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NAHOST/567: Regierung, Opposition in Jordanien und der Gazakrieg (inamo)


inamo Heft 59 - Berichte & Analysen - Herbst 2009
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Regierung, Opposition in Jordanien und der Gazakrieg

Von André Bank und Morten Valbjørn


Der dreiwöchige Gazakrieg im Dezember 2008 und Januar 2009 hat auch das benachbarte Jordanien politisch stark bewegt. Trotz der Versuche des haschemitischen Regimes unter König Abdallah, einer arabisch-islamistischen und propalästinensischen Mobilisierung mit einer Taktik der situativen rhetorischen Entrüstung bei gleichzeitig stillschweigender Akzeptanz der israelischen Kriegsoffensive zu begegnen, ist es zu Massendemonstrationen nicht nur des palästinensischen Bevölkerungsanteils gekommen. Der jordanischen Muslimbruderschaft, traditionell eng mit der palästinensischen Hamas verbunden und die stärkste formelle Opposition im Land, kam hierbei eine zentrale Bedeutung zu. Auf diese innenpolitischen Implikationen des Gazakriegs für Jordanien wird im vorliegenden Beitrag der Fokus gerichtet.


Die politische Strahlkraft des dreiwöchigen Gazakriegs vom 27. Dezember 2008 bis 18. Januar 2009 reichte weit über den kleinen palästinensischen Küstenstreifen am Mittelmeer hinaus. Jenseits der massiven humanitären Folgen mit über eintausend Toten, noch mehr Verletzten und der weitgehenden Zerstörung gerade auch der zivilen Infrastruktur im Gazastreifen bedeutete der Krieg für die palästinensische Politik eine Konsolidierung der islamistischen Hamas sowie eine weitere Schwächung der Fatah unter Mahmud Abbas. Für die israelische Politik unterstrich der Gazakrieg die Zerbrechlichkeit der bereits deutlich geschwächten Regierungskoalition aus Kadima und Awoda, der vormaligen Arbeitspartei, und mündete nach den Parlamentswahlen vom 10. Februar 2009 in den Regierungswechsel zur rechtsgerichteten Koalition unter Premier Netanyahu und Außenminister Lieberman. Auch die ägyptische Politik ist durch den Krieg mächtig in Bewegung geraten: Hier löste die Duldung der israelischen Militäroffensive sowie insbesondere die Nichtöffnung des Grenzpostens von Rafah die bis dato größte Mobilisierungswelle gegen Präsident Mubarak aus, die über Ägypten hinaus auch den weiteren arabischen Nahen Osten erfasste. Ohnehin ist der Gazakrieg allgemeiner betrachtet der aktuellste Ausdruck der regionalpolitischen Verschiebung im Nahen Osten, die sich bereits im Kontext des Libanonkrieges 2006 als Aufstieg der arabisch-islamistischen Sozialbewegungen Hizbullah und Hamas zu eigenständigen Regionalakteuren sowie als zunehmende Zweiteilung ("Bipolarisierung") innerarabischer Beziehungen manifestierte und dementsprechend als "Neuer Arabischer Kalter Krieg" beschrieben werden kann.(1)


Die haschemitischen Könige und Palästina

Jordanien kommt in dieser Konstellation eine besondere Position zu. Denn die haschemitische Elite, die den kleinen, finanziell außenabhängigen Staat seit seinem Bestehen kontrolliert, ist aufgrund ihrer prowestlichen Grundausrichtung einerseits sowie der Nachbarschaft Jordaniens zu Syrien, Irak, aber auch zu Saudi-Arabien, Ägypten und Israel andererseits, immer gezwungen, auf politische Veränderungen im Nahen Osten zu reagieren; sie kann also nur in Ausnahmefällen eine selbständig agierende, gestaltende Rolle einnehmen.(2) Zugleich kommt dem jordanisch-palästinensischen Verhältnis eine herausragende Bedeutung zu: Denn nicht nur erhoben die haschemitischen Könige historisch Vertretungs- und Kontrollansprüche über Palästina, König Hussein war bis 1988 auch direkt administrativ für das Westjordanland zuständig und stellte auch in der Folge seine Interventionen nicht gänzlich ein. Zudem spielt auch in der jordanischen Gesellschaft Palästina eine zentrale Rolle: So sind unterschiedlichen Schätzungen zu Folge zwischen 40 und 70 Prozent der jordanischen Gesamtbevölkerung palästinensischer Abstammung, was eine besondere Mobilisierung hinsichtlich "palästinensischer Angelegenheiten" nahe legt.(3)

