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NAHOST/506: Die rechtliche Kontroverse über die Organtransplantation in Ägypten (inamo)


inamo Heft 57 - Berichte & Analysen - Frühling 2009
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Die rechtliche Kontroverse über die Organtransplantation in Ägypten

Von Nils Fischer


Seit einigen Jahren zählt Ägypten zu den Staaten, in denen mit menschlichen Organen gehandelt wird. Zwar trifft das auch auf andere Staaten der Region zu, beispielsweise auf Pakistan und Jordanien, doch im Gegensatz zu diesen macht Ägypten sowohl in religiösen und als auch in politischen Fragen einen Führungsanspruch im Nahen Osten geltend. Die ägyptische Regierung hat über zehn Jahre lang in mehreren Anläufen versucht, ein Transplantationsgesetz zu verabschieden, bisher jedoch ohne Erfolg. Seit Anfang dieses Jahres stehen die Chancen gut, dass das Gesetz noch 2009 im Parlament zur Abstimmung kommt.


Die Geschichte der Transplantation in Ägypten nahm mit Korneatransplantationen in den 1960er Jahren ihren Anfang. Die erste Nierentransplantation wurde 1976 durchgeführt,(1) die erste Knochenmarktransplantation 1989 und die erste Lebertransplantation 1992.(2) Während in den ersten Jahren die Organspenden unter Verwandten überwogen, erreichte die Zahl der Organspenden von nicht verwandten Personen in den 1990er Jahren ungefähr 80 %.(3) Ende der 1980er Jahre liberalisierte die ägyptische Regierung das Gesundheitssystem, sodass private Krankenhäuser und andere private Gesundheitseinrichtungen gegründet werden konnten, die jedoch nicht der direkten Kontrolle des Gesundheitsministeriums unterstehen. Sie werden von der Abteilung für private Einrichtungen des Gesundheitsministeriums beaufsichtigt. Die ägyptische Ärztekammer (Egyptian Medical Syndicate, EMS), sah sich angesichts dieser Situation veranlasst, interne Richtlinien für die ärztliche Berufsausübung zu verabschieden.(4) Sie sehen vor, dass alle Organtransplantationen von der Ärztekammer genehmigt werden müssen und Zuwiderhandlung mit einer Disziplinarstrafe zu belegen ist, die temporäres Berufsverbot oder den vollständigen Entzug der Lizenz bedeuten kann.(5)


Islamische Stellungnahmen
Die Haltung islamischer Rechtsgelehrter zur Organtransplantation ist relativ einheitlich. Die Mehrheit wertet die Organtransplantation als schariatrechtlich erlaubt und akzeptiert den Hirntod als sicheres Kriterium zur Feststellung des Todes. Organhandel, finanzielle Anreize zur Organspende und eine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung des Organspenders bei der Lebendorganspende gelten als schariatrechtlich verboten. Die Rechtsgelehrten betonen, dass Organspende nur auf freiwilliger Basis erfolgen dürfe, und dass ein Hirntod von mehreren Ärzten übereinstimmend diagnostiziert sein müsse. Eine Minderheit betrachtet die Organspende generell als verboten, und eine weitere Minderheit wertet eine monetäre Belohnung des Organspenders als zulässig. Neben diesen grundsätzlichen Aspekten wird zudem die Frage behandelt, ob Muslime Organe von Nicht-Muslimen annehmen, beziehungsweise ob Muslime Organe an Nicht-Muslime spenden dürfen. Auch wird über die Frage beraten, ob die Organe von nach islamischem Recht zum Tode Verurteilten oder von im Krieg gefallenen Gegnern transplantiert werden dürfen.(6)

