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NAHOST/946: Israels Mauer gefährdet mögliches UNESCO-Kulturerbe im Westjordanland (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Oktober 2012

Nahost: Israels Mauer gefährdet mögliches UNESCO-Kulturerbe im Westjordanland

von Jillian Kestler D'Amours


Eisenbahnstrecke nahe Battir im Westjordanland - Bild: © Jillian Kestler D'Amours/IPS

Eisenbahnstrecke nahe Battir im Westjordanland
Bild: © Jillian Kestler D'Amours/IPS

Battir, Westjordanland, 4. Oktober (IPS) - Seit 1890 gibt es die Eisenbahnlinie zwischen Jaffa und Jerusalem, die Hügel mit Ölbäumen und Pinien umrundet und am Fuß des historischen Palästinenserdorfes Battir eine U-Kurve beschreibt. Weiter oben führt eine von israelischem Militär bewachte Straße nach Jerusalem.

Auf dem angrenzenden Hügel versorgt ein Bewässerungssystem aus römischer Zeit die Terrassenplantagen mit Wasser. Hier gedeihen Olivenbäume, Auberginen- und Paprikastauden. Dutzende Steinhäuser drängen sich auf dem Kamm des Hügels zusammen und bilden die Ortschaft Battir, die durch eine gewundene Straße mit Bethlehem und anderen Teilen des südlichen Westjordanlandes verbunden ist.

Doch nach den Plänen Israels soll der Grenzwall zum Westjordanland in dieses Gebiet hinein verlängert werden. "Es geht nicht allein um das Land. In diesem Boden ruht ein kulturelles Erbe", sagt der 27-jährige Hassan Muammar aus Battir, der in einem Museum arbeitet, das über die gewachsene Landschaft rund um das Dorf informiert. "Auch Landschaft und Natur werden leiden, wenn die Mauer in dieser Gegend gebaut wird."

Etwa 5.000 Palästinenser leben zurzeit in dem Dorf, das im besetzten Westjordanland südlich von Jerusalem liegt. Battir wird zu zwei Dritteln dem Gebiet C zugerechnet, das nach den Osloer Abkommen unter der vollständigen militärischen und zivilen Kontrolle Israels steht. Die Dorfbewohner befürchten, dass die Mauer ihnen den Zugang zu einem Drittel ihres Ackerlandes versperrt. Sie sind gegen die Pläne Israels vor ein israelisches Gericht gezogen und warten auf eine Entscheidung.

"Dieses Land ist sehr wichtig. Hier wachsen vor allem Ölbäume, Obst und Gemüse. Die Menschen bestreiten davon ihre Existenz", sagt Muammar.


Israelische Umweltbehörde lehnt Grenzwall ab

Mitte September berichteten die israelischen Medien, dass sich zum ersten Mal eine Behörde ihres Landes gegen den Trennwall ausgesprochen hat. Die Behörde für Umwelt und Parks (INPA) soll dem Projekt ihre Unterstützung mit der Begründung entzogen haben, die Mauer schade nicht nur den Einwohnern von Battir, sondern auch der Landschaft und den dort wild lebenden Tieren.

"Gleich wie weit die Abgrenzung an uns heranreicht - sie wird ein fremdes Element inmitten der Felder sein und die Dörfer von den Anbauflächen trennen, die teils durch natürliche Quellen bewässert werden", schrieb INPA einem Bericht der Tageszeitung 'Ha'aretz' zufolge an das israelische Verteidigungsministerium.

"Das Gebiet muss geschützt werden, weil Battir und Umgebung alle Kriterien erfüllen, um als Welterbe anerkannt zu werden", sagt auch Giovanni Fontana Antonelli, der für die UN-Kulturorganisation UNESCO in Ramallah arbeitet.

Palästina wurde im November vergangenen Jahres in die UNESCO aufgenommen. Die Geburtskirche in Bethlehem, wo der Überlieferung nach Jesus geboren wurde, ist Anfang des Jahres als erster Ort in die Liste der Weltkulturgüter aufgenommen worden. Antonelli zufolge überlegt die Autonomiebehörde in Ramallah noch, ob sie Battir als UNESCO-Welterbe vorschlagen soll. Die Frist endet am 1. Februar 2013.

"Die nächsten drei Monate werden entscheidend sein", sagt Antonelli. "Die Mauer würde irreversible Folgen für Battir haben. Es ist allerdings möglich, diesen Schaden durch Verhandlungen abzuwenden, die den Schutz kultureller Errungenschaften zum Ziel haben. Die Landschaft verdient mehr Aufmerksamkeit und hat ein noch unerforschtes Potenzial."


Riesiger Landverlust durch Mauer

Israel begann 2002 mit dem Bau des Grenzwalls. Die immer noch im Bau befindliche Mauer wird sich den Plänen zufolge über 700 Kilometer erstrecken. Zu 85 Prozent soll sie innerhalb des Westjordanlandes verlaufen. Wie die palästinensische Menschenrechtsorganisation 'Al Haq' erklärte, wird sie bei ihrer Fertigstellung 530 Quadratkilometer palästinensischen Landes okkupieren. Dies entspricht einer Fläche von der Größe Chicagos, der drittgrößten Stadt der USA.

2004 befand der Internationale Strafgerichtshof, dass der Grenzwall gemäß dem Völkerrecht illegal ist. Israel wurde empfohlen, von einer Fortsetzung der Bauarbeiten abzusehen, die Palästinenser zu entschädigen und die bereits errichteten Abschnitte abzureißen.

Für die Einwohner von Battir ist das Gerichtsurteil nur ein schwacher Trost. Sie wollen so bald wie möglich Klarheit darüber haben, ob die Mauer ihre traditionell bewirtschafteten Felder, die historisch gewachsene Landschaft und ihr Dorf durchschneiden wird. (Ende/IPS/ck/2012)


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http://whc.unesco.org/
http://www.ipsnews.net/2012/10/wall-threatens-to-cut-through-history/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 4. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2012