Auch wenn vor dem Hintergrund dieser engen Verflechtungen eine klare Trennung zwischen jordanischer Innen- und Regionalpolitik sowie zwischen jordanischer Innenpolitik und jordanisch-palästinensischen Beziehungen nicht durchzuhalten ist, wird im vorliegenden Beitrag das Gewicht dezidierter auf die innenpolitischen Implikationen des Gazakriegs für Jordanien gelegt, da diese bislang noch kaum umfassender berücksichtigt wurden.(4) Es wird dabei deutlich, dass der Gazakrieg die vorläufig letzte Etappe des länger andauernden Konflikts zwischen haschemitischem Regime und islamistischer Opposition darstellt. Eingebettet in den Beziehungswandel zwischen Regime, jordanischer Muslimbruderschaft und palästinensischer Hamas werden sodann die innerjordanischen Entwicklungen seit dem "Krisenjahr" 2006 näher beleuchtet. Ohne diese Rückblende auf die Konflikteskalation 2006/7 und die kurzfristige Entspannungsphase 2008 kann die Dynamik jordanischer Politik auf Seiten des Regimes wie der Muslimbruderschaft während des Gazakriegs 2008/9, die im dritten Teil behandelt werden, nicht verstanden werden. Abschließend wird auf die Folgen des Gazakriegs für die jordanische Politik hingewiesen.


Haschemitisches Regime, Muslimbrüder und Hamas

Neben der historischen Rolle der haschemitischen Könige in der palästinensischen Politik und der demografischen Frage gibt es weitere Aspekte jordanisch-palästinensischer Verflechtungen, die sich als "schwierige Dreiecksbeziehung" zwischen haschemitischem Regime, jordanischen Muslimbrüdern und palästinensischer Hamas fassen lassen.(5) Betrachtet man zunächst das Verhältnis zwischen haschemitischem Regime und jordanischer Muslimbruderschaft, so lässt sich im historischen Längsschnitt eine umfassende Transformation von einer politischen Symbiose zur Konfrontation konstatieren. Während die Muslimbrüder in den Existenzkrisen des haschemitischen Regimes 1956/7 und 1970/1 klar auf Seiten des Königs und gegen die pan-arabische bzw. palästinensische Opposition Stellung bezogen und daraus auch ihr exponierter Status in der Bildungs- und Religionspolitik sowie die Stärke ihres sozialkaritativen Sektors erwuchs, wandelte sich diese "spezielle Beziehung" seit Ende der 1980er Jahre grundlegend.(6) Nach der partiellen Liberalisierung 1989 sind die Muslimbrüder, sowie seit 1992 die Islamische Aktionsfront (IAF) als ihr verbundene Partei, die stärkste formellpolitische Opposition im Land. Insbesondere in außen- und regionalpolitischen Fragen, wie dem bilateralen Friedensvertrag mit Israel 1994 und dem engen Schulterschluss des Regimes mit den USA, aber auch hinsichtlich der Implementierung neoliberaler Wirtschaftspolitiken wurde der gewachsene Dissens zwischen Regime und Muslimbrüdern überdeutlich.(7) Auch unter König Abdallah II. kam es nach 1999 nicht zu einer Annäherung ganz im Gegenteil: die weiterhin prowestliche Ausrichtung, die intensivere Forcierung der neoliberalen Agenda sowie die zeitweilige Schließung des Parlaments 2001-2003 ließen die Trennlinien zwischen Regime und islamistischer Opposition nur noch größer werden.