Seit den 1960er Jahren bekräftigen die Großmuftis und die Großscheichs der Azhar-Universität, dass Organtransplantation schariatrechtlich zulässig sei. So wurde beispielsweise auf dem 7. Medizinkongress dieser Universität im Jahr 1995 die Empfehlung, die Organtransplantation zu erlauben, widerspruchslos verabschiedet.(7) Jedoch löste 1989 der ehemalige ägyptische Religionsminister und populäre Fernsehscheich Muhammad Mutawalli ash-Sharawi (1917-1998) eine Kontroverse über Transplantationsmedizin aus. In einer seiner freitäglichen Fernsehsendungen bewertete er Organtransplantation als verboten. Er verwies darauf, dass Gott der eigentliche Besitzer des menschlichen Körpers sei, weshalb der Mensch selbst nicht beliebig darüber verfügen dürfe.(8) Ash-Sharawi wies das Argument zurück, dass die Organtransplantation Leben rette, da dieses nur von Gott verliehen werde.(9) Er betonte hingegen, dass Organtransplantation keine Heilung bedeute, da der Patient krank und auf Medikamente angewiesen bleibe.(10)

Muhammad Sayyid Tantawi, der damalige Großmufti von Ägypten, widersprach ash-Sharawi und bewertete sowohl die Organspende post mortem als auch die Lebendorganspende als schariatrechtlich erlaubt. Ihm schlossen sich der Großscheich der Azhar-Universität und der koptisch-orthodoxe Papst Shenuda III an. Der derzeitige Großmufti von Ägypten, Ali Djuma, sah sich später zu der Feststellung genötigt, dass die Äußerung ash-Sharawis weder eine Fatwa noch eine Empfehlung sei, sondern nur dessen persönliche Auffassung wiedergebe.(11) Er gibt ihm aber dahingehend Recht, dass die Frage der Organtransplantation und des Hirntodes keine rein medizinischen Fragen seien, sondern vielmehr in den Bereich des islamischen Rechts fallen.(12)


Transplantationsskandale
Trotz der Debatte über die Äußerungen Sharawis wurde die Organtransplantation erst durch einen Skandal in Frage gestellt, der 1996 bekannt wurde. Eine Familie entdeckte, dass bei einem toten Familienmitglied im Krankenhaus eine unabgesprochene Korneaentnahme durchgeführt worden war. Die Familie erstattete Anzeige, woraufhin die Regierung vorübergehend die beiden ägyptischen Korneabanken schloss.(13) Seither wird häufig über Unregelmäßigkeiten bei Organtransplantationen und über Organhandel in den Medien berichtet. 1999 sorgte der Tod von 25 Waisenkindern, deren Organe verkauft worden waren, für öffentliche Empörung.(14) Und auch Fälle illegal entnommener Korneae kommen weiterhin vor.(15) Allerdings steht Ägypten seit einigen Jahren wegen des Organhandels mit Nieren auch international unter Kritik.(16) Und es wird von einem Schwarzmarkt berichtet, über den sich Ausländer in Ägypten Organe vermitteln lassen.(17)


Gesetzesinitiativen
Bereits nach dem ersten Skandal wurde die Forderung laut, die Organtransplantation gesetzlich umfassend zu regeln. Von einer völlig unklaren rechtlichen Situation konnte und kann allerdings nicht die Rede sein. Eine gesetzliche Grundlage besteht schon seit dem Korneatransplantationsgesetz von 1967, das durch Ministerialerlasse ausdifferenziert wurde, in Erlassen zur medizinischen Berufsethik und vor allem in den Bestimmungen des ägyptischen Strafgesetzbuchs in Bezug auf Körperverletzung. Aber auch das standesrechtliche Regelwerk der ägyptischen Ärztekammer bietet grundsätzliche Orientierung und würde bei gewissenhafter Befolgung nicht nur grobe Verstöße verhindern. Die Kammer fordert von den Ärzten neben der Einhaltung allgemeiner ethischer Standards auch die Registrierung aller Transplantationen und kann ärztliches Fehlverhalten ahnden. Ein internes Disziplinarverfahren kann den Verlust der Zulassung zur Folge haben und die Überstellung des Falls an die Strafverfolgungsbehörden bedeuten. Dennoch wurden von verschiedenen Seiten bereits 1996 Gesetzesvorschläge ins ägyptische Parlament eingebracht, unter anderem auch von der Ärztekammer.

