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OSTEUROPA/276: Ist in der Ukraine bereits ein Staatsstreich im Gange? (Queck, Falkenhagen, Bekenjow)


Ist in der Ukraine bereits ein Staatsstreich im Gange?

Von Brigitte Queck, Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen, Berlin und
Andrej Bekenjow, St. Petersburg - 08.05.09


Wenn man die Einschätzungen der polnischen Zeitung "Gazeta wyborcza", bzw. der tschechischen Zeitung "Mlada Ukrajina" über die Ukraine liest, könnte man meinen, in der Ukraine sei alles in Ordnung. So wird dort voller Befriedigung darauf hingewiesen, dass in der Ukraine zwischen der Partei der Regionen von Viktor Janukowitsch und dem Block der derzeitigen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko Verhandlungen über eine gemeinsame Koalition geführt werden. Eine Koalition zwischen der Partei der Regionen und dem Block Timoschenko im Parlament würde bedeuten, dass beide dann über eine satte Zwei- Drittelmehrheit im Parlament verfügen würden. Sie könnten damit auch eine Verfassungsänderung durchsetzen, die die Machtbefugnisse Juschtschenkos zu Gunsten der Regierung einschränken würde.

Der ukrainische Staatspräsident Juschtschenko, der im Rahmen der "orange Revolution" in der Ukraine an die Macht gekommen ist, hat nach Umfragewerten lediglich noch 5 % der Bevölkerung hinter sich.

Am 31. März 2009 hatte Juschtschenko in Anwesenheit aller hochrangigen Vertreter von Staat und Wirtschaft, sowie des diplomatischen Corps eine Rede an die Nation gehalten, deren Kernpunkt die Verkündung einer Verfassungsreform war, die voll seinen Machtambitionen, auch weiterhin Präsident des Landes zu bleiben und "den Erfordernissen des Beitritts der Ukraine zum westlichen Bündnissystem NATO und EU" entspricht.

Da aber ohne Volksabstimmung ein Beitritt zur EU, oder gar NATO, verfassungsmäßig nicht zulässig wären, will Juschtschenko über eine Verfassungsreform das Parlament quasi entmachten.
Zu diesem Zweck schlug er ein Zwei-Kammersystem des Parlaments vor, das aus der Abgeordneten- Kammer und dem Senat bestehen solle.

Die Abgeordneten- Kammer würde aus 300 in allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen für 4 Jahre gewählten Volksvertretern bestehen, während der Senat" pro territorialer Einheit" für 6 Jahre gewählt würde. Dabei sollten die Rechte der Abgeordneten-Kammer durch sehr weitgehende Befugnisse des Senats beschnitten werden. Juschtschenko würde als Staatspräsident selbst festlegen, wer in diesen territorialen Einheiten für den Senat kandidieren darf. Der Senat wäre somit Erfüllungsgehilfe des Staatspräsidenten. Der Senat wiederum bekäme weitgehende Vollmachten des Präsidenten, die von der Abgeordneten-Kammer beschlossenen Gesetze abzulehnen.
Selbst eine Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten zu Gesetzen und Beschlüssen der Abgeordneten-Kammer könnten so durch den Senat im Interesse des Staatspräsidenten verhindert werden.

Juschtschenko hätte über eine neue Verfassungsreform die Rechtsorgane, die gesetzgebenden Organe, den Staatsbankpräsidenten, dessen Vorhaben ebenfalls pro Forma nur der Zustimmung des Senats bedürften, in seiner Hand. Gemäß dieser Verfassungsreform würde der ukrainische Staatspräsident Oberkommandierender aller bewaffneten Organe sein, würde selbständig, ohne Zustimmung des Parlaments internationale Verträge unterzeichnen können und würde den Vorsitzenden des In- und Auslandsgeheimdienstes, den Staatsbankchef, ja sogar den Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission, bestimmen dürfen.

Die Entscheidungsrechte des Präsidenten, die in der jetzt geltenden ukrainischen Verfassung schon sehr groß sind, würden so noch erheblich erweitert werden. Von einer so genannten Unabhängigkeit der Justiz könnte dann keine Rede mehr sein. Der Präsident erhielte mit dieser neuen Verfassungsreform z. B. das alleinige Recht, über den Aufenthalt ausländischer Militärverbände auf ukrainischem Boden zu entscheiden. So könnte er NATO-Truppen schon vor einem offiziellen Beitritt der Ukraine zur NATO ins Land rufen und auf ukrainischem Boden stationieren, ohne, wie jetzt noch, das Parlament oder die Regierung um Zustimmung ersuchen zu müssen. Sein Recht zur Auflösung gewählter Körperschaften, das sich Juschtschenko schon jetzt anmaßt, würde zum Absolutum erhoben werden. Die Volksvertretung in Form eines echten Parlaments wäre quasi ausgehebelt. Ein Impeachmentverfahren (Amtsenthebungsverfahren) gegen den Staatspräsidenten durch die Abgeordnetenkammer wäre praktisch nur noch möglich, wenn der Staatspräsident selbst das Handtuch werfen würde, d. h. aus eigenen Stücken aufgäbe.

