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NAHOST/449: Krieg in Gaza - Brei der Medien (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 8. Januar 2009

Brei der Medien

Westliche Berichterstattung über Krieg in Gaza ist von
einseitiger Parteinahme für Israel gekennzeichnet

Von Karin Leukefeld


Seit Beginn der Bombardements am 27. Dezember verweigert Israel Journalisten den Zutritt zum Gazastreifen. Wie Tiger im Käfig wandern die Fernsehkorrespondenten vor der militärischen Sperrzone am Gazastreifen auf und ab; ab und zu zoomen die Kameras auf die Rauchsäulen, die am Horizont zu sehen sind. »Israel hat den Zugang für Medien noch nie derart eingeschränkt und sollte sich schämen«, sagt der Bürochef der New York Times in Jerusalem, Ethan Bronner. »Es spricht allen Grundsätzen Hohn, nach denen es selbst leben will.« Die Regierung in Jerusalem nennt vor allem »Sicherheitsgründe«, weshalb es keinen der 350 angereisten Kriegsreporter und 900 in Israel akkreditierten Journalisten in den Gazastreifen läßt. Viele meinen allerdings, Israel wolle die Berichterstattung zu seinen Gunsten kontrollieren. Eine Klage der Vereinigung der Auslandskorrespondenten vor dem Obersten Gericht in Israel endete mit dem Vergleich, daß acht Reporter am vergangenen Freitag in den Gazastreifen gelassen werden sollten, die übrigen Medien sollten deren Berichte übernehmen dürfen. Doch dann wurde die Grenzöffnung auf Montag verschoben und schließlich ganz aufgegeben. Zahlreiche Reporter verbringen daher viel Zeit damit, auf Israel gefeuerte Raketen und den durch sie entstandenen Schaden zu filmen, stellt ein AP-Korrespondent fest. Auch deutsche Korrespondenten berichten darüber und müssen es hinnehmen, daß ihr Bericht von den Moderatoren in der abendlichen Nachrichtensendung dazu benutzt wird, um Verständnis für die mörderischen Angriffe der israelischen Armee auf die Bevölkerung von Gaza zu werben.

Es geht Israel allerdings nicht nur um Informationsblockade, denn es gibt ausländische Journalisten vor Ort. Die Korrespondenten des Fernsehsenders Al Dschasira, von Al Arabia und Press TV sowie palästinensische Kollegen verschiedener Nachrichtenagenturen berichten unter Lebensgefahr über das Geschehen in Gaza. Ihre Bilder erreichen dank Satellitenübertragung Millionen Fernsehzuschauer in aller Welt, doch deutsche Medien zeigen sie kaum. Auch Hintergrundinformationen wie zum Beispiel, daß Israel als Besatzungsmacht nach der Genfer Konvention für das Wohlergehen der Bevölkerung unter Besatzung verantwortlich ist und die 18-monatige Schließung der Grenzübergänge zum Gazastreifen dagegen verstoßen hat, gibt es kaum. Selbst UN-Vertreter machen Israel für den Bruch des Waffenstillstandes verantwortlich, nicht die Hamas, die fast ausnahmslos als »radikalislamische Terrororganisation« bezeichnet wird, mit der man nicht verhandelt, was geradezu Originalton israelische Regierung ist. Funk und Fernsehen berichten nicht, daß die palästinensischen Opferzahlen in Gaza mehr als hundertmal höher sind, als die auf israelischer Seite. Man erfährt nicht, daß Israel täglich aus den USA mit 6,8 Millionen US-Dollar unterstützt wird, während die palästinensische Administration 0,3 Millionen Dollar erhält. 65 UN-Resolutionen gibt es gegen das Vorgehen Israels und keine gegen das Vorgehen der Palästinenser. Ein Israeli ist in palästinensischer Gefangenschaft, während 10756 Palästinenser in israelischer Gefangenschaft sind. Die Palästinenser haben außerhalb von Kriegshandlungen kein israelisches Haus zerstört, während Israel seit 1967 18 167 Häuser von Palästinensern vernichtete. Zudem hat Israel 223 illegale Siedlungen in Palästina, während die Palästinenser Flüchtlinge in ihrem eigenen Land sind.

Der Ausschluß westlicher Medien aus dem aktuellen Krieg führe zur Desinformation, wie Ausführungen des Direktors des israelischen Presseamtes nahelegen. Die Hamas fälsche die Bilder und Berichte aus dem Gazastreifen, um Israel in ein schlechtes Licht zu rücken, erklärte Daniel Seaman und bezeichnet die Berichte aus Gaza als »fragwürdig«. In Wirklichkeit berichten deutsche Medien so artig »ausgewogen« über den Krieg, daß palästinensische oder kriegskritische Stimmen wie kürzlich die von Jamal Nazzal, Vertreter der palästinensischen Fatah, nur selten zu hören sind. In einem Deutschlandfunkinterview kritisierte Nazzal, er habe die Berichterstattung westlicher Medien über den Krieg in Gaza beobachtet und festgestellt, sie »könnte ein Teil eines israelischen Informationsministeriums sein. Das Motto westlicher Berichterstattung besteht darin, daß die Hamas eine Terrororganisation sei.«


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Quelle:
junge Welt vom 08.01.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009