Obgleich sowohl der Großmufti von Ägypten als auch der Großscheich der Azhar-Universität die Lebendorganspende und die Organspende post mortem als schariatrechtlich erlaubt werteten und sich alle Beteiligten über die Notwendigkeit des Gesetzes einig waren, kam der Gesetzgebungsprozess schon zu Beginn ins Stocken. Die offiziellen islamischen Rechtsgelehrten hatten zwar keine Bedenken gegen das Hirntodkriterium geäußert und den Würdeschutz des Leichnams niedriger angesetzt als das Recht auf Leben und die Pflicht Leben zu retten, aber dennoch entbrannte die Auseinandersetzung im Parlament an diesen beiden Fragen.


Betrug an den Ärmsten
Neben der Ablehnung des Hirntodkriteriums wird auch die Befürchtung geäußert, dass die gesetzliche Regelung der Organspende post mortem den Organhandel erst richtig beflügeln würde, weil dann bei Leichen unkontrolliert Organe entnommen werden könnten, ob gegen Bezahlung oder nicht. Mahir Mahran, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Schura-Rates und ehemaliger Bevölkerungsminister, weist außerdem auf das Problem der informierten Einwilligung bei Analphabeten hin, Er hält eine Widerspruchslösung, wie sie im Gesetzesentwurf vorgesehen ist, für Betrug an den Ärmsten, da sie aus Unwissenheit zu potentiellen Organspendern werden könnten. Aus Mahrans Sicht ist das Gesetz auch unzureichend, was die Bekämpfung der Korruption anbetrifft, weil der Gesundheitsminister über die Zulassung von Kliniken zur Organtransplantation entscheide. Mahir Mahran fordert deshalb beispielsweise ein Zentrum für Korneatransplantationen, in dem der Eingriff gratis vorgenommen würde.(18) Dass das Gesetzgebungsprojekt sechs Jahre lang ruhte, wird unter anderem dem Widerstand von Mahir Mahran zugeschrieben.


Die Initiative von 2007
Anfang 2007 startete der ägyptische Gesundheitsminister Hatim al-Djabali mit einem neuen Entwurf für ein Transplantationsgesetz. Vor dem Gesundheitsausschuss des ägyptischen Parlaments sprach er davon, dass es Krankenhäuser in Kairo gebe, in denen illegal Organtransplantationen vorgenommen würden. Er verweist auf die Fatwa von Yusuf al-Qaradawi, der sich für Organtransplantation unter der Voraussetzung aussprach, dass Spender und Empfänger einander nicht begegneten und keine "Handelsbeziehung" eingingen. Auch der derzeitige Großmufti von Ägypten, Ali Djuma, befürwortet die Organtransplantation, wobei er aber fordert, dass die Würde des Menschen und die Ehre Gottes nicht verletzt werden dürften. Deshalb sei der Kauf und Verkauf von Organen schariatrechtlich verboten. Der Mensch besitze seinen Körper nicht, um Organe zu verkaufen, sondern um sie bei Mangel und Bedarf zu spenden. Den Hirntod, den er den "englischen Tod" nennt, wertet er als schariatrechtlich gültigen Tod. Der Berater des Großscheichs der Azhar-Universität, Ali Abu l-Hasan, fordert weiterhin, dass vollständig sicher gestellt sein müsse, dass kein Zwang zur Organspende bestehe und das Einverständnis der Familie eingeholt werde.(19)

Im selben Jahr gab das ägyptische Informationszentrum des Ministerrates eine Umfrage in Auftrag. In ihr wurden allerdings nur 1300 Ägypter befragt. Von ihnen lehnten 32% die Lebendorganspende ab, 26% befürworteten sie und 27% erachteten sie unter bestimmten Bedingungen als zulässig. 75% der Befragten wussten von der Möglichkeit einer Lebendorganspende, während die Organspende post mortem nur 64% bekannt war. Unter den Frauen war der Anteil derer, die die Lebendorganspende befürworteten höher (29%) als unter den Männern (22%). Der am häufigsten genannte Ablehnungsgrund war, dass die Religion und das Religionsgesetz Organtransplantation verbieten.(20)