Hiergegen ist die Beziehung zwischen jordanischer Muslimbruderschaft beziehungsweise IAF und palästinensischer Hamas gänzlich anders strukturiert. Denn in vielerlei Hinsicht ergaben sich inhaltlich-ideologische wie personelle Überschneidungen zwischen beiden Organisationen, die bis zur Deckungsgleichheit reichten. Dies hing zunächst damit zusammen, dass die jordanische Muslimbruderschaft 1945 westlich wie östlich des Jordans als Ableger der ägyptischen gegründet wurde. Bis in die 1980er Jahre bestanden aufgrund der jordanischen Rolle im Westjordanland diese Beziehungen weiter fort; eine organisatorische Trennung bestand nicht. Erst die Gründung der Hamas im Kontext der ersten Intifada 1987 als eigenständige palästinensisch-islamistische Bewegung gab diesen Verbindungen eine andere Note. In den 1990er Jahren konnte die IAF zunächst als Statthalterin der Hamas in Jordanien verstanden werden, da sie vor allem für die palästinensisch-stämmigen Jordanier/innen in den nördlichen Städten Amman und Zarqa eine politische Plattform bot. Diese Nähe zwischen Hamas und IAF führte jedoch immer wieder auch zu Verstimmungen innerhalb der islamistischen Bewegung und Partei selbst, insbesondere zwischen den "transjordanischen" und "palästinensischen" Flügeln, die sich in teils heftigen Auseinandersetzungen über eine eher arabisch-islamische, hier vor allem palästinensische, bzw. eher genuin jordanische, stärker sozioökonomische Ausrichtung ihrer Politik entluden.(8) Verstärkt wurden diese Konflikte noch dadurch, dass sich das Auslandsbüro der Hamas mit Khalid Mish'al seit 1990 in Amman befand. Mit dem Bedeutungszuwachs der Hamas als zentralem palästinensischen wie regionalpolitischen Akteur seit 2002 bei gleichzeitigem relativen Bedeutungsrückgang der jordanischen Muslimbrüder, wie er sich etwa im schwachen Ergebnis bei den Parlamentswahlen 2003 zeigte, hatten sich die Gewichte tendenziell in Richtung der palästinensischen Organisation verschoben.

Die dritte Achse der jordanisch-palästinensischen Dreiecksbeziehung bildet das Verhältnis zwischen haschemitischem Regime und Hamas. Hierbei ist zunächst wichtig, dass der jordanische König Hussein die Hamas nach ihrer Gründung trotz der massiven ideologischen Differenzen unterstützte und für seine eigenen Zwecke instrumentalisierte. Im Hinblick auf die palästinensische Politik versuchte er die Hamas so als Gegengewicht zur PLO-dominierten Fatah unter seinem Intimfeind Yasir Arafat zu erhalten. Gegenüber Israel und den USA konnte die Hamas zunächst auch nach dem jordanisch-israelischen Friedensvertrag von 1994 als wichtiger "bargaining chip" gehalten werden. Und innerjordanisch konnte der König durch seine Tolerierung der Hamas in Amman weiterhin suggerieren, dass er sich trotz Friedens mit Israel für die palästinensische Sache und die legitimen Rechte der Palästinenser einsetzt. Insofern brachte ihm seine Entrüstung über den gescheiterten israelischen Tötungsversuch an Khalid Mish'al in Amman 1997 innenpolitisch auch viel Unterstützung entgegen. Und auch wenn König Hussein in der Folge die Freilassung des Hamas-Führers Scheich Ahmad Yasin aus israelischer Gefangenschaft erwirkte, gewannen die strategischen wie ideologischen Differenzen zwischen jordanischem Regime und Hamas klar die Überhand. Unter König Abdallah, der sieh nach seiner Thronfolge auf die Konsolidierung seiner Position und seine interne, vor allem wirtschaftspolitische Agenda konzentrierte und sich von der Palästinafrage ein stückweit zu lösen begann, kam es zum offenen Bruch mit der Hamas und der Ausweisung der Exilführung im August 1999 - letztere gelangte über Qatar ins syrische Damaskus.(9) Eine beiderseitige Annäherung war auch in den Folgejahren zunächst nicht zu beobachten.


1. Die Terroranschläge am 9. November 2005

Das Jahr 2006 stellt einen Wendepunkt im Verhältnis zwischen haschemitischem Regime und islamistischer Opposition dar, wofür die Entwicklung in Palästina und die Rolle der Hamas entscheidend verantwortlich sind. Diese Einschätzung mag zunächst überraschen, werden doch die islamistischen Terrorschläge vom 9. November 2005 in Amman, für die eine Zelle der irakischen al-Qaida unter Zarqawi verantwortlich war, oft als zentrale Zäsur in der neueren jordanischen Politik wahrgenommen. Deren Bedeutung soll hier nicht minimiert werden, trug "Jordaniens 9/11"(10) doch zu einer erheblichen Verschärfung sicherheitspolitischer Maßnahmen, repressiven Antiterrorgesetzen und einem Elitenwandel zum harscheren Premierminister Ma'ruf Bakhit und dem neuen Geheimdienstchef Muhammad Dhahabi bei.


