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NAHOST/769: Jordanien - Proteste zeigen Wirkung, Hoffnung auf mehr Rechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Februar 2011

Jordanien: Proteste zeigen Wirkung - Hoffnung auf mehr Rechte

Von Mona Alami


Beirut, 10. Februar (IPS) - Die Protestwelle, die in den letzten Wochen über Teile Nordafrikas und des Nahen Ostens zusammenbrach, hat auch im haschemitischen Königreich Jordanien ihre Spuren hinterlassen. Inspiriert von der tunesischen 'Jasminrevolution' fordern hier die Menschen politische Reformen.

Anfang Januar demonstrierten im südlich der Hauptstadt Amman gelegenen Theiban etwa 200 Menschen gegen die hohen Lebensmittel- und Benzinpreise und forderten von der Regierung Preiskontrollen und Anti-Korruptionsmaßnahmen. Wenig später sprang der Funke auf die Städte Karak und Irbid über. Ende Januar zogen dann 3.500 Menschen unter Führung islamistischer Oppositionsgruppen, linker Organisationen und Gewerkschaften durch Amman, um gegen die Politik des damaligen Ministerpräsidenten Samir Rifai zu protestieren.

Die jordanische Wirtschaft leidet unter einem Defizit von 1,6 Milliarden US-Dollar, Armut und hoher Arbeitslosigkeit. Um das Haushaltsdefizit auszugleichen, ist das Land von ausländischer Hilfe und Investitionen abhängig.

Rifais Ankündigung, Benzin und Lebensmittel wie Reis und Zucker mit 550 Millionen Dollar zu subventionieren, konnte den Volkszorn nicht beschwichtigen. König Abdullah II. zögerte nicht lange und löste die Regierung auf.

"In Jordanien macht sich ein wachsendes Gefühl der Unzufriedenheit mit der Ungleichheit zwischen korrupter Wirtschaftselite und dem Rest der Bevölkerung breit", erläutert Mohamad Al-Masri, Wissenschaftler am Zentrum für strategische Studie der Universität von Jordanien. In den ländlichen Gebieten sei die Armut und in einigen Vierteln der Hauptstadt Amman der Reichtum unübersehbar.


Ruf nach politischer Mitsprache und Freiheiten

In den letzten Wochen sind die Demonstranten dazu übergegangen, größere politische Mitsprache einzufordern. "Wir wollen eine von der Mehrheit der Bevölkerung gewählte Regierung und wir wollen einen Machtausgleich. Wir werden solange demonstrieren bis unsere Forderungen ernst genommen werden", versicherte Hamsa Mansur, Generalsekretär der Islamischen Aktionsfront (IAF), der politische Arm der Jordanischen Moslembruderschaft.

Die Opposition unter Führung der IAF will die Auflösung des jordanischen Parlaments erreichen. Die derzeitige Zusammensetzung sei das Ergebnis von Wahlbetrug bei den Parlamentswahlen 2009, heißt es. Auch fordert sie die Einführung des Verhältniswahlrechts und größere Versammlungsfreiheiten. Auch soll die Verfassung von 1952 wieder Geltung haben, die der Legislativen eine größere Kontrolle über die Exekutive einräumt. Derzeit liegt die Macht weitgehend in den Händen des Königs. Ihm steht es zu, den Regierungschef zu ernennen und Parlament und Regierung aufzulösen.

Die Forderungen der IAF finden ihren Niederschlag auch in der jordanischen Bloggergemeinde. Wie sei es nur möglich, dass der König einen Ministerpräsidenten entlasse, der vom Parlament 95 Prozent der Stimmen erhalten habe, fragte Chaddar, der Betreiber des Blog 'Jordanian Issues'.


Palästinenser politisch unterrepräsentiert

Für weiteren Unmut sorgt der geringe Anteil der jordanischen Palästinenser im Parlament, die zwar 40 Prozent der Bevölkerung stellen, aber nur 18 Prozent aller Parlamentssitze einnehmen. So hält sich der Vorwurf, dass die königstreuen jordanischen Beduinen durch die Wahlkreiseinteilung begünstigt werden.

Um die Lage zu entspannen, hat der König den ehemaligen Regierungschef Abdulla Maruf Bachit zum neuen Ministerpräsidenten ernannt, der als korruptionsunanfällig gilt. Auch stellte er einen nationalen Dialog zugunsten politischer Reformen, Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption und Änderungen des restriktiven Wahlrechts in Aussicht. Darüber hinaus traf sich der Monarch mit Islamistenführern einschließlich Vertretern der IAF und der Moslembruderschaft. "Dem Treffen kommt als erstem in neun Jahren eine extrem hohe symbolische Bedeutung zu", meint dazu der Politikexperte Al-Masri.

Berichten zufolge soll der neue Ministerpräsident Bachit angekündigt haben, das Gesetz zum Versammlungsrecht soweit zu reformieren, dass größere Treffen künftig auch ohne die Zustimmung des Innenministeriums und der Gouverneure möglich sind. Auch stellte er in einer Geste des guten Willens Vertretern der Moslembruderschaft politische Ämter im Anschluss an die Wahl einer neuen Regierung in Aussicht. Das Angebot wurde jedoch ausgeschlagen.

Trotz der zugesicherten Reformen stellt sich die Frage, ob Jordanien ein ähnliches Schicksal wie Ägypten und Tunesien bevorstehen könnte. Hilal Chaschan von der Amerikanischen Universität in Beirut ist der Meinung, dass dies nicht geschehen wird. "Jordanien weist fundamentale Unterschiede zu Tunesien auf", meint er. Die Möglichkeit einer Revolte sei aufgrund der Zerrissenheit und Rivalität zwischen Jordaniern und palästinensischen Jordaniern höchst unwahrscheinlich. Chaschan zufolge richteten sich die Proteste im haschemitschen Königreich vor allem gegen die ehemalige Regierung von Samir Rifai und nicht gegen den König.

Doch der Politikprofessor Al-Masri ist anderer Ansicht. Das Beispiel Ägyptens als ein Land, in dem Muslime und Christen zusammenlebten, habe gezeigt, "dass sich selbst in fragmentierten Gesellschaften eine kleine Protestbewegung sehr schnell zu einer Massenbewegung entwickeln kann". Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2011