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NAHOST/839: Libanon - Politik in Männerhand, Frauen aus neuer Regierung ausgeschlossen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Juli 2011

Libanon: Politik in Männerhand - Frauen aus neuer Regierung ausgeschlossen

Von Dalila Mahdawi


Beirut, 7. Juli (IPS) - Nach monatelangem politischen Tauziehen steht seit kurzem die neue Regierung im Libanon fest. Frauenorganisationen kritisieren, dass Premierminister Nadschib Mikati keine einzige Ministerin in sein 30-köpfiges Kabinett berufen hat.

"Ich habe nicht mit mehr Frauen gerechnet. Doch dass sie vollständig verschwinden würden, hätte ich nicht erwartet", meinte Lina Abu-Habib von der Organisation CRTD-A, die sich für die Gleichstellung der Frau einsetzt. Auch andere Aktivistinnen hätten schockiert auf Mikatis Ankündigung reagiert, erklärte sie gegenüber IPS.

Medien im In- und Ausland haben die Ausgrenzung von Frauen aus der Regierungsverantwortung bisher kaum kommentiert. In ehemaligen Kabinetten hatte der Anteil der Ministerinnen zwar nie die 30-Prozent-Marke erreicht. Dennoch war die Präsenz von Frauen in der Politik spürbar. Im Libanon stellen Frauen mehr als die Hälfte der rund vier Millionen Einwohner.

In den vorangegangenen Legislaturperioden gab es immerhin eine Finanz- und eine Staatsministerin. Außerdem wurden vier der 128 Sitze im Parlament von weiblichen Abgeordneten gehalten. Auch die Ministerien für Bildung, Soziales, und Industrie waren in der Vergangenheit bereits von Frauen geleitet worden. Ein Wahlrecht haben die Libanesinnen seit 1952.


Von klein auf diskriminiert

Dass Frauen politisch unzureichend repräsentiert werden, sieht Farah Salka von der Frauenbewegung 'Nasawija' nur als die Spitze des Eisbergs. "Wir leben in einem Land, in dem die unveräußerlichen Rechte von Frauen überall von Männern in Machtpositionen verletzt werden", kritisierte sie. "Man versucht uns schon als Kinder einzutrichtern, dass wir mit dem Status Quo zufrieden sein sollten." Wenn Frauen aus dem Kabinett hinausgedrängt würden, spiegele dies den Alltag der Libanesinnen eindrucksvoll wider.

Selbst wenn Mikati Ministerinnen an seine Seite geholt hätte, gäbe es im Libanon in Sachen Gleichberechtigung noch viel aufzuholen. Zwar sieht die Staatsverfassung gleiche Rechte für Männer und Frauen vor. Außerdem hat das Land die UN-Frauenrechtskonvention CEDAW und andere Abkommen zur Beseitigung der Geschlechterdiskriminierung ratifiziert.

Dennoch gelten weiterhin viele Gesetze, die Frauen Männern unterordnen. Im Libanon ist es Frauen beispielsweise untersagt, ihre Staatsangehörigkeit an ihre Kinder weiterzugeben. Männer, die Verbrechen im Namen der 'Ehre' begehen, können mit milden Strafen rechnen. Bis 2009 durften Frauen in dem Land keine Bankkonten eröffnen. Und erst kürzlich wies der höchste Repräsentant der muslimischen Sunniten, Großmufti Scheich Mohammad Kabbani, einen Gesetzentwurf zurück, der Frauen vor häuslicher Gewalt schützen sollte. Kabbani verurteilte den Vorstoß als "Gefahr aus dem Westen für die islamischen Familienwerte."

Die Regierung ist darauf angewiesen, das schwierige Gleichgewicht zwischen den 17 verschiedenen Konfessionen im Land aufrecht zu erhalten. Die großen politischen Parteien sind in ihrer Haltung zum Glauben tief gespalten.

"Parteiinteressen haben in der libanesischen Politik immer eine wichtigere Rolle gespielt als Fragen der Gleichbehandlung", sagte Nadya Khalife von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch'. Sie ist davon überzeugt, dass die Sorge um die religiösen Belange auf Kosten der Gleichberechtigung von Frauen ging. Die wenigen Libanesinnen, die Ministerposten ergattert hätten, verdankten dies familiären Kontakten. Persönliche Qualifikationen und die Achtung der Frauenrechte hätten keinen Einfluss gehabt.

Auch Abu-Habib ist der Ansicht, dass die starke Ausrichtung der libanesischen Politik auf die Religion die Teilhabe der Frauen am politischen Leben begrenzt: "Je mehr Macht die Konfessionen erhalten, desto mehr Macht geht den Frauen verloren." Religionsgerichte im Libanon entscheiden etwa über die Anwendung von Personenstandsgesetzen. Bei der Regelung von Scheidungen, Erbschaftsangelegenheiten oder des Sorgerechts für Kinder sind Frauen häufig im Nachteil.


Großer Einfluss der Religion drängt Frauen in eine Nische

Beobachter machen insbesondere das konfessionelle System dafür verantwortlich, dass der Libanon im Vergleich mit anderen arabischen Staaten Frauen nur eine geringe politische Partizipation einräumt. 2009 übten nur 3,1 Prozent der Libanesinnen ein politisches Amt aus. In mehreren Nachbarländern, die als wesentlich konservativer gelten, sah das Verhältnis jedoch anders aus. In Syrien bekleideten demnach 12,4 Prozent, im Irak 25,2 Prozent und in Kuwait 7,7 Prozent der Frauen politische Ämter.

Die jüngsten Volksaufstände in der arabischen Welt im Frühjahr haben den Frauen offensichtlich nur wenig genutzt. Obgleich sich viele Ägypterinnen an den erfolgreichen Demonstrationen gegen das ehemalige Regime von Hosni Mubarak beteiligt hatten, kam nur eine Frau in das 27-köpfige Kabinett. Eine im Jahr 2010 beschlossene Frauenquote wurde inzwischen auf Eis gelegt.

In Tunesien besetzten Frauen früher mehr als ein Viertel aller Parlamentssitze. Inzwischen sind sie aber auch dort zurückgedrängt worden. Lediglich zwei der insgesamt 31 Ministerien sind in weiblicher Hand. Die Frauenbewegung in der arabischen Welt sei naiv gewesen zu glauben, die alten Zeiten seien vorüber, meinte Abu-Habib ernüchtert. Organisationen wie CRTD-A stehen ihrer Ansicht nach vor wesentlich größeren Herausforderungen als bisher. Dazu trage auch das Erstarken fundamentalistischer religiöser Gruppen in der Region bei. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2011