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NAHOST/478: Religiöse Gruppen vereinnahmen die israelische Armee (Jonathan Cook)


Religiöse Gruppen vereinnahmen die israelische Armee

Von Jonathan Cook, Auslandskorrespondent - 4. Februar 2009


NAZARETH // Kritischen Stimmen zufolge übernehmen extremistische Rabbiner und ihre Anhänger im geheimen die israelische Armee. Sie sind entschlossen, einen Heiligen Krieg gegen die Palästinenser zu führen.

Im Zusammenhang mit einer Entwicklung, die ein Militärhistoriker als rapide "Theologisierung" der israelischen Armee bezeichnet hat, existieren bereits ganze religiöse Kampfverbände, von denen viele in den Siedlungen der Westbank stationiert sind. Sie folgen dem Aufruf von Hardline-Rabbinern, die die Errichtung eines Groß-Israel propagieren, das auch die besetzten palästinensischen Gebiete einschließt.

Beobachtern zufolge ist ihr Einfluß auf die Gestaltung der Ziele und Methoden der Armee bereits zu bemerken, da sich immer mehr Absolventen von Offizierslehrgängen auch aus den extremistischen Bevölkerungsgruppen Israels rekrutieren.

"Wir haben den Punkt erreicht, an dem eine kritische Masse religiöser Soldaten versucht, mit der Armee darüber zu verhandeln, auf welche Weise und zu welchem Zweck militärische Gewalt auf dem Schlachtfeld eingesetzt wird", erklärte Jigal Levy, ein Politiksoziologe an der Offenen Universität, der eine Reihe von Büchern über die israelische Armee verfaßt hat.

Die neue Atmosphäre zeigte sich deutlich an der "übermäßigen Gewalt", die während der jüngsten Gaza-Offensive zum Einsatz kam", meinte Dr. Levy. Über 1.300 Palästinenser wurden getötet, in der Mehrheit Zivilisten, und Tausende wurden verwundet, als in Gaza ganze Nachbarschaften dem Erdboden gleichgemacht wurden.

"Wenn Soldaten, eingeschlossen die weltlich orientierten, von religiösen Ideen erfüllt sind, macht sie das weniger empfindsam für die Menschenrechte oder das Leiden der anderen Seite."

Die größere Rolle extremistischer Gruppen in der Armee kam in der letzten Woche ans Licht, als sich herausstellte, daß das Armeerabbinat eine Broschüre an die Soldaten zur Vorbereitung auf die jüngste 22-Tage-Offensive in Gaza verteilt hatte.[1]

Jesch Din [2], eine israelische Menschenrechtsgruppe, berichtete, daß das Material Botschaften enthält, die "an eine Anstiftung zum Rassenhaß gegen das palästinensische Volk grenzen" und Soldaten möglicherweise dazu veranlaßt haben, internationales Recht zu mißachten.

Die Broschüre zitiert ausgiebig Schlomo Aviner, einen Rabbiner der äußersten Rechten, der ein religiöses Seminar im muslimischen Viertel von Ost-Jerusalem leitet. Er vergleicht die Palästinenser mit den Philistern, dem biblischen Feind der Juden.

Er gibt den Rat: "Wenn du einem grausamen Feind gegenüber Erbarmen zeigst, dann bist du grausam zu unschuldigen und ehrlichen Soldaten ... Dies ist ein Krieg gegen Mörder." Er zitiert darüber hinaus das biblische Verbot, auch nur "einen einzigen Millimeter" eines Groß-Israel "preiszugeben".

Die Broschüre wurde von dem obersten Armeerabbiner, Brigadegeneral Avichai Ronski befürwortet, der dem Vernehmen nach entschlossen ist, die "Kampfkraft" der Armee zu verbessern, seit diese 2006 daran scheiterte, die Hisbollah im Libanon vernichtend zu schlagen.

Israelischen Medien zufolge wurde General Ronski vor drei Jahren mit dem Ansinnen eingesetzt, religiöse Hardliner in der Armee und der Siedlergemeinschaft versöhnlich zu stimmen.

General Ronski, selbst Siedler der Gemeinschaft Itimar in der Nähe von Nablus, steht Gruppierungen der äußersten Rechten nahe. Berichten zufolge besucht er regelmäßig Mitglieder jüdischer Terrorgruppen im Gefängnis. Er hat sein Domizil einem Siedler zur Verfügung gestellt, der unter Hausarrest steht, weil er Palästinenser verletzt hat, und er hat höhere Offiziere in eine kleine Gruppe von extremistischen Siedlern eingeführt, die unter mehr als 150.000 Palästinensern in Hebron lebt.

Darüber hinaus hat er das Rabbinat gründlich umgestaltet, das ursprünglich zu dem Zweck gegründet worden war, religiöse Dienste anzubieten und sicherzustellen, daß gläubige Soldaten die Möglichkeit erhalten, den Sabbath einzuhalten und in der Armeekantine koschere Mahlzeiten einzunehmen.

Während des letzten Jahres ist es dem Rabbinat gelungen, über seine Abteilung für Jüdisches Bewußtsein [3] die Rolle des Ausbildungskorps der Armee zu übernehmen. Diese Abteilung koordiniert ihre Aktivitäten mit Elad, einer Siedler-Organisation, die in Ost-Jerusalem aktiv ist.

