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NAHOST/658: Libanon - Palästinenser auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Juli 2010

Libanon: Ewig staatenlos - Palästinenser auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert

Von Mona Alami


Beirut, 8. Juli (IPS) - Im Umgang mit palästinensischen Flüchtlingen hat sich der Libanon keinen Ruhm erworben. Seit die Bewohner des britischen Mandatsgebiets Palästina nach der Gründung des Staates Israel 1948 massenhaft in das Nachbarland kamen, wurden sie dort systematisch diskriminiert. Bis heute sind sie sozial und arbeitsrechtlich benachteiligt.

"Palästinenser leben im Libanon eingesperrt", kritisierte der Philosoph Noam Chomsky bei einem kürzlichen Besuch des Landes. Streng bewacht von den Sicherheitskräften wohnen die Flüchtlinge in großen Lagern wie Ain el-Helweh, Bedawi und Schatila. Jugendliche verbringen den Tag untätig auf der Straße.

Politische Beobachter befürchten, dass die hohe Arbeitslosigkeit die Palästinenser immer mehr radikalisieren wird. Nachts kommt es in den Camps häufig zu Schießereien zwischen verfeindeten Banden. Die Atmosphäre ist so gespannt, dass ein harmloses Fußballspiel in einer Schießerei enden kann.

Von den rund 300.000 Palästinensern im Libanon leben die meisten in den neun landesweit verteilten Lagern. Schätzungsweise 60 Prozent von ihnen haben keinen Job. Bis 2005 war ihnen der Zugang zu 70 Berufen versperrt. Inzwischen wurde die Zahl auf 20 gesenkt.

Der 22-jährige Elektroingenieur Khaled hat im Irak studiert. Seit einem halben Jahr ist es zurück und bemüht sich vergeblich um eine Stelle. "Ich werde abgelehnt, weil ich Palästinenser bin", klagte er. "Dabei habe ich gute Zeugnisse. Im Irak haben Palästinenser mehr Rechte."

Jugendliche im Palästinenserlager Bourj Barajnah – Bild: Mona Alami/IPS

Jugendliche im Palästinenserlager Bourj Barajnah
Bild: Mona Alami/IPS

Kaum eine Chance auf ein Arbeitsvisum

Im Libanon sind Palästinenser vor allem deshalb so benachteiligt, weil sie seit 1948 als staatenlos gelten. Nach Angaben von 'Human Rights Watch' erhielten im vergangenen Jahr lediglich 261 Palästinenser ein Arbeitsvisum. Im Vergleich dazu gelangten fast 38.000 Äthiopier in den Besitz der begehrten Papiere. Wie Menschenrechtler beanstanden, werden die Flüchtlinge damit nicht nur gegenüber Libanesen, sondern auch gegenüber anderen Ausländern diskriminiert.

Das libanesische Arbeitsrecht behandelt palästinensische Flüchtlinge wie andere Nicht-Libanesen. Wenn sie im Besitz einer Arbeitsgenehmigung sind, verfügen sie über die gleichen Rechte, die auch Libanesen in den jeweiligen Herkunftsländern der Migranten. Die Palästinenser stehen vor dem Problem, dass sich ihre Staatenlosigkeit nicht mit dem Reziprozitätsprinzip verträgt, wie Alexander Adam vom nichtstaatlichen Dänischen Flüchtlingsrat (DRC) erläuterte. Regulär beschäftigte Palästinenser erhalten deshalb keine staatlichen Sozialleistungen, obwohl ihre Arbeitgeber dafür Beiträge abführen müssen.

Als Rechtsanwälte, Ärzte oder Ingenieure zu arbeiten, ist für die Staatenlose von vorn herein so gut wie unmöglich. Laut Adam arbeiten die meisten Palästinenser im Immobilienbereich, als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft oder als Taxifahrer. Ihre wichtigsten Arbeitgeber sind demnach internationale Organisationen wie das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) oder nichtstaatliche Gruppen.

Vor fünf Jahren sicherte das libanesische Arbeitsministerium in einem Memorandum zu, die Arbeitsmöglichkeiten für Palästinenser zu verbessern. Konkrete Fortschritte sind bisher aber nicht zu beobachten. Auch Hilfsorganisationen konnten dagegen wenig ausrichten.

"Seit einem Jahr suche ich einen Job", berichtete der Chemiker Abdallah Oueid, der seinen Abschluss an der Arabischen Universität in der libanesischen Hauptstadt Beirut erworben hat. "Einige Firmen haben mir ganz unverblümt gesagt, dass sie keine Palästinenser einstellen."


Universitätsabschluss bringt keine Vorteile

Die Flüchtlinge, die Arbeit haben, verdienen überdies oft viel weniger als ihre libanesischen Kollegen. "Ich bekam umgerechnet 50 US-Dollar weniger als ein libanesischer Freund, der dazu noch versichert war", kritisierte der junge Grafikdesigner Ahmad, der für 400 Dollar im Monat als Kellner in einem Restaurant jobbt. Auch eine Studie der libanesischen Soziologin Sari Hanafi belegt, dass die Flüchtlinge einen wesentlich niedrigeren Stundenlohn erhalten.

Selbst diejenigen, die einen höheren Abschluss vorweisen können, werden benachteiligt. Ahmad, der eine Universität besuchte, findet nur befristete und häufig auch illegale Arbeiten. "Wenn Vertreter von Behörden vorbeikamen, musste ich mich immer verstecken", erzählte er.

Wie Adam berichtete, brechen viele Palästinenser aus Frust über die schlechten Perspektiven die Schule vorzeitig ab. Etwa 60 von ihnen machten keinen Abschluss, sagte er. Diese jungen Menschen sind anfällig für Drogen, Kriminalität und radikale Vereinigungen, die den Flüchtlingen sichere Einkommensmöglichkeiten in Aussicht stellen. Auf diese Weise sollen Gruppen wie 'Ain El-Helweh' oder 'Bourj Barajneh' in den letzten Monaten Massen an neuen Mitgliedern angeworben haben. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2010