2. Der Hamas-Wahlsieg im Januar 2006

Doch waren es erst die palästinensischen Parlamentswahlen vom Januar 2006, bei denen die Hamas einen Erdrutschsieg davon trug, die das Verhältnis des jordanischen Regimes zu den Muslimbrüdern und der IAF in der Folge entscheidend prägen sollten. So sprach 'Azzam Hunaidi, ein führender IAF-Parlamentarier, vom Sieg der Hamas ermutigt, erstmals offen und selbstbewusst von der starken sozialen Basis der Islamisten in Jordanien und vom Potenzial, bei den nächsten jordanischen Wahlen ebenfalls einen massiven Stimmenzuwachs zu erreichen. Alarmiert gingen König Abdallah und der jordanische Sicherheitsapparat daran, eine Eindämmungsstrategie gegenüber der islamistischen Opposition zu entwickeln, die im Schatten von Jordaniens 9/11 auch von den westlichen Geberländern unter dem Deckmantel der Antiterrorbekämpfung toleriert werden würde.


3. Im April 2006 begann so die Regimekampagne gegen Muslimbrüder und IAF,

die sich über die Folgemonate hinzog und zu einer immensen Schwächung der moderaten jordanischen Islamist/innen führen sollte:" Hierzu zählten die so genannte Hamas-Waffenaffäre; die Verschiebung der für den Sommer 2006 vorgesehenen Lokalwahlen auf 2007; die Medienkampagne und der Prozess gegen vier IAF-Parlamentarier, die an der Trauerfeier für den jordanischen Terroristen Zarqawi im Juni 2006 teilgenommen hatten und dafür zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden sowie die staatliche Übernahme der Islamic Center Charity Society, der größten islamistischen Wohlfahrtsorganisation in Jordanien, im Juli 2006.


4. Der 33 Tage Krieg 2006

Zur gleichen Zeit begann der Libanonkrieg, bei dem sich die Hizbullah gegen Israel bewähren konnte und mit Hassan Nasrallah eine neue Führungsfigur des "arabischen Widerstands" erwuchs. Diese Entwicklungen wirkten auch auf das jordanische Verhältnis zwischen Regime und Muslimbruderschaft. Während König Abdallah die Hizbullah sogleich lautstark kritisierte, dabei relativ klar die israelische Kriegsoffensive legitimierte und erst langsam zurückruderte, rief die - ausschließlich sunnitische - islamistische Opposition in Jordanien zur Unterstützung der Hizbullah auf. Das zentrale Motiv war hier also weniger die oft kolportierte sunnitisch-schiitische Trennlinie als vielmehr die Differenz zwischen pro-westlicher und pro-israelischer Haltung arabischer Regimes wie Ägypten, Saudi-Arabien und auch Jordanien einer- und arabisch-islamistisch eingefärbter muqawama-Position andererseits.(12) Trotz dieser kurzfristigen Etappe islamistischer Mobilisierung blieben Muslimbruderschaft und IAF weitgehend in der Defensive.


5. Die Parlamentswahlen 2007

Die Regimekampagne zusammen mit internen Streitigkeiten und Flügelkämpfen führte 2007 zu der deutlichen Schwächung bei den Lokalwahlen im Juli und, noch niederschmetternder, bei den Parlamentswahlen im November 2007, bei denen die IAF lediglich sechs von 110 möglichen Parlamentssitzen errang.(13) In der Folge waren Muslimbruderschaft und IAF deutlich geschwächt - im formellen politischen Prozess sind ihre Einflussmöglichkeiten bis dato minimiert und die Versuche interner Rehabilitierung, inklusive der Wahlen zum Shura-Rat der Muslimbrüder, dauern noch an.