Ende 2007 einigte sich der Gesundheitsausschuss auf einen Gesetzesentwurf, der dem Gesundheitsministerium zur Ausarbeitung übergeben wurde. Der Ausschuss hatte sich nun für eine Zulassung der Lebendorganspende und gegen die Organspende post mortem ausgesprochen.(21) Es stellt sich die Frage, weshalb die Regierung sich nach zehnjähriger Debatte nicht auf diesen Kompromiss eingelassen hat, der zumindest die am häufigsten vorgenommenen Transplantationen gesetzlich geregelt hätte.

Gegen den Gesetzentwurf wurde schließlich eingewendet, dass damit der Organhandel begünstigt würde. Gemäß dieses Entwurfs sollten nicht nur an öffentlichen, sondern auch an privaten, vom Gesundheitsministerium zugelassenen Krankenhäusern Transplantationen vorgenommen werden dürfen, und das nicht nur bei Ägyptern.(22) 2008 entbrannte eine Kontroverse um die Frage, ob die Organspende zwischen Christen und Muslimen erlaubt sei, die der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Hamdi as-Sayyid mit der Bemerkung beendete, dass dies bei Bluttransfusionen auch nicht gefragt würde.(23) Im Parlament blieb der Hauptkritikpunkt die Bestimmung des Todeszeitpunkts.(24) Ende 2008 ermahnte der Ministerrat zur Beschleunigung des Verfahrens.


Widerstand der Muslimbrüder
Obwohl der Widerstand gegen das Transplantationsgesetz nicht an bestimmte Fraktionen gebunden zu sein scheint,(25) werden die Abgeordneten der Muslimbrüder in besonderer Weise mit ihm in Verbindung gebracht. Tantawis Fatwa wurde beispielsweise Gegenstand scharfer Kritik.(26) Sayyid Askar, ein Muslimbruder im Gesundheitsausschuss des ägyptischen Parlaments, wertet Tantawis Fatwa als persönliche Auslegung und nicht als allgemeingültig.(27) Der Widerstand der Muslimbrüder scheint sich weniger am Transplantationsgesetz festzumachen als vielmehr am Hirntodkriterium. In der strikten Position der Muslimbrüder findet die Ansicht ash-Sharawis Nachklang. Im Gegensatz zu ash-Sharawi möchte die Mehrheit unter ihnen die Lebendorganspende erlaubt sehen. Die Muslimbrüder bedienen sich bei ihrem Widerstand zwar religiöser Argumente, dennoch entsteht der Eindruck, dass sie eine Verzögerungstaktik betreiben, deren Ziel es ist, als Reaktion auf die Schwierigkeiten, mit denen sie von Seiten des Staates konfrontiert sind, die Regierung unter Druck zu setzen. Denn je weniger es der ägyptischen Regierung gelingt, den Misstand des Organhandels zu beheben, desto mehr gerät sie national und international unter Rechtfertigungszwang.(28)

Allerdings stimmten die Abgeordneten der Muslimbrüder Anfang des Jahres im Gesundheitsausschuss des Parlaments dann doch für den Gesetzesentwurf Mit diesem Schritt wollen sie Chaos verhindern; sie betonen, dass sie von Anfang an nicht gegen, sondern für ein Transplantationsgesetz gewesen seien. Für sie sei jedoch der Erhalt der Heiligkeit des Körpers und der Schutz der Armen grundlegend. Sie forderten eine Beschränkung der Organtransplantationen auf Ägypter und ein Verbot des Organhandels.(29) Der Gesetzentwurf liegt jetzt dem Parlament zur Debatte und Abstimmung vor und soll auch dem Shura-Rat zur Diskussion und Abstimmung übergeben werden.


