den Wahlurnen an
Bild: © Khaled Moussa al-Omrani/IPS

WASCHINGTON (IPS) - Korrupte, repressive und nicht frei gewählte Regierungen sind genauso für den Aufstieg islamistischer Gruppen verantwortlich wie religiöse Führer und Gruppen, die extremistische Ideen oder fehlerhafte religiöse Interpretationen liefern. Das jedenfalls denken einer Umfrage zufolge Menschen in arabischen Ländern, dem Iran und der Türkei. Weniger in die Verantwortung nehmen sie hingegen eine möglicherweise allgemeine Wut gegenüber den USA.

Für die Studie im Auftrag vom 'Sir Bani Yas Forum' in den Vereinigten Arabischen Emiraten befragte das Institut 'Zogby Research Services' im September dieses Jahres 7.400 Erwachsene in Ägypten, dem Iran, Irak, Jordanien, dem Libanon, Saudi-Arabien, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Themen waren unter anderen die andauernden Konflikte im Irak, in Libyen, Syrien und dem Jemen sowie die Situation in Israel und Palästina, der Atomdeal mit dem Iran und die Bedrohung durch religiösen Extremismus. Im Iran und im Irak wurden die Menschen außerdem zu unterschiedlichen landesinternen Themen befragt.

Auf die Frage, wer die meiste Verantwortung für den Aufstieg des religiösen Extremismus trägt, war die häufigste Antwort zum einen "korrupte Regierungen", zum anderen "extremistische und/oder fehlerhafte religiöse Ideen". Als andere treibende Faktoren wurden Bildungsarmut, Armut und Entfremdung genannt. In allen Ländern außer dem Iran stimmten die Befragten der Aussage zu, dass es für den Kampf gegen den Extremismus "sehr wichtig" sei, extremistischen Ideen etwas entgegenzusetzen. Außerdem müssten die politischen und sozialen Realitäten verändert werden, die junge Menschen dazu bringen, sich vom Extremismus angezogen zu fühlen. Im Irak erklärten die Befragten aller größeren religiösen Gruppen (Sunniten, Schiiten, Kurden), dass es notwendig sei, eine inklusive, frei gewählte Regierung zu bilden, um den Konflikt im Land zu lösen. Sie gingen jedoch alle davon aus, dass sich dies nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre bewerkstelligen ließe.


Weniger Wut auf USA

Wut auf die USA wurde als nebensächlicher Grund für den Aufstieg terroristischer Gruppen genannt. In Ägypten, Saudi-Arabien und der Türkei stimmten die meisten Menschen dieser Begründung zu. Für Zogby bedeutet das, dass US-Präsident Barack Obamas Versuch, in der Region einen "kleinen US-amerikanischen Fußabdruck" zu hinterlassen, sich ausgezahlt habe. Dennoch erklärten die meisten Befragten, dass die USA eine negative Rolle im Kampf gegen extremistische Gewalt spielen.

Mit Bezug auf die Situation in Israel und Palästina zeigte sich, dass die Menschen in fünf von sechs arabischen Ländern einen Arabisch-Israelischen Friedensschluss weniger unterstützen als noch im Jahr 2009, als 'Zogby International' eine ähnliche Befragung durchgeführt hatte. In Ägypten nahm die Zahl der Unterstützer am meisten ab. Fast zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie einem Friedensvertrag auch dann nicht zustimmen würden, wenn Israel sich dazu entschließen würde, das gesamte besetzte Territorium zurückzugeben und die Flüchtlingsfrage zu klären. Im Jahr 2009 waren es in Ägypten lediglich acht Prozent gewesen, die genauso antworteten. Das könnte ein Problem für den ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi werden, der in der vergangenen Zeit darum bemüht war, die Beziehungen seines Landes zu Israel zu verbessern.

Auch in anderen arabischen Ländern hat die Zustimmung zu einem Friedensschluss zwischen Israel und Palästina erheblich abgenommen, wenn auch nicht zu so einem großen Maß wie in Ägypten. In Jordanien stieg die Ablehnung von 13 Prozent im Jahr 2009 auf 24 Prozent in diesem Jahr. Im Libanon waren es 18 Prozent, heute 30. In Saudi-Arabien waren 2009 noch 18 Prozent gegen einen Friedensvertrag, heute sind es mit 36 Prozent doppelt so viele. In den Vereinigten Arabischen Staaten lehnten vor sechs Jahren noch lediglich acht Prozent einen Friedensschluss ab, heute sind es 19 Prozent. Im Irak wurde die Befragung vor sechs Jahren noch nicht durchgeführt. Heute würden 59 Prozent einen Friedensschluss ablehnen.


Iranischer Atomdeal "gut für Iran"

Der iranische Atomdeal wird im Iran teils anders bewertet als in den arabischen Ländern. Die Mehrheit in Ägypten (63%), Jordanien (53%), Saudi-Arabien (62%) und den Vereinigen Arabischen Emiraten (91%) erklärte, der Deal sei "lediglich gut für den Iran, aber nicht für die arabischen Staaten" und sie seien "nicht davon überzeugt", dass der Deal den Iran davon abhielte, ein Atomwaffenprogramm zu entwickeln.

Im Iran selbst erklärten 80 Prozent, den Deal zu unterstützen. Widersprüchlich wirkt, dass gleichzeitig 68 Prozent sagten, dass es "schlecht" für den Iran sei, sich Einschränkungen für sein Nuklearprogramm diktieren zu lassen. Oder, wie John Zogby, Leiter des Umfrageinstituts es formuliert: "Die Iraner sind für den Deal, mögen ihn aber nicht."

Die Frage, ob der Iran Atomwaffen haben sollte, bejahten 68 Prozent der befragten Iraner. Entweder, weil der Iran "eine große Nation" sei oder weil andere Länder auch Atomwaffen besitzen. Die Begründung, dass der Iran Atomwaffen besitzen sollte, weil es ein großes Land sei, sank von 49 Prozent im Jahr 2014 auf 20 Prozent in diesem Jahr. Die Antwort "weil andere Länder auch Atomwaffen besitzen" wählten 2014 lediglich 14 Prozent, in diesem Jahr jedoch bereits 32 Prozent. (Ende/IPS/jk/18.12.2015)

* Der Artikel erschien erstmals im Blog über die US-Außenpolitik von IPS-Autor Jim Lobe 'Lobelog.com'


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/12/new-poll-highlights-need-for-reform-in-the-middle-east/

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IPS-Tagesdienst vom 18. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2015

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