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NAHOST/997: Israel - "Regierung führt verlorenen Kampf", Friedensbewegung boykottiert Siedlungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Juli 2013

Israel: "Regierung führt verlorenen Kampf "- Friedensbewegung boykottiert Siedlungen

Von Pierre Klochendler


Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Die jüdische Siedlung Ariel wird erweitert
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Ariel, Westjordanland, 23. Juli (IPS) - Während die Europäische Union angesichts der fortgesetzten israelischen Siedlungspolitik mit neuen Richtlinien dafür sorgen will, dass die illegalen israelischen Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten nicht länger mit EU-Geldern versorgt werden, treiben israelische Anhänger einer Zwei-Staaten-Lösung eine eigene Boykott-Kampagne gegen die jüdische Siedlung Ariel im Westjordanland voran.

Die EU hat offiziell angekündigt, dass die Mitglieder ab dem 30. Juli dazu angehalten sind, zwischen dem Israel vor dem Sechstagekrieg 1967 und den besetzten Palästinensergebieten zu unterscheiden. Die EU-Direktive verbietet jede finanzielle Unterstützung oder eine Zusammenarbeit mit den jüdischen Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem. In künftigen Abkommen mit Israel wird festgelegt sein, dass diese Siedlungen kein Teil des israelischen Staates sind und somit nicht in den Genuss von Vorzügen durch die Verträge kommen werden.

Im Juni hatte sich das Unternehmen McDonald's in Israel geweigert, ein Restaurant im ersten Shopping-Center in der 20.000-Einwohner-Stadt Ariel zu eröffnen. Franchise-Unternehmer der Kette mit 170 Lokalen in Israel, von denen etwa 40 koschere Gerichte anbieten, ist Omri Padan, einer der Gründer der Bewegung 'Peace Now'.


Kontroverse über Boykottmaßnahmen

Der Vorsitzende der Gruppe, Yariv Openheimer, bezeichnete beide Entscheidungen als "moralisch richtig und legitim". Die israelische Regierung "führt einen verlorenen Kampf gegen die weltweite Überzeugung, dass die Besatzung enden muss", sagte er. "Israel kann weder Einzelpersonen noch Firmen oder Diplomaten dazu zwingen, sich an den Siedlungsaktivitäten zu beteiligen."

In Ariel ist man jedoch anderer Meinung. "Wir sind gegen den Boykott", sagte Bürgermeister Eliyahu Shaviro. Ariel ist zugleich die viertgrößte israelische Siedlung im Westjordanland. Der Rat der Jüdischen Gemeinden von Judäa und Samaria, die Dachorganisation der Siedler im Westjordanland, verlangt, "dass alle europäischen Projekte für Palästinenser gestoppt werden, bis die EU ihre einseitige Entscheidung zurücknimmt."

Openheimer ist allerdings nicht der Ansicht, dass die EU Israel boykottiert. "Auch viele Israelis sind mit dem Siedlungsbau nicht einverstanden. Sie kaufen von dort keine Waren, vor allem nicht mehr, seit die Friedensgespräche 2010 einen toten Punkt erreicht haben."

Viele israelische Friedensbefürworter sind nicht mit den Boykott-,Deinvestitions- und Sanktionsforderungen, die sie gegen ihr Land gerichtet sehen, einverstanden. Dennoch ist in Israel eine Boykott-Kampagne im Gang, die auf Siedlungen wie Ariel abzielt.

Bereits 2011 hatten 145 Akademiker auf Pläne zum Ausbau der Siedlung Ariel mit der der Ankündigung reagiert, die dortige Hochschule mit rund 18.500 Studenten und Beschäftigten zu boykottieren. Doch vor sechs Monaten erkannte die Regierung die Universität offiziell an. Mehrere Schauspieler, Autoren und Regisseure weigern sich zudem, für das Zentrum für Darstellende Künste tätig zu werden, das vor drei Jahren eröffnet wurde. Firmen wie 'Barkan Winery', 'Multilock' und 'Bagel-Bagel', die nahe Ariel im größten Industriegebiet des Westjordanlands hergestellte Waren exportierten, haben inzwischen die Standorte ihrer Fabriken verlegt.

"Die Araber könnten erneut gewalttätig werden, wenn sie arbeitslos sind", warnt Bürgermeister Shaviro. "Wir dürfen Bildung, Kultur und Unternehmen keinen Schaden zufügen. Stattdessen sollten wir die Koexistenz und das soziale Gefüge hier bewahren."

Doch Openheimer zufolge missbrauchen die Siedler die Palästinenser als billige und quasi rechtlose Arbeitskräfte. "Aus der misslichen politischen Lage schöpfen sie satte Profite." Die Einwohner von Ariel selbst sieht der Aktivist aber nicht als ideologisch verbohrt. "Es sind ganz normale Israelis, die wegen des günstigeren Wohnraums hierhergezogen sind. Sie wenden viel Energie auf, um ein Symbol für Normalität zu schaffen, so als sei Ariel wie Tel Aviv, Die meisten Israelis betrachten die Siedlungen daher als Teil ihres Landes, obwohl das nicht stimmt."


Siedlung "im Herzen des nationalen Konsenses"

"Der Staat hat uns hierher geschickt", meint dagegen Shaviro. "Wir befinden uns tief im Herzen des nationalen Konsenses. Wenn jemand nicht nach Ariel kommen will, leben wir sehr gut ohne ihn."

Nachdem der ehemalige Ministerpräsident Ariel Scharon vor acht Jahren unilateral entschieden hatte, Soldaten und Siedler aus dem Gazastreifen abzuziehen, erklärte der damalige US-Präsident George W. Bush, dass es "unrealistisch" sei zu erwarten, dass eine vollständige Rückkehr zu den Grenzen vor 1967 ausgehandelt werden könne.

Bush sprach in dem Schreiben von bereits existierenden "größeren israelischen Bevölkerungszentren". Politische Beobachter leiteten daraus ab, dass die USA im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung wahrscheinlich einer israelischen Annexion der jüdischen Viertel von Ost-Jerusalem und aller vier großen Siedlungen einschließlich Ariel zustimmen würden. Wenn Ariel aber Israel zugeschlagen würde, wäre die Siedlung wie ein trennender Finger in der Mitte des künftigen Staates Palästina. Openheimer glaubt, dass sich die Erbauer von Ariel 1978 bereits ihrer Macht bewusst gewesen seien, einen palästinensischen Staat zu verhindern.

Der jetzige US-Präsident Barack Obama hat Bushs Brief nie gutgeheißen. Stattdessen erklärte er 2011, dass die Grenzen zwischen Israel und Palästina auf der Waffenstillstandslinie von 1967 gründen sollten und dass Gebietstausche möglich seien. Die Siedlungen erwähnte er jedoch nicht. In Ariel befinden sich derweil 650 neue Wohnhäuser im Bau. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/07/when-israelis-boycott-a-settlement/

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IPS-Tagesdienst vom 23. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2013