Respekt vor dem Toten
Bei der heftig geführten Debatte um die Anerkennung des Hirntodkriteriums und der Erlaubnis zur Organentnahme post mortem wird in Ägypten der Gedanke eines pharaonischen Verständnisses von Tod in den Raum gestellt,(30) das Argument der Rückständigkeit bemüht(31) und auf das Leiden der Transplantationsbedürftigen verwiesen.(32) Allerdings muss zwischen den religiös-ethischen Argumenten und den sozial- und gesundheitspolitischen unterschieden werden. Es wird vielfach vorgebracht, dass die islamischen Gelehrten vom Hirntodkriterium zu überzeugen seien.(33) Die Weigerung, den Hirntod(34) als zuverlässiges Todeskriterium zu akzeptieren, ist jedoch nicht nur unter islamischen Gelehrten, sondern auch in der einfachen Bevölkerung weit verbreitet, und ebenfalls bei einem bedeutenden Anteil der Mediziner.(35) Sie kann nicht als Ignoranz abgetan werden, sondern sie ist vielmehr als Ausdruck einer intensiven ethischen Auseinandersetzung zu werten.

Dazu kommt in der ägyptischen Gesellschaft eine starke Ablehnung jeglichen Eingriffs an Leichen, die sich auch bei Ärzten im Widerstand gegen und in der Zurückhaltung bei Sektionen und Autopsien zeigt.(36) Der Respekt gegenüber dem Toten wird sehr hoch angesetzt, und ein Grund dafür ist in der islamischen Tradition zu sehen; zahlreiche Bestimmungen des islamischen Rechts regeln den Umgang mit den Toten, und es sind viele fromme Geschichten überliefert, die das Thema berühren.(37) Hinter dieser Haltung kann aber nicht nur eine traditionell-religiös motivierte Pietät gegenüber den Toten gesehen werden, sondern auch das Akzeptieren und Respektieren der Grenze von Leben und Tod, die der Rhetorik des Leides mit einem religiösen Krankheitsverständnis begegnet.(38) Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Lebendorganspende unter Verwandten bevorzugt wird.(39)


Kostendämpfung
Die Diskussion um Organtransplantation hat in Ägypten jedoch auch eine starke sozial- und gesundheitspolitische Seite, die vor allem mit dem Zustand des ägyptischen Gesundheitssystems und der Armut der Bevölkerungsmehrheit zusammenhängt. Denn der ägyptische Staat ist nicht in der Lage, eine grundliegende Gesundheitsversorgung zu garantieren. Deshalb steht die Frage im Raum, warum knappe öffentliche Ressourcen für kostenintensive medizinische Projekte ausgegeben werden sollen, die nicht der gesamten Bevölkerung nutzen, anstatt die Mittel für den Ausbau der medizinischen Grundversorgung zu verwenden. Das Argument, dass dem ägyptischen Staat und dem Kranken durch Organtransplantation erhebliche Kosten erspart blieben ist nicht nachzuvollziehen. Zwar würden beispielsweise durch Nierentransplantationen die Dialysekosten verringert, aber die Patienten müssten dafür dauerhaft teure immunsuppressive Medikamente erhalten; bei Abstoßung eines Organs müsste erneut transplantiert werden. Es stellt sich auch die Frage, wie sich das Verhältnis von Organspendern zu Organempfängern innerhalb der Bevölkerung darstellt. Diese wäre vor allem dann von Bedeutung, wenn das Transplantationsgesetz eine Widerspruchsregelung vorsähe. Denn angesichts der hohen Analphabetenzahl ist nicht anzunehmen, dass die Mehrheit von ihnen den Widerspruch gegen eine Organentnahme post mortem dokumentiert. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass, sollte die Organentnahme post morten gesetzlich erlaubt werden, sich illegale Transplantationen verhindern lassen, so lange Patienten bereit sind, Bestechungsgeld zu zahlen und medizinisches Personal bereit ist, es anzunehmen.(40) Deshalb könnte der Handel mit Organen eher gefördert als eingedämmt werden.