Nach der massiven Schwächung der moderat-islamistischen Opposition 2006/7 wurde 2008 von Regimeseite wieder eine Entspannungsphase eingeleitet. Diese hatte regional- wie innenpolitische Gründe. Regionalpolitisch wurde zunehmend deutlich, dass die Hamas ihre dominante Position im Gazastreifen, den sie seit Juni 2007 nach den innerpalästinensischen Auseinandersetzungen mit der Fatah kontrollierte, trotz der weit reichenden internationalen Blockade aufrechterhalten konnte. Daher wurden die gegenseitigen Gespräche, die im Juli 2008 begannen und die zweite Jahreshälfte über andauerten, zwar nicht offizielle jordanische Politik - dies hätte das Verhältnis zu den USA, Israel sowie zur Fatah unter Mahmud Abbas belasten können. Informell wurden sie dennoch regelmäßig geführt und hochkarätig von Geheimdienstchef Dhahabi, nach König Abdallah und dem forcierten Rücktritt seines protegé Basim Awadallah im September die Nummer zwei im Regime, geleitet.(14) Hintergrund war hier die für Jordanien typische Haltung, möglichst viele Kanäle offen zu halten, um regionalpolitisch flexibel zu bleiben. Innenpolitisch ging diese Öffnung hin zur Hamas mit einer neuen Ausgleichspolitik gegenüber der Muslimbruderschaft einher, die nach ihrer deutlichen Schwächung wieder freier operieren konnte und in Hammam Sa'id einen Vertreter des Hamas-Flügels an ihre Spitze wählte. Vor dem Hintergrund des durch das Krisenjahr 2006 weitgehend zerrütteten Verhältnisses zwischen Regime und islamistischer Opposition und neuerlichen Bemühungen um eine partielle Entspannung begann im Dezember 2008 der Gazakrieg.


Der Gazakrieg und Jordanien

Der Gazakrieg deutete sich zwar in Folge der Konflikteskalation zwischen der israelischen Führung und der Hamas seit Anfang November 2008 an, doch überraschte die Heftigkeit der israelischen Militäroffensive nach dem 28. Dezember die jordanische Gesellschaft wie die Staatsspitze gleichermaßen. Anders als im Kontext des Libanonkriegs 2006 agierte das Regime unter König Abdallah nach dem Kriegsbeginn in Gaza deutlich weniger offen im pro-westlichen Camp und geriet so kaum ins Fadenkreuz der arabischen Öffentlichkeit - im Unterschied vor allem zu Ägypten unter Mubarak, mit dem Jordanien ansonsten eng verbunden ist, und, in geringerem Maße, zu Saudi-Arabien, das ebenfalls eine ambivalente, aber doch offene Hamas-kritische Position bezog. Jordaniens König Abdallah und seine palästinensisch-stämmige Frau Rania versuchten ihrerseits über öffentlichkeitswirksame Kampagnen, wie Blutspenden und Hilfslieferungen, auf symbolischer Ebene die haschemitische Verbundenheit mit den palästinensischen Opfern zu zeigen, ohne jedoch zugleich die Hamas, die sich als neue "arabisch-islamische Widerstandsfront" zu bewähren versuchte, zu legitimieren. Letzteres hätte für das jordanische Regime eine deutliche Abfuhr von Seiten der USA, Israels, Ägyptens, Saudi-Arabiens, aber auch der Fatah unter Abbas bedeutet. Dieser Spagat, der die jordanische Regionalpolitik in Bezug auf Palästina immer wieder prägt, zeigte sich also auch wieder im Gazakrieg 2008/9. Ein gradueller Unterschied im Vergleich zum Libanonkrieg 2006 bestand aber auch zusätzlich darin, dass es bis in zentrale Regimeinstitutionen wie den Geheimdienst, die Armee und den königlichen Hof hinein Unsicherheiten gab, wie man angemessen auf die neuerliche regionalpolitische Herausforderung reagieren sollte. Diejenigen, die sich hier für eine mögliche Annäherung Jordaniens an die Hamas aussprachen, erhielten durch den innenpolitischen Paukenschlag in Jordanien im Kontext des Gazakriegs eine deutliche Absage: Denn Ende Dezember, quasi mit dem Kriegsbeginn in Gaza, entließ Abdallah seinen Geheimdienstchef Muhammad Dhahabi. Auch wenn dieser Schritt aus Gründen der intra-elitären Machtbalance nach dem Rücktritt von Basim Awadallah, der 2008 zunehmend zu Dhahabis zentralem Gegenspieler vor allem hinsichtlich der jordanischen Palästinapolitik avancierte, nicht überraschen kann, so ist der Zeitpunkt zu Beginn eines regionales Krieges mit immensen sicherheitspolitischen Unwägbarkeiten für Jordanien dennoch schwer nachzuvollziehen. Der jordanischen Journalistin Rana Sabbagh zu Folge waren hierbei ausschließlich innerjordanische Faktoren relevant, insbesondere der Rückgewinn absoluter politischer Kontrolle durch den König und die relative Schwächung des Geheimdienstes, die noch durch die Ernennung des "unpolitischeren" Muhammad Raqqads als Dhahabis Nachfolger unterstrichen wird.(15) Abgesehen vom Zeitpunkt überrascht, dass mit dem Geheimdienstchef gerade derjenige Repräsentant des jordanischen Regimes entlassen wurde, der aufgrund der beiderseitigen Gespräche die staatlichen, jordanischen Verbindungen zur Hamas seit Juli 2008 geradezu personifizierte.

