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NAHOST/990: Ägypten - Politikum Nil-Wasserkrise (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Juni 2013

Ägypten: Politikum Nil-Wasserkrise - Präsident will im Streit mit Äthiopien Gegner im Inland zum Schweigen bringen

von Adam Morrow und Khaled Moussa al-Omrani


Bild: © Khaled Moussa al-Omrani/IPS

Der Streit um das Nilwasser ist in Ägypten zurzeit ein heißes politisches Thema
Bild: © Khaled Moussa al-Omrani/IPS

Kairo, 25. Juni (IPS) - Seit Äthiopien im Mai einen Abschnitt des Nils umgeleitet hat, ist das Verhältnis zwischen Kairo und Addis Abeba stark belastet. Die islamistische ägyptische Regierung und die säkulare Opposition nutzen das Streitthema dazu, ihren Schlagabtausch zu intensivieren.

"In Ägypten, das zurzeit in zwei Lager gespalten ist, wird die Krise von beiden Seiten ausgeschlachtet", sagt Ayman Shabaana vom Institut für Afrika-Studien in Kairo. "Sowohl der Regierung als auch der Opposition dient die kritische Frage der Sicherheit des Nils dazu, ihre eigene Popularität zu steigern, indem sie die Kriegstrommeln rühren. Konkrete Maßnahmen zur Lösung des Problems werden dagegen nicht ergriffen."


Mega-Nilkraftwerk in Äthiopien geplant

Äthiopien hatte am 28. Mai begonnen, den Lauf des Blauen Nils, eines der beiden Hauptstränge des Stromes, zu verändern. Der Nil in Ägypten bezieht aus diesem Arm den größten Teil seines Wassers. Grund für die Maßnahme sind Pläne Äthiopiens, ein riesiges Wasserkraftwerk im Wert von 4,2 Milliarden US-Dollar zu bauen. Der 'Grand Renaissance Dam' soll mit einer Produktionskapazität von 6.000 Megawatt Strom die größte Wasserkraftanlage Afrikas werden.

Ägypten befürchtet nun Nachteile für seinen Teil des Nilabschnitts. Die Regierung in Kairo reagierte empört auf die Pläne, und ägyptische Zeitungen warnten auf den Titelseiten vor einer "unmittelbar bevorstehenden Bedrohung" der Wassersicherheit.

Staatspräsident Mohammed Mursi und Vertreter aller politischen Parteien des Landes ließen unverzüglich verlauten, den Zugang Ägyptens zum Nilwasser zu verteidigen. Auf einer Konferenz am 11. Juni, deren Teilnehmer dem islamistischen Lager angehörten, mahnte Mursi ein diplomatisches Vorgehen an, erklärte aber zugleich, dass "alle Optionen" offengehalten würden.

"Wir fordern keinen Krieg, werden es aber niemals zulassen, dass unsere Wassersicherheit gefährdet wird", sagte der Präsident, der gleichzeitig zu einer "nationalen Versöhnung" aufrief. Er hielt die rivalisierenden politischen Lager dazu an, ihre Differenzen außer Acht zu lassen, um gemeinsam gegen die Bedrohung anzugehen.

Mursis Aufruf zur nationalen Einheit kam kurz vor den angekündigten Massendemonstrationen am 30. Juni. Ein Jahr nach dem Amtsantritt des Staatschefs verlangen seine Kritiker, dass er seinen Platz räumt und damit den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen freimacht. Mursi hatte bei den Wahlen seinen Herausforderer Ahmed Shafiq, den letzten Regierungschef unter Diktator Husni Mubarak, nur knapp geschlagen. In einem am 22. Juni in der staatlichen Presse veröffentlichten Interview gab er sich trotz des politischen Drucks entschlossen, bis zum Ende seiner regulären Präsidentschaft im Amt zu bleiben.

An der Spitze der Protestierenden steht die Kampagne 'Tamarod' (Meuterei), die Unterschriften sammelt, um dem Präsidenten das Vertrauen entziehen zu lassen. Die Organisatoren erklärten, sie hätten bereits Unterstützung von 15 Millionen Bürgern erhalten.

Die geplanten Kundgebungen mit Hunderttausenden erwarteten Teilnehmern werden von fast allen nicht-islamistischen Parteien und politischen Bewegungen gutgeheißen, so auch von dem größten Oppositionsbündnis Nationale Heilsfront (NSF). Mursis Gegner beschuldigen ihn, den Streit um den Staudamm zu missbrauchen, um von seinem eigenen politischen Versagen abzulenken und den Enthusiasmus der Bevölkerung für die bevorstehenden Demonstrationen zu dämpfen.


Laut Opposition fürchtet Mursi einen Umsturz

"Mursi und seine Leute machen sich Sorgen", sagte der Organisator der Tamarod-Kampagne, Mohamed Abdel-Aziz Mitte Juni gegenüber den staatlichen Medien. "Sie befürchten, dass die Unterstützung des Volkes für die Kampagne und unsere Fähigkeit, am 30. Juni die Massen auf die Straße zu bringen, zum Sturz des Präsidenten führen könnten." Laut Abdel-Aziz bedient sich Mursi der Wasserkrise, um gegen den Verlust seiner Popularität und die zunehmende Unzufriedenheit unter den Ägyptern anzukämpfen.

Auch der Sprecher der sozialdemokratischen Partei Ägyptens, Shehab Waguih, sieht Mursis Einheitsappell als "Manöver", um den Zorn der Öffentlichkeit von seinen Schwächen abzulenken. Dazu gehöre auch sein Unvermögen, mit Bedrohungen der nationalen Sicherheit umzugehen, zu denen auch das äthiopische Staudammprojekt zähle.

Shabaana beanstandet hingegen auch das Vorgehen der Opposition, die seiner Ansicht nach den angeschlagenen Präsidenten und die islamistische Muslimbruderschaft mit unfairer Kritik überhäufe. Konstruktive Empfehlungen hätten Mursis Gegner nicht zu bieten, erklärte er und forderte beide Seiten auf, bei der Suche nach Lösungen Hand in Hand zu arbeiten.

"Anstatt dass die Opposition Mursi wegen seiner Fehler angreift, sollte sie eher die Interessen der ägyptischen Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft verteidigen", erklärte Tarek Fahmi, der Politologie an der Universität von Kairo lehrt. "Dies sind positive Schritte, die unabhängig von diesem Präsidenten und seiner Regierung ergriffen werden können."

Mursi ist in seinem Land allerdings alles andere als isoliert. Am 21. Juni kamen Hunderttausende seiner Anhänger zu Kundgebungen im Kairoer Distrikt Nasr City zusammen, um ihr "Nein zu Gewalt" zu bekunden. Denn viele rechnen damit, dass es am 30. Juni zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen wird. (Ende/IPS/ck/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/06/egypt-sees-a-dam-confrontation/

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IPS-Tagesdienst vom 25. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2013