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OSTEUROPA/269: Ukraine - Parlamentsitzungen vom 17. bis 10. Februar 2009 (Queck/Falkenhagen)


Die jüngsten Vorgänge in der Ukraine im Zusammenhang mit den Parlamentssitzungen vom 17. bis 20. Februar 2009

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, Februar 2009


Die jüngsten Vorgänge in der Ukraine machten das Ausmaß der Weltfinanz- und - wirtschaftskrise für dieses Land deutlich. Staatspräsident Viktor Juschtschenko hat in einer Stellungnahme unter dem Titel "Die makroökonomischen Kennziffern für 2009 müssen revidiert und den realen wirtschaftlichen Bedingungen angepasst werden" auf die großen Schwierigkeiten des Landes hingewiesen, wobei er das offensichtlich mit der Absicht verband, das Ansehen seiner Rivalin, der Premierministerin Julija Timoschenko, weiter herabzusetzen. Viktor Juschtschenko sagte, dass der Staatshaushaltsplan für 2009 eine Fiktion sei. Frau Timoschenko hält indes an den Eckzahlen dieses Staatshaushaltsplanes fest und hat im Parlament nur geringe Etatveränderungen beantragt. Sie will insbesondere das Infrastruktur- und Sozialprogramm durchsetzen und steht hier bereits im Widerspruch zu den Forderungen des IWF, der hier stringente Kürzungen vor allem im Sozialbereich fordert und das an die Gewährung der nächsten Tranche des IWF-Kredites bindet. Viktor Juschtschenko hingegen steht hinter den IWF-Forderungen. Er meint im Gegensatz zur ukrainischen Ministerpräsidentin, dass die starre Haltung der ukrainischen Regierung die Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise erschwere und Ursache des beunruhigenden Abfalls des BIP und der Industrieproduktion sei. Nach seinen Worten hält der Rückgang der Industrieproduktion schon seit 6 Monaten in Folge an. Im Januar habe sie ein Minus von 34,1% gegenüber Januar 2008 erreicht. Die Produktion des Maschinenbaus und der Nichtmetallindustrie habe sich in diesem Zeitraum halbiert. Die Kennziffern für die Metallurgie sanken um 46 %, die der chemischen Industrie um 49,1% und die der Bauproduktion sanken um 57,6 % ab. Der Fall der Preise auf den Weltmärkten führte zur Senkung der ukrainischen Produktion, vor allem in den exportorientierten Z weigen, voran in der Metallurgie sowie Metall- und Chemieindustrie. Durch die Erhöhung der Preise für Erdgasimporte um das 3,5 Fache können die Gastarife in den ukrainischen Kommunen nicht billiger als in Russland sein, erklärte Juschtschenko. Derzeit würden die Gaspreise für die Bevölkerung um 72,6% gestützt Das ergäbe sich aus den Berechnungen für Januar/ 1. Dekade Februar 2009. Diese Subventionen seien unhaltbar. Die Gastarife für die Bevölkerung müssten ökonomisch begründet sein, erklärte Juschtschenko.

Angesichts dieser Situation und eines erkennbaren Bestrebens des Staatspräsidenten, die Ukraine am Rande eines Staatsbankrotts zu sehen (Finanzminister Viktor Pinsenik hat bereits seien Rücktritt eingereicht) sollte unseres Erachtens Frau Timoschenko dringend das Bündnis mit der Partei der Regionen, die mit175 Abgeordneten die stärkste Fraktion im Parlament stellt, suchen und sie in eine große Koalition einbeziehen, anstellte nur die Regierung um die Litwin-Fraktion erweitern und sich weiter "Unsere Ukraine", dem Block des Präsidenten, anzubiedern. Sollte Frau Timoschenko darauf spekulieren, dass die gegenüber Juschtschenko kritisch eingestellten Abgeordneten der Fraktion "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" zusammen mit den 156 Abgeordneten ihres Blocks und den 20 Abgeordneten des Litwin-Blocks für eine stabile Regierung unter ihrer Führung ausreichen würden, könnte sie sich irren. Die ukrainische Ministerpräsidentin würde die feste und nachhaltig verlässliche Unterstützung von mindestens 50 Abgeordneten der insgesamt 72 Abgeordneten des Blocks "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" benötigen und das steht in Frage. Erst jüngst haben die Juschtschenko-Leute eine neue Attacke gegen die Premierministerin Timoschenko gestartet. Das Außenministerium der Ukraine, das gemäß der Präsidentenquote in der Regierung von dem Juschtschenko-Mann Wolodimir Ogrisko geführt wird, hat ihre Botschafter beauftragt, die Auswärtigen Ämter der ausländischen Staaten über die Details einer Sitzung des "Rats für nationale Verteidigung und Sicherheit" (ein Präsidentenorgan, in dem Juschtschenko als Vorsitzender fungiert), die den Erdgasverträgen mit Russland gewidmet war, zu informieren. Die ukrainischen Diplomaten sollten offizielle Personen auf höchster Ebene über die Grundthesen des Briefings des 1. Stellvertreters des "Rats für nationale Verteidigung und Sicherheit", Stefan Gawrisch, über die am 10. Februar stattgefundene Sitzung des Rats in Kenntnis setzen. Gawrisch erklärte, dass die Premierministerin Timoschenko das Gesetz verletzt habe. Nach seinen Worten hätten die von ihr unterschriebenen Abkommen mit Russland über die Gaslieferungen und ihre Erklärung dazu im höchsten Grade zu einer Bedrohung der Energiesicherheit der Ukraine geführt. Diese "Information", die jeglicher sachlicher Grundlage entbehrt, wurde u.a. auch in der Wochen-Zeitung "Russkij Berlin" vom 23.2. - 1.3.09 im Teil Odna Schestaja veröffentlicht. Damit will Juschtschenko offenbar - vor allem im Interesse der USA - einen Keil zwischen Russland und der Ukraine treiben.