Glaubwürdigkeit
Schließlich besteht ein erhebliches Problem in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der Diskursbeteiligten und ihrer Motive, nicht nur der Ärzte. Auch in Bezug auf die Regierungsvertreter ließe sich vermuten, dass das Gesetz nur der Rechtfertigung vor internationalen Geldgebern diene, ohne Bereitschaft zur Durchsetzung. Und den Abgeordneten der Muslimbrüder könnte unterstellt werden, dass sie die Debatte lediglich zur Diskreditierung der Regierung und zur Schärfung des eigenen Profils nutzen. Auch die Äußerungen der islamischen Rechtsgelehrten verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn beispielsweise Gerüchte kursieren, dass ash-Sharawi, der sich zwar gegen Organtransplantation, Bluttransfusion und andere intensiv-medizinische Behandlungen ausgesprochen hatte, selbst Bluttransfusionen und eine Korneatransplantation in Anspruch genommen habe.(41) Und auch die Position von Muhammad Sayyid Tantawi zur Organtransplantation wird nicht dadurch einleuchtender, dass er sie zwar schariatrechtlich erlaubt und das Hirntodkriterium akzeptiert, aber in einem Interview davon spricht, dass er seine Organe nach seinem Tod spenden würde,(42) aber erst wenn er vollständig tot sei.(43)


Kann ein Gesetz Organhandel verhindern?
Von vielen Diskursbeteiligten wird in einem Transplantationsgesetz ein wirksames Mittel gegen Organhandel gesehen, womit Transplantationen in Ägypten sicherer würden. Deshalb wird die Notwendigkeit beschworen, das Gesetz zu verabschieden. Das Vertrauen in die Wirksamkeit gesetzlicher Regelungen scheint weit verbreitet zu sein.(44) Allerdings haben bereits die Erfahrungen mit dem Korneatransplantationsgesetz gezeigt, dass ein Gesetz Skandale nicht verhindern kann und keine Garantie dafür ist, dass sich Ärzte danach richten und die standesethischen Richtlinien befolgen. Das persönliche Engagement und die Ehrhaftigkeit der Bemühungen kann den Ärzten und den anderen Diskursbeteiligten nicht abgesprochen und muss gewürdigt werden. Einige von ihnen setzen sich seit Jahren für die gesetzliche Regelung der Organtransplantation ein.(45) Es fragt sich aber, ob, wenn das Gesetz verabschiedet ist, seine Anwendung durchgesetzt und kontrolliert wird, beziehungsweise werden kann. Trotz dieser Einwände und der angebrachten Skepsis ist die Verabschiedung des Transplantationsgesetzes und der damit verbundene Aufbau eines nationalen Transplantationsprogramms für Ägypten notwendig. Allerdings funktionieren Transplantationsprogramme dort am besten, wo stabile politische und ökonomische Verhältnisse herrschen und die Einhaltung der Menschenrechte gewährleistet ist.(46)


Nils Fischer, Institut für Wissenschaft und Ethik e.V. (IWE)


Literatur und Anmerkungen

(1) Bakr, M. A.: "Living-donor renal transplantation: 25-year Mansoura experience" Transplantation proceedings 34 (2002): 2070.

(2) Barsoum, Rashad S.: "The Egyptian transplant experience." Transplantation proceedings 24 (1992) 6: 2417-2420.

(3) Barsoum 1992: 2417.

(4) Chiffoleau 1998: 111-116.

(5) Chiffoleau 1998: 114-115.

(6) Vgl. Krawietz, Birgit: Die Hurma. Schariatrechtlicher Schutz vor Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit nach arabischen Fatwas des 20. Jahrhunderts. Berlin: Duncker & Humblot, 1991: 169-202.