Im Oktober zitierte die Zeitung Ha'aretz [4] einen nicht weiter genannten leitenden Offizier, der das Rabbinat beschuldigte, eine religiöse und politische Gehirnwäsche der Truppen zu betreiben.

Dr. Levy merkte an, daß die Macht des Armeerabbinats mit der wachsenden Zahl gläubiger Soldaten im Heer zunehme.

Laut dem Projekt "Das Schweigen brechen" [5], das von Soldaten ins Leben gerufen wurde, die das Verhalten der Armee gegenüber Palästinensern an die Öffentlichkeit bringen wollen, stammt die Broschüre, die an die Truppen in Gaza verteilt wurde, ursprünglich von Siedlern in Hebron.

"Das Dokument gibt es mindestens schon seit 2003", meinte Mikhael Manekin, 29, der selbst die religiösen Regeln befolgt und einer der Direktoren der Gruppe ist. "Aber das Neue daran ist, daß die Armee erfolgreich dafür herangezogen wird, den Soldaten die Ansichten der extremistischen Siedler nahezubringen."

Die Macht der religiösen Rechten in der Armee spiegelt einen umfassenderen Trend in Israel wider, meinte Dr. Levy. Er wies darauf hin, daß die ländlichen Kooperativen, bekannt als Kibbuzim, die einst die säkulare Mittelklasse Israels beheimatet und den Großteil des Offizierskorps hervorgebracht haben, seit den frühen 1980er Jahren am Schwinden sind.

"Das durch ihren allmählichen Rückzug aus der Armee entstandene Vakuum wurde von gläubigen Jugendlichen und den Kindern der Siedlerbewegung gefüllt. Sie dominieren jetzt in vielen Bereichen der Armee."

Laut Zahlen, die in den israelischen Medien zitiert wurden, ist über ein Drittel der Soldaten in den Kampfeinheiten gläubig. Das gleiche gilt für über 40 Prozent der Absolventen von Offizierslehrgängen.

Die Armee hat diesen Trend unterstützt, indem sie ungefähr zwei Dutzend Hesder Jeschiwot [6] gegründet hat, Seminare, in denen junge Menschen in separaten religiösen Einheiten biblische Studien mit dem Armeedienst kombinieren können. Viele dieser Jeschiwot befinden sich in der Westbank, und die Studenten werden von extremistischen Rabbinern aus den Siedlungen unterrichtet.

Ehud Barak, der Verteidigungsminister, hat das Programm zügig ausgeweitet und im letzten Sommer vier Jeschiwot genehmigt, drei davon befinden sich in Siedlungen. Weitere zehn warten dem Vernehmen nach auf seine Genehmigung.

Herr Manekin warnt jedoch davor, die gegen die Zivilisten in Gaza gerichtete Gewalt allein auf den Einfluß religiöser Extremisten zurückzuführen.

"Die Armee wird nach wie vor von Israels säkularer Elite geführt, und diese hat schon immer ohne Rücksicht auf die Sicherheit von Zivilisten gehandelt, wenn sie Krieg führt. Jüdischer Nationalismus, der den Tod von Palästinensern rechtfertigt, ist genauso gefährlich wie religiöser Extremismus."


Anmerkungen der Redaktion Schattenblick:

[1] Titel: "Go Fight My Fight: A Daily Study Table for the Soldier and Commander in a Time of War"
[2] Yesh Din - www.yesh-din.org/site/index.php
[3] Jewish Awareness Department
[4] http://www.haaretz.com/hasen/spages/1030558.html
    Israel military rabbi under fire for 'brainwashing' soldiers -23/10/2008, Zugriff: 12.02.2009
[5] Breaking the Silence - www.breakingthesilence.org.il
[6] Jeschiwot = Mehrzahl von Jeschiwa (Talmud(hoch)schule)


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Über den Autor:
Jonathan Cook ist der einzige westliche Journalist, der in Nazareth lebt, der Hauptstadt der palästinensischen Minderheit in Israel. Er war zuvor Mitarbeiter bei den Zeitungen The Guardian und Observer und hat über den israelisch-palästinensischen Konflikt auch für die Times, Le Monde diplomatique, die International Herald Tribune, Al-Ahram Weekly, Counterpunch und Aljazeera.net geschrieben. Er ist Autor von Blood and Religion (2006) und von Israel and the Clash of Civilisations (2008).

Sein neuestes Buch "Disappearing Palestine: Israel's Experiments in Human Despair" ist im Oktober 2008 bei Zed Books in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten erschienen. Weitere Informationen zum Buch unter:
http://www.jkcook.net/DisappearingPalestine.htm

Weitere Texte von Jonathan Cook findet man auf seiner Website unter:
http://www.jkcook.net/


Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Englischer Originaltext:
http://www.jkcook.net/Articles2/0370.htm#Top
Die Originalfassung dieses Artikels wurde in der Zeitung "The National", Abu Dhabi, veröffentlicht. http://thenational.ae


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Quelle:
© Jonathan Cook, 4. Februar 2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Internet: www.jkcook.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2009