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NAHOST/463: Israelische Armee bombardiert Familien auf der Flucht in Gaza-Stadt (Al Mezan)


Al Mezan Center for Human Rights / Al Mezan-Zentrum für Menschenrechte

Pressemitteilung vom 15. Januar 2009

Die IOF schießt auf Zivilisten in ihren Wohnungen, bombardiert Familien auf der Flucht in den Straßen von Gaza-Stadt - Die Einschränkungen für Rettungsteams bleiben bestehen


13 Uhr Gaza-Zeit (12 Uhr MEZ)

Die israelische Besatzungsarmee (IOF) hat mit ihrem Vordringen nach Tel Al-Hawa in Süd-Gaza-Stadt ihre Angriffe im Gazastreifen seit gestern um Mitternacht um ein vielfaches intensiviert. Al-Shija'yia und At-Tuffa im Osten der Stadt wurden durch heftige Bombeneinschläge erschüttert. Nach Beobachtung des Al Mezan-Zentrums sind rund 70% der Opfer bei Angriffen der IOF auf Familien in ihren Wohnungen gestorben oder als sie die Häuser verließen, um aus diesen Gebieten zu flüchten. Auch die meisten anderen Opfer waren Zivilisten. Nach den Untersuchungen, die Al Mezan vor Ort vorgenommen hat, zählten sie unter 48 Opfern dieser Angriffe drei Kämpfer. Ganze Familien wurden durch das Artilleriefeuer der IOF getötet.

Zwischen gestern 13 Uhr, also Mittwoch dem 14. Januar 2009, und 13 Uhr heute, Donnerstag den 15. Januar 2009, tötete die IOF 102 Menschen im Gazastreifen. 29 davon waren Kinder und 11 Frauen. Die Erhebungen von Al Mezan lassen zudem darauf schließen, daß die IOF seit dem Beginn ihrer Operation "Gegossenes Blei" am 27. Dezember 2009 1.081 Palästinenser im Gazastreifen getötet hat. Diese Zahl umfaßt mindestens 235 Kinder und 81 Frauen. Es ist anzunehmen, daß die wirkliche Zahl der Toten noch höher liegt, da Al Mezan nur jene Fälle dokumentiert, die es zu verifizieren in der Lage ist.

Wie das Al Mezan-Zentrum in früheren Updates berichtete, konnten das Internationale Rote Kreuz sowie Rettungsteams gestern eines der Häuser erreichen, das zu einem Zeitpunkt zerstört wurde, als sich noch Zivilisten darin aufhielten. Die Leichen von 22 Mitgliedern der As-Sammouni-Familie wurden aus dem Schutt ihres Hauses geborgen, darunter neun Kinder und sieben Frauen. Weitere fünf Mitglieder derselben Familie waren zur gleichen Zeit getötet worden; das Rote Kreuz hatte sie jedoch schon in der vergangenen Woche bergen können. Zwei von den fünf waren Kinder, eine Frau war dabei. Diese Familie hat durch einen einzigen israelischen Angriff auf das Haus, in dem sie auf Anweisung der IOF Schutz gesucht hatte, 27 Mitglieder verloren (zwölf Kinder und acht Frauen).

Gestern um etwa 15.55 Uhr gelang es medizinischen Rettungsteams die Leichen von vier Menschen in Al-Atatra in Südwest-Beit Lahia zu erreichen und zu bergen, drei davon waren Kinder. Ein Al Mezan-Mitarbeiter berichtete nach Erkundung vor Ort, daß ihre Leichen unter Schutt begraben lagen, den israelische Bulldozer beiseitegeschoben hatten. Die Leichen waren bereits zum großen Teil verwest.