Der Abgeordneten-Kammer würde gerade noch das Recht zugestanden werden, den Vorsitzenden des Rechnungshofes und die Hälfte seiner Mitglieder, sowie den Menschenrechtsbeauftragten zu wählen.

Damit wären die vom Volk gewählten Vertreter der Abgeordneten-Kammer auch nicht mehr der oberste Souverän des Staates. Das Volkssouveränitätsprinzip der Staatsführung würde durch ein Hierarchiesystem in der Kompetenzen-Rangfolge Staatspräsident-Senat- Abgeordneten-Kammer ersetzt.

Letztendlich hätte der ukrainische Präsident Juschtschenko nach dieser neuen Verfassungsreform unbegrenzte Rechte und Möglichkeiten und es würde auch keine Rolle mehr spielen, ob er nur 5 % der Bevölkerung hinter sich hätte.
Der Gewalt- und Machtapparat der Ukraine wären in Juschtschenkos Hand.
Ein autoritäres Präsidentenregime (Diktatur) wäre dann in der Ukraine Wirklichkeit.

Juschtschenko hat schon mehrfach bewiesen, dass er im Sinne des persönlichen Machterhaltes verfassungswidrige Methoden angewandt, ja sogar zur Gewalt gegriffen hat. Das war so, als er am 2.4.07 diktatorisch ein Dekret zur Parlamentsauflösung herausgegeben hatte, bzw. am 26.6.07 präsidentenfreundliche Truppen in Richtung Kiew marschieren ließ, um seine Präsidialdiktatur durchzusetzen, was damals nur durch das beherzte Eingreifen von Truppen des Innenministeriums verhindert werden konnte. Juschtschenko fühlt sich als Messias der Westintegration berufen und hat dafür auch Gefolgsleute wie den derzeitigen Chef der Präsidentenkanzlei (des Sekretariats des Präsidenten) Baloga, die einen Staatsstreich mitzutragen bereit wären. Eine ganze Reihe westlicher Regierungen würden eine solche Lösung der ukrainischen Krise sogar befürworten, um den NATO- und EU-Beitritt der Ukraine zu beschleunigen oder erst einmal zu ermöglichen. Obwohl auch Frau Timoschenko eine enge Zusammenarbeit mit der EU und einen hohen Grad der Assoziation und Westintegration anstrebt, traut man ihr seitens des Westens nicht so recht, vor allem deshalb, weil sie in der Vergangenheit immer wieder betonte, dass das ukrainische Volk über einen EU- und NATO-Beitritt des Landes entscheiden müsse.


Juschtschenko aber zeigte sich in seinem jüngsten Interview mit der Zeitung "Der Tagesspiegel" vom 4.5.09 durchaus kämpferisch. Er beschuldigte die EU, nicht genug "Mut zu haben".
Das dem aber ganz und gar nicht der Fall ist, zeigt der Vorfall vom 4.5.09 auf dem Flughafen von Frankfurt am Main. Dort wurde nämlich der Innenminister Luzenko mit seinem Sohn, die von dort aus weiter nach Seoul fliegen wollten, in angeblich betrunkenem Zustand festgenommen.
Nachdem der Innenminister Luzenko und sein Sohn von Frankfurt am Main weiter nach Seoul fliegen durften, hat der Stellvertretende Generalstaatsanwalt von Kiew am 6.5.09 einen Haftbefehl gegen Luzenko, der übrigens ein Anhänger der ukrainischen Regierung unter Ministerpräsidentin Frau Timoschenko ist, "zur Untersuchung der Vorfälle in Frankfurt am Main" eingeleitet.

Wie schon unser russischer Kollege Andrej Bekenjow aus Sankt Petersburg in seinem kürzlichen Beitrag "Internationaler Währungsfond 'besorgt' wegen ukrainischer Wirtschaftspolitik?" (*) schrieb, hatte man seitens des Westens ziemlich entsetzt auf die ihnen nicht genehme politische Richtung der Ukraine reagiert, besonders was das beabsichtigte Zusammengehen der ukrainischen Partei der Regionen mit dem Block der ukrainischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko anbelangt. So hatte der IWF auf der kürzlichen Tagung von IWF und Weltbank in Washington Ende April 2009 seine weitere Arbeit in der Ukraine in Frage gestellt.

Es gibt also eine enge Verbindung zwischen den Ereignissen in der Ukraine und der Festnahme des ukrainischen Innenministers Luzenko auf dem Flughafen in Frankfurt am Main. Und zwar mit folgender Begründung:

1. Die Truppen des ukrainischen Innenministeriums unter Luzenko stehen hinter der ukrainischen Regierung unter Ministerpräsidentin Julia Timoschenko.
2. Ein Zusammengehen zwischen der Partei der Regionen unter Janukowitsch und dem Block von Julia Timoschenko im Parlament wäre nicht im Interesse der NATO-Staaten, vor allem nicht der USA.


All das erhärtet unsere Einschätzung über einen schon im Gange befindlichen Staatsstreich in der Ukraine mit Rückendeckung des Westens!!


Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
siehe im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Wirtschaft
FINANZEN/001: IWF "besorgt" wegen ukrainischer Wirtschaftspolitik? (Andrej Bekenjow)


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Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck, Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen, Andrej Bekenjow
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2009