Weder die personalpolitischen Entscheidungen noch die symbolpolitischen Initiativen von König Abdallah konnten die massive pro-palästinensische Mobilisierung der jordanischen Gesellschaft im Zuge des Gazakriegs verhindern. Ende Dezember 2008 und Anfang Januar 2009 kam es im ganzen Land zu den deutlich größten Demonstrationen des letzten Jahrzehnts, höchstens vergleichbar mit den Antikriegsprotesten gegen den Irakkrieg 2003. In der Hussein Sports City in Amman kamen bei der größten Kundgebung Schätzungen zu Folge knapp eine Million Menschen zusammen, also knapp die Hälfte der Einwohner der jordanischen Hauptstadt. Eng von den jordanischen Sicherheitskräften und von einem massiven Polizeiaufgebot flankiert, zeigten die Demonstrationen nicht nur ihre enge Solidarität und Verbundenheit mit den Palästinenser/innen in Gaza, sondern auch deutlich ihre Sympathie für die palästinensische Hamas. Dieser Widerspruch zur offiziellen Regimeposition hinderte das Regime, die Proteste im größeren Stil für die eigenen Zwecke zu vereinnahmen, auch wenn dies immer wieder versucht wurde und auch etwas besser gelang als bei der noch deutlicheren Polarisierung zwischen Regime und islamistischer Opposition während des Libanonkrieges 2006. Die meisten Massenproteste, vor allem die größten in den nördlichen Städten Amman und Zarqa, wurden von der jordanischen Muslimbruderschaft zusammen mit der IAF, den Berufsvereinigungen und Antinormalisierungsbewegung organisiert. Mit Hilfe von street politics gelang es der politisch zuvor arg gebeutelten moderat-islamistischen Opposition unter Beweis zu stellen, dass sie zumindest in der Palästinafrage und der arabisch-islamistischen Solidarität immer noch große Teile der jordanischen Gesellschaft hinter sich weiß.


Der Gazakrieg und die Zukunft

Nach dem politischen Ausnahmezustand in Jordanien während des dreiwöchigen Gazakriegs ist in dessen Folge wiederum so etwas wie business as usual eingekehrt. Auf Regimeseite kam es so Anfang Februar zu einer der typischen, weit reichenden Kabinettsumbildungen, bei der die traditionelle geographische Balance sowie diejenige zwischen (neo)liberalen Wirtschaftsreformern und konservativen Sicherheitsleuten weitgehend fortgeführt wurde. Was die Politik des Elitenwandels angeht, sind so in naher Zukunft kaum Veränderungen zu erwarten.

Hinsichtlich der regionalen Politik und vor allem der Palästinafrage, die wie gesehen für Jordanien von immenser Bedeutung ist, könnten sich jedoch in naher Zukunft einige Veränderungen ergeben. Dabei geht es vor allem um die immer wieder aufkommenden Diskussionen über eine jordanische Rolle im Westjordanland, die gerade bei einer Konflikteskalation zwischen der neuen, rechtsgerichteten israelischen Regierung und der deutlich geschwächten palästinensischen Fatah zum Tragen kommen könnte. Ein palästinensischer Rumpfstaat im Westjordanland, der den Hamas-dominierten Gazastreifen ausschließt, könnte in wenigen Jahren, sollte sich seine mangelnde Überlebensfähigkeit zeigen, für Jordanien massiv negative Auswirkungen haben und unter Umständen sogar das Ende des Haschemitischen Königsreichs, wie es bis dato besteht, bedeuten. Die jordanische Muslimbruderschaft und die IAF könnte in einem solchen Szenario aufgrund ihres Mobilisierungspotenzials in regionalpolitischen Fragen und besonders, was Palästina angeht, wiederum punkten. Trotz des Gazakriegs haben sie aber noch immer mit den Folgen des Krisenjahres 2006 und ihrer massiven formell-politischen Schwächung zu kämpfen. Der Prozess ihrer politischen Rehabilitierung kommt nur langsam voran.