Heute um 8.10 Uhr begannen die Artillerieangriffe auf den Norden der Stadt Beit Lahia. Bomben trafen das Haus der Irmilat-Familie und töteten fünf Zivilisten: eine alte Frau und vier Kinder. Sie wurden identifiziert als:

- Ayisha Ayyad Irmilat, 80;
- Sabrin Atta Hassan Irmilat, 15; (und ihre Schwestern)
- Bara' Atta Hassan Irmilat, 2;
- Areej Atta Hassan Irmilat, 9 months; und
- Amal Atta Hassan Irmilat, 14

Um etwa 1 Uhr heute nacht, Donnerstag den 15. Januar 2009, fuhren rund 40 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge der IOF aus Richtung der früheren Siedlung Nitzarim in die südlichen Vororte von Gaza-Stadt ein. Sie drangen bis in die Viertel Az-Zeitoun, As-Sabra und Tel Al-Hawa vor, das bislang tiefste Eindringen nach Gaza-Stadt seit Beginn der Bodeninvasion. Die IOF schoß anhaltend mit Kanonen und Maschinengewehren. Sie setzte zudem Lenkraketen und Geschosse ein, die man für weiße Phosphorbomben hielt. Dadurch wurden 19 Menschen, die meisten davon Zivilisten, im Viertel Tel Al-Hawa getötet.

Heute morgen um 9 Uhr feuerten israelische Kampflugzeuge eine Rakete auf das Haus von Ezadin Wahid Mousa im As-Sabra-Viertel und töteten den 48jährigen Mousa zusammen mit seiner Frau und seinen vier Söhnen und Töchtern, eine davon war 14 Jahre alt.

Ebenfalls heute, um etwa 3.30 früh, feuerten israelische Kampfflieger eine Rakete in eine Gruppe von Zivilisten in Al-Sha'af im Nordwesten von Gaza-Stadt. Als die Rettungswagen eintrafen, um die Opfer des Angriffs zu bergen, griffen die Flieger an gleicher Stelle erneut an. Infolgedessen wurden sieben Menschen, darunter ein Kind, getötet.

Heute morgen um 5.15 Uhr überfielen israelische Flugzeuge das Haus von Fareed Sha'ban im As-Sabra-Viertel in Gaza-Stadt und töteten aus dieser Familie zwei Brüder.

Heute, 1 Uhr nachts, feuerten israelische Flugzeuge eine Rakete in eine Gruppe von Zivilisten, die versuchten, aus ihren Häusern im As-Sabra-Viertel in der Nähe des aktuellen Operationsgebietes zu fliehen, und töteten fünf von ihnen. Vier stammten aus derselben Familie mit Namen Al-Aloul.

Um 10 Uhr schlug Artilleriefeuer in das Haus von Adel Al-Jadba ein, das sich in At-Tuffah im Nordosten von Gaza-Stadt befindet, und tötete fünf Menschen, darunter zwei Kinder.

Die IOF nahmen erneut Journalisten unter Beschuß. Heute um 11.15 Uhr bombardierte sie die Medienbüros im Ash-Shorouq-Turm, in dem mehrere lokale und internationale Medienunternehmen ihren Sitz haben. Zwei Journalisten, Mohammed Al-Swirki und Ayman Al-Razzi, wurden dabei verwundet.

Es ist als schwerwiegende Eskalation einzustufen, daß die IOF drei Bomben, die man für Phosphorbomben hält, auf das UNWRA-Lager in Gaza-Stadt abgeschossen hat. Ein riesiges Feuer brach in dem Lager mit Treibstoff- und Lebensmittelvorräten aus. Das Lagerhaus liegt auf dem Gebiet der UNWRA-Zentrale in Gaza-Stadt. Davor, heute um 10.15 Uhr, hatte die IOF bereits mit Kanonen auf das Hauptquartier geschossen und schwere Schäden am großen Sitzungssaal und auf dem Parkplatz verursacht. Gestern abend um 22.45 Uhr feuerte die IOF auf den 50jährigen Nidal Al-Whidi, einen UNRWA-Mitarbeiter, als er in einen UNRWA-Jeep einstieg.

Im Bezirk Rafah, im Süden des Gazastreifens, überfielen israelische Kampfflugzeuge heute um etwa 12.32 Uhr die Al-Abrar-Moschee, die sich auf dem zentralen Marktplatz der Stadt befindet. Die Moschee wurde vollständig zerstört. Zugleich wurden 20 Läden des Marktes dem Erdboden gleich gemacht. Dutzende Häuser und zehn weitere Läden wurden beschädigt.

Ebenfalls in Rafah fielen israelische Truppen in die östlichen Bereiche der Stadt, in der Nähe des Ortes An-Nasser, ein. Panzer feuerten Artilleriegeschosse ab und töteten bei diesem Angriff fünf Menschen.