Die Parlamentsitzungen vom 17. bis 20. Februars haben noch nicht zu einer Neubildung der Regierung, auch nicht zu einer Auswechselung von Ministerposten und zu einer Koalitionserweiterung geführt.

Erfolgreich war zwar die legislative Arbeit, indem 25 Gesetze sowie 57 Verordnungen und Beschlüsse mit teils großer Mehrheit verabschiedet wurden, darunter 12 Gesetze zur Ratifizierung internationaler Verträge, sowie dazugehöriger 15 Grundlagengesetzesprojekte. Abgelehnt wurde u.a. mit Rücksicht auf die Finanzkrise eine Änderung des Gewinnsteuergesetzes.

Eine besondere Rolle kam einem mit 343 Stimmen beschlossenen Antikorruptionsgesetz, einem Gesetz zur besseren Abgrenzung der Wahlkreise und dem Gesetzesprojekt über die Stellung und die Funktionen der Kosaken zu. In der Ukraine bestehen mehr als 700 Kosakenorganisationen, die auch als Militäreinheiten fungieren, traditionsgemäß Waffenträger sind und zudem bei der Erziehung der Jugend eine wichtige Rolle spielen. Juschtschenko bemüht sich intensiv darum, die Kosaken unter seine Regie zu bringen, auch weil sie bei internationalen Konflikten eine große Rolle spielen könnten. Hier hat Juschtschenko aber auch als Vertreter von USA- und NATO-Interessen große Schwierigkeiten, weil sich Kosaken prinzipiell gegen dominierende ausländische Einflüsse wehren. In dieser Richtung traten diese z. B. bei der Verhinderung der Anlandung amerikanischer Truppen auf der Krim im Jahre 2006 in Aktion. Man kann sich Kosakenregimenter folglich kaum als NATO-Einheiten vorstellen.

Es gab am 17. Februar einen Misstrauensantrag, getragen von 151 Abgeordneten, ausgerechnet gegen den von der Fraktion der Partei der Regionen gestellten 1. Stellvertreter des Parlamentsvorsitzenden Olexandr Lawrinowitsch. Er fand die Zustimmung von 209 Abgeordneten und verfehlte damit die Mehrheit von mindestens 226 Stimmen. Das ist aber bezeichnend für die bestehenden politischen Konfrontationslinien.

Dem Staatspräsidenten, der wieder nicht im Parlament erschienen war, gelangen wiederum Tricks zur Umgehung von für ihn ungünstigen Parlamentsentscheidungen. Schon seit über einem Jahr befindet sich der Chef des Sicherheitsdienstes der Ukraine (Geheimdienstes) verfassungswidrig im Amt. Er fungiert nur provisorisch mit einer genau genommen ungesetzlichen Ernennungsurkunde des Staatspräsidenten. Seine in der ukrainischen Verfassung vorgesehene Bestätigung durch das Parlament ist nicht erfolgt. Sie ist längst überfällig. Am 19. Februar 2009 sollte nun das Parlament über die Besetzung dieses Amts entscheiden. Dazu hätte der Staatspräsident im Parlament die Zustimmung zur endgültigen Ernennung von Valentin Nalivajtschenko beantragen müssen. Doch das wurde von ihm umgangen, indem er zuerst einen Antrag auf Berufung von Valentin Nalivajtschenko stellte, und ihn dann kurz vor der Abstimmung zurückzog. Er verhinderte dadurch, dass das Parlament mehrheitlich eine andere Person für dieses Amt vorschlagen konnte, die dann der Präsident laut den Bestimmungen der Verfassung hätte ernennen müssen. So konnte er weiter seinen Vertrauten Nalivajschenko im Amt des Geheimdienstchefs halten. Ein ähnliches Spiel betreibt der Staatspräsident um die Neubesetzung des Amts des Nationalbankpräsidenten. Gegenwärtig hält Juschtschenko gegen den Willen einer überwältigenden Parlamentsmehrheit seinen Vertrauten Stelmach in diesem Amt, weil er die Leitung der Geldpolitik der Ukraine weiter unter seiner persönlichen Regie halten will. Das ist aber nur möglich, wenn seine Marionette Stelmach im Amt bleibt. Juschtschenko verhinderte auch wieder die Annahme eines Gesetzes, das die parlamentarische Kontrollrechte über die Nationalbank erweitert hätte. Juschtschenko begründete dies mit dem Argument, dass dies im Widerspruch zur ukrainischen Verfassung stünde, was nun vom Verfassungsgericht geprüft werden soll. Die nächste Sitzung des Parlaments ist für den 3. März 2009 anberaumt.


Quellen:
www.rada.kiev.ua vom 17. - 22. Februar 2009
www.president.gov.ua/news/12969.html

Originalartikel veröffentlicht am 26.2.2009 auf Tlaxcala:
http://www.tlaxcala.es/pp.asp?reference=7120&lg=de


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Quelle:
Copyright by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2009