(7) Chiffoleau, Sylvia: "Le débat égyptien sur le don et la transplantation d'organes." Journal international de bioéthique 9 (1998) 2: 111-116.

(8) Vgl. Krawietz, Birgit: Die Burma ... : 198-199.

(9) Vgl. Hamdy, Sherine: "Rethinking Islamic legal ethics in Egypt's organ transplantat debate." In: Brockopp, Jonathan E.; Eich, Thomas (Hg.): Muslim medical ethics. From theory to practice. Columbia, SC: South Carolina Press, 2008: 81.

(10) Vgl. Hamdy 2008: 85,

(11) Vgl. Hamdy 2008: 80-84.

(12) Vgl. Hamdy 2008: 89.

(13) "A clear view." Al-Ahram weekly (18-24 October 2001) 556.

(14) Eltahawy, Mona: "Egypt launches inquiry on sale of child body parts." The Guardian (18 March 1999). http://www.guardian.co.uk/world/1999/mar/18/1 (2009-02-16).

(15) Fauda, Hatim: "Alu ...!!!" Al-masri al-yaum (2008/8/23); anch Eltahawy 1999.

(16) El-Jesri, Manal: "My doctor, my butcher?" Egypt today 27 (2006)9. http://www.egypttoday.com/article. aspx?ArticleID=6917 (2009-02-16); Hoppe 2008: 60.

(17) Amin, Tariq: "'Al-masri al-youm' tarsud djaraim djadida fi aukar bayc wa-tidjarat al-ada' al-basharia." Al-masri al-yaum (2008/11/17). ausführlich Budiani, Debra; Shibly, Othman: "Islam, organ transplants, and organ trafficking in the Muslim world. Paving a path for solutions." In: Brockopp, Jonathan E.; Eich, Thomas (Hg.): Muslim medical ethics. From theory to practice. Columbia, SC: South Carolina Press, 2008: 138-150.

(18) "A clear view." s. Fußnote 13

(19) Al-Buhairi, Ahmad: "Djuma: yadjuz naql al-ada' min al-mutawaffi ikliniki ... wa-la nurid tahwil al-insan li-qatc ghiyar." Al-masri al-yaum (2007/4/12).

(20) Ghatrifi, Ala al-: "23 % min al-masriyin yarfudun naql wa-ziraat al-ada' bain al-ahya' ... wa-26 % yuwafiqun." Al-masri al-yaum (2007/9/4).

(21) Muhammad, Mahmud: "'Sihhat ash-shacb' tuwafiq ala naql al-ada' al-bashariya." Al-masri al-yaum (2007/11/28).

(22) So die Kritik des Chirurgen Muhammad Ghanim, vgl. Abd al-Hafiz, Ghada: "Ghanim: Qanun 'az-zirac al-djadid' yaftah bab al-mutadjara fi l-ada' al-bashariya." Al-masri al-yaum (2008/10/24).

(23) Shaubashi, Farida ash-: "'Qawanin' at-tadhil bi-t-tufan." Al- masri al-yaum (2008/8/21).

(24) Eltahawy 1999.

(25) Abu n-Nasr, Mana: "Al-khilaf ala 'maut djidhc almukhkh' yuhaddid naql al-ada'." Al-masri al-yaum (2007/5/3).

(26) Abu Zaid, Muhammad: "Shaikh al-Azhar yudjaddid amam al-barlaman fatwa ibaha' naql al-ada' ... wa-yarfud at-tashkik fi shariyatiha." Al-masri al-yaum (2007/5/23).

(27) Dusnqi, Khalifa ad-: "Fadl: Al-kutla lan taqbal qanun al-ada' illa bi-dawabit." Al-mauqi ar-rasmi li-l-kutla al-barlamaniya li-l-ikhwan al-muslimin. Akhbar an-nawwab (3 fabrair 2009).
http://www.nowabikhwan.com/Index.aspx?ctrl=press&ID=489512ef-d021- 46bb-94de-989e6d4e8851 (2009-02-16).