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His Majesty King Abdullah II of the Hashemite Kingdom of Jordan Presents Inaugural Awards for Physical Fitness Program Modeled after U.S. President's Awards

October 11, 2006 - On August 30, 2006, His Majesty King Abdullah II honored the first recipients of the King Abdullah II Award for Physical Fitness, a soon-to-be-nationwide program to encourage healthy lifestyles among Jordanian youth, modeled after the US. Department of Health and Human Services' (HHS) Presidential Fitness and Sports Awards.

On a visit to the United States in late 2004, King Abdullah recalled his fond memories of having participated in the Presidential Fitness Awards when he attended school in this country, and expressed an interest in starting a similar program in Jordan. Then-HHS Secretary Tommy G. Thompson responded by asking Departmental experts to consult on the Jordanian project, led by Melissa Johnson, the Executive Director of the President's Council on Physical Fitness and Sports.

Current Secretary Michael O. Leavitt and his Deputy Secretary Alex M. Azar II, have endorsed and continued support for this project, with funding from the U.S. Agency for International Development's (USAID) Mission at the U.S. Embassy in Amman. The HHS experts met with the Jordanian Royal Health Awareness Society, the Jordanian Ministries of Health and Education, and representatives from the Royal Court to design the program over the course of 2005. The program made its debut last year as a pilot project in 144 Jordanian schools, and is expected to reach all schools across the country by 2009. On a trip to Amman in July 2006, Deputy Secretary Azar presented the Jordanian Government with the positive results of an HHS evaluation of the Pilot Phase of the Awards Program.

Office of Global Health Affairs
U.S. Department of Health and Human Services
Press Release


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On July 18th 2001 'His Majesty King Abdullah II inaugurated Ad-dulayl Industrial park which is a new hub for foreign investors in Jordan.

The inauguration ceremony was attended by H.E. the prime minister and top governmental officials, Embassies, Investors and top business people. Speeches were made by Chairman of the board Mr Khayyat as well as one of the investors, followed by his Majestys honoring us and the investors by handing souvenir shields to all foreign investors in our zone. The event was covered Internationally in the media on T.V. and Print.

The king expressed his satisfaction at the success of the zone since this is a great opportunity to provide jobs for the average Jordanian people which is one to his Majesty's main concern.

Ad-dulayl Industrial park
Press Release


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

His Majesty King Abdullah II upon his arrival with chairman of the park Mr. Jack Khayyat and Managing Director of the park Mr. George Khayyat

H.M. King Abdullah II Cutting the Ribbon at the Inaugration Ceremony


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André Bank: Politikwissenschaftler (M.A.), Doktorand an der Uni Marburg (Dissertation zu politischer Herrschaft jenseits des Staates in Jordanien).

Morten Valbjørn: Politikwissenschaftler,
Assistenzprofessor an der Uni Aarhus (Dänemark).


Anmerkungen und Literatur

(1) Vgl. Morten Valbjørn / André Bank (2007): "Signs of a New Arab Cold War: The 2006 Lebanon War and the Sunni-Shi'i Divide", in: Middle East Report, 242, S. 6-11.

(2) Zur jordanischen Regionalpolitik vgl. zuletzt Curtis R. Ryan (2009): Inter-Arab Alliances. Regime Security and Jordanian Foreign Policy, Gainesville: U. of Florida Press.

(3) Nach dem Zuzug mehrerer Hunderttausender Iraker/innen seit den 1990er Jahren und in Folge des Krieges nach 2003 hat sich der relative Anteil Palästinensischstämmiger in Jordanien natürlich verringert. Die Spekulationen über Einwohnerzahlen sind damit jedoch nicht beendet, sondern treten in eine neue Phase.

(4) Für die systematischste, aber sehr knappe Einschätzung hierzu vgl. Marc Lynch (2009): "Gaza rocks Jordan", Abu Aardvark's Middle East blog, 9. Februar. http://lynch.foreignpolicy.com/posts/2009/02/08/gaza_rocks_jordan

(5) Vgl. hierzu ausführlicher Julius Kirchenbauer (2009): Eine schwierige Dreiecksbeziehung. Jordanisches Regime, Muslimbruderschaft und palästinensische Hamas, Berlin: SWP, Diskussionspapier der FG 6, Januar, S. 4ff.

(6) Vgl. Marion Boulby (1999): The Muslim Brotherhood and the Kings of Jordan, 1945-1993, Atlanta. Für die Entwicklungen nach 1989 vgl. Jillian Schwedler (2006): Faith in Moderation. Islamist Parties in Jordan and Yemen, Cambridge.