Das Al Mezan-Zentrum verurteilt, gestützt auf seine Erhebungen, die absichtlichen Angriffe auf Zivilisten in ihren Wohnungen und auf der Flucht vor den IOF-Bombardierungen aufs schärfste. Das Zentrum erklärt, daß das Vorgehen der IOF skandalöse Kriegsverbrechen darstellt, die untersucht und bestraft werden müssen. Es ist dringend erforderlich, daß die internationale Gemeinschaft sofort interveniert, um die Verübung weiterer Verbrechen zu verhindern, insbesondere deshalb, weil die IOF-Invasion und die unterschiedslosen Angriffe in diesem Moment weitergehen.

Das Al Mezan-Zentrum verurteilt aus diesem Grunde erneut aufs schärfste die IOF-Aggression im Gazastreifen und die eklatante Mißachtung der anzuwendenden Regelungen internationalen Rechts. Dieses Vorgehen hat bis jetzt den Tod Hunderter von Zivilisten und das Leiden Hundertausender verursacht.

Al Mezan gibt erneut seiner Empörung Ausdruck über das - teilweise mitverschuldete - Scheitern der internationalen Gemeinschaft, solche Verstöße gegen internationales Recht zu verhindern. Während Zivilisten ermordet werden, versagt der UNO-Sicherheitsrat weiter, statt sinnvoll und effektiv zur Tat zu schreiten, und opfert auf diese Weise unveräußerliche Menschenrechte und zwingende Regeln des Völkerrechts politischen Erwägungen. Es darf nicht erlaubt werden, einen Krieg so zu führen wie in Gaza, in dem Zivilisten absichtlich zum Ziel gemacht, getötet und verstümmelt werden und bis zum nahen Tode bedrängt.

Aus diesem Grund ruft das Al Mezan-Zentrum den UN-Generalsekretär mit äußerster Dringlichkeit dazu auf, sich auf den Schutz von Zivilisten zu konzentrieren, die die Hauptopfer der Verstöße Israels gegen internationales Recht sind. Politische Debatten können warten, das Leben von Zivilisten hingegen kann nicht ersetzt werden. Die Vereinten Nationen sind aufgerufen, die Einhaltung internationalen Rechts und den Schutz der Zivilbevölkerung, einschließlich der eigenen Mitarbeiter, zu sichern. Jede weitere Stunde der Aggression gegen Gaza, wie wir sie in den letzten Tagen erlebt haben, bedeutet den Verlust von noch mehr zivilen Menschenleben, Zerstörung von Eigentum und Verlängerung des Leidens Hunderttausender Menschen, die beschützt und nicht vernachlässigt werden sollten.

Das Al Mezan-Zentrum ruft zudem die Hohen Vertragsparteien der Vierten Genfer Konvention von 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten dazu auf, ihrer gesetzlichen und moralischen Verantwortung gerecht zu werden und ihren eigenen Verpflichtungen unter Artikel 1 nachzukommen, indem sie selbst das Abkommen einhalten und seine Einhaltung durchsetzen.

Das Zentrum rät zu weltweiten Aktionen gegen diese Verletzung internationalen Rechts und ruft Zivilgesellschaften in aller Welt dazu auf, mehr Druck auf ihre Regierungen auszuüben, in Übereinstimmung mit den geltenden Menschenrechten und humanitären Verpflichtungen zu handeln, die das internationale Recht vorschreibt.


Anmerkungen der Redaktion Schattenblick:

Das Al Mezan-Zentrum für Menschenrechte ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz im palästinensischen Flüchtlingslager Jabalia im Gaza-Streifen.


Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Englischer Originaltext:
http://www.mezan.org/site_en/press_room/press_detail.php?id=954


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Quelle:
Pressemitteilung 16/2009 vom 15.01.2009
Al Mezan Center for Human Rights /
Al Mezan-Zentrum für Menschenrechte
Palästina - Gazastreifen
Büro Jabalia: Telefon: ++972-(0)8-2453555, Fax: ++972-(0)8-2453554
Büro Gaza: Telefax: ++972-(0)8-2820447
Büro Rafah: Telefax: ++972-(0)8-2137120
Internet: http://www.mezan.org/site_en/index.php


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2009