(28) Eine ähnliche Taktik scheint die Fraktion der Muslimbrüder im ägyptischen Parlament bei der Debatte über ein Gesetz gegen Frauenbeschneidung verfolgt zu haben, vgl. Fischer, Nils: "Das zähe Ringen um ein Verbot der Frauenbeschneidung." inamo 14 (2008) 55: 37-43

(29) Dusuqi 2009.

(30) U.a. von Richter, Frederik: "Organspenden in Ägypten. Pharaonisches Verständnis vom Leben nach dem Tod." Qantara (2005). Vgl. auch Budiani, Debra: "Facilitating organ transplants in Egypt: An analysis of doctors' discourse." Body & society 13 (2007): 134.

(31) Vgl. Abo Zaid 2007.

(32) Vgl. Abu Zaid 2007; vgl. auch Budiani 2007: 134.

(33) Badran, Ibrahim: "Egypt." In: World Health Organization (WHO) (Hg.): Report. Ethics, access and safety in tissue and organ transplantation: Issues of global concern. Madrid, Spain, 6-9 October 2003. Geneva: World Health Organization (WHO), 2004: 19.

(34) Vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2 Transplantationsgesetz i.d.F. vom 5. November 1997.

(35) Abu n-Nasr 2007; vgl. auch Budiani 2007: 134.

(36) Vgl. Budiani 2007: 142.

(37) Vgl. dazu ausführlich Krawietz 1991: 116-221; Vgl. Hamdy 2008: 88-89.

(38) Vgl. Hamdy 2008: 80-84.

(39) In der Debatte um das Transplantationsgesetz in Ägypten haben sich die Abgeordneten der Muslimbrüder für Organlebenspende ausgesprochen, während sie das Hirntodkriterium nicht akzeptierten.

(40) Vgl. auch El-Jesri 2006.

(41) Djauda, Sulaiman: "Mantiq ash-sheikh". Al-Masri al-yaum (2008/7/10).

(42) Eltahawy, Mona: "Egypt launches inquiry on sale of child body parts." The Guardian (18 March 1999).

(43) Atighetchi, Dariusch: Islamic bioethics: Problems and perspectives. Springer, 2008: 190. Wenn diese Haltung verallgemeinert würde, wären Organspenden nur von ein paar Organen post morten schariatrechtlich erlaubt, zum Beispiel Kornea-, Haut und Herzklappenspenden wegen der längeren Ischämiezeiten. Organe mit kürzerer Ischämiezeit, wie Leber und Niere könnten nur einem lebenden Organspender entnommen werden. Die Transplantation der meisten Organe und Gewebe müsste vollständig verzichtet werden.

(44) Badran 2004: 19.

(45) Wie zum Beispiel der ehemalige Gesundheitsminister und derzeitige Vorsitzende des ägyptischen Nationalen Ethikrates, Ibrahim Badran, und der Präsident der ägyptischen Ärztekammer, Hami as-Sayyid.

(46) Vgl. Badran 2004: 19.


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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 57, Frühling 2009

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Scharia Jet Set: Islamic Banking -
Aufstieg der neuen Rechtsgelehrten
Zum Verhältnis von religiösem und weltlichem Recht im heutigen Ägypten
Maqasid al-Scharia als religiöses Reformkonzept
Das afghanische Recht zwischen Staat, Scharia und Gewohnheitsrecht
Die rechtliche Kontroverse über die Organtransplantation in Ägypten
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ein neues interdisziplinäres Journal

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- Zurück zum Quellcode: Salafistische Wissenspraktiken im Internet

Gaza 2009
"Löscht alle Wilden aus!"
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- Ibrahim Haddad - eine unternehmerische Erfolgsstory

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- 1979-2009 Islamische Republik Iran: Birthday, but Happy?

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- Sharia en nationaal recht in zwaalf moslimlanden
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Quelle:
INAMO Nr. 57, Jahrgang 15, Frühling 2009, Seite 31 - 35
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2009