(7) Vgl. Mohammad Abu Rumman (2007): The Moslim Brotherhood in the 2007 Jordanian Parliamentary Elections. A Passing "Political Setback " or Diminished Popolarity?, Amman: Friedrich-Ebert Stiftung, S. 16ff.

(8) Vgl. Abu Rumman (2007), S. 22-33.

(9) Für einen Überblick über Abdallahs erste Jahre vgl. André Bank / Oliver Schlumberger (2004): "Jordan: Between Regime Survival and Economic Reform", in: Volker Perthes (Hg.): Arab Elites. Negotiating the Politics of Change, Boulder, S. 35-60.

(10) Vgl. International Crisis Groop (ICG)(2005): Jordans 9/11. Dealing with Jihadi Islamism, Middle East Report 47, 23. November.

(11) Für detaillierte Erläuterungen vgl. André Bank (2007): "Jordan", in: CQ Press (Hg.): The Middle East, Washington D.C., 11. Aufl., S. 322f.

(12) Vgl. hierzu ausführlicher Valbjørn/Bank (2007) und André Bank / Morten Valbjørn (2009): Jordan in the Old and New Arab Cold Wars, Manuskript i.V.

(13) Vgl. Abu Rumman (2007), S. 44ff.

(14) Basim Awadallah, Architekt der jordanischen Wirtschaftspolitik und engster vertrauter des Königs nach 2000, wurden seine kontroversen Aussagen über eine mögliche jordanische Rolle im Westjordanland zum Verhängnis. Eigentlich gilt seit dem administrativen Rückzug 1988 die Formel "Jordanien ist Jordanien und Palästina ist Palästina" als Quasi-Staatsdoktrin, Diskussionen über ein politisches re-engagement tauchen aber regelmäßig wieder auf - seien sie von israelischer, amerikanischer oder eben auch jordanischer Seite lanciert.

(15) vgl. Al-Arab al-Yaum, 4. Januar 2009.


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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 59, Herbst 2009

Gastkommentar
- Schon wieder ein Sieg der Demokratie, von Matin Baraki

Jordanien
Regierung, Opposition in Jordanien und der Gazakrieg, von André Bank und Morten Valbjørn
Ein Land - zwei Pfade? 20 Jahre ökonomische und sozialpolitische Reformen. Von Katharina Lenner
Dezentralisierungsversuche: Große Pläne - kleines Land, von Malika Bouziane
"Über-Individuen" und "Über-Stämme"
Interview mit Mustafa Hamarneh
Brotunruhen, arabische Solidarität, tribaler Islamismus, von André Bank
Neo-liberales Jordanien - Der Widerstand der Straße, von Hisham Bustani
Ungesicherte Zahl, unsichere Zukunft - Irakische Flüchtlinge in Jordanien, von Géraldine Chatelard
Hochschulbildung zwischen Liberalisierung, Export und Capacity Building, von Ala al-Hamarneh
Gesucht: Journalistische Professionalität, von Judith Pies

Deutschland/Ägypten
- Der Mord an Marwa - Ein medienkritischer Rückblick, von Hanan Badr

Söldner
- Söldner Firmen - Gefahr für die Demokratie? Von Matin Baraki

Marokko
- Zu viele Sieger bei den Kommunalwahlen, von Jan Völkel

Israel/Palästina
- Siedlungs- und Rohstoffpolitik - Geplanter Rückzug des Staates, von Dina Jadallah-Taschler
- Fatahs 6. Generalkonferenz, von Toufic Haddad

Sudan
- Al-Bugaa-Theaterfestival 2009 - Erzählen und Schweigen. Von Kai Tuchmann

Literatur
- Erich-Fried-Preis an Esther Dischereit

Wirtschaftskommentar
- EU-GCC-Freihandelsabkommen: Eine "unendliche Geschichte"? Von Anja Zorob

Zeitensprung
- Das kurze, lange Leben des Hasan al-Banna, von Lutz Rogler

Ex Libris
John R. Bradley, Inside Egypt - The Land of the Pharaohs on the Brink of a Revolution, von Edgar Göll
Stephen J. Sniegoski, The Transparent Cabal: The Neoconservative Agenda ... , von Werner Ruf
Corry Guttstadt, Die Türkei, die Juden und der Holocaust, von Havva Kökbudak

Nachrichten//Ticker//


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Quelle:
INAMO Nr. 59, Jahrgang 15, Herbst 2009, Seite 4 - 8
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und Mittleren Ostens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009