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OSTEUROPA/286: Ukraine geht ungewissen Präsidentschaftswahlen entgegen (Falkenhagen/Queck)


Ukrainisches Vabanque-Spiel

Die Ukraine geht politisch ungewissen Präsidentschaftswahlen entgegen

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, Juni 2009


Die politischen Ereignisse in Kiew sind am Montag den 8. Juni 2009 erneut in eine Sackgasse geraten. Der Führer der Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch, hatte den Abschluss von Verhandlungen zum geplanten Regierungsbündnis mit Julija Timoschenko und ihrem Block BJUT vorerst aufgekündigt. Die Umstände dieser Aufkündigung sind aber unklar. Offensichtlich haben bei dieser Aufkündigung der Druck des ukrainischen Präsidenten und erheblicher westlicher Druck eine entscheidende Rolle gespielt.

Frau Timoschenko beklagte sich über einen Wortbruch von Janukowitsch. Es ist aber festzustellen, dass es noch nicht zum Zerwürfnis zwischen der Partei der Regionen von Janukowitsch und der BJUT von Frau Timoschenko gekommen ist. Noch gibt es u.a ein gemeinsames Abstimmungsverhalten bei den meisten Gesetzes- und Beschlussvorlagen im Parlament.

Auf jeden Fall soll nun auch die geplante Verfassungsänderung, die eine Wahl des Präsidenten der Ukraine im Parlament vorsieht, vorerst nicht stattfinden, es soll zu den bis Ende 2009/Januar 2010 geplanten Präsidentenwahlen durch das Volk kommen. Den genauen Termin dafür muss das Parlament aber noch beschließen.

Es sind also weiter direkte Präsidentenwahlen vorgesehen, deren Termin aber eben, wie schon festgestellt, noch ungewiss ist. Ungewiss ist auch, ob mit den Präsidentschaftswahlen gleichzeitig Parlamentswahlen stattfinden. Dabei hat neben Juschtschenko, Frau Timoschenko, Janukowitsch, dem Kommunisten Simonenko und dem Parlamentsvorsitzenden Litwin nun der Abgeordnete Arsenij Petrowitsch Jasenjuk als neuer Präsidentschaftskandidat seinen Hut in den Ring geworfen, dieser gehörte seit langem dem Juschtschenko-Lager, d.h. dem Block "Unsere Ukraine" an und wird weiter als enger Vertrauter des gegenwärtigen Präsidenten angesehen. Er hat gerade das 35. Lebensjahr (das in der Verfassung vorgeschriebene Mindestalter des Staatsoberhauptes) vollendet. Janukowitsch hat aber nun vorgeschlagen, dass der Präsident der Ukraine mindestens das 50. Lebensjahr vollendet haben soll.

Nach der Absolvierung eines Studiums in Rechtswissenschaften war der 1974 in Czernowitz geborene Jazenjuk noch während seines Fernstudiums in Ökonomie, das er 1997 abschloss, 1992-1997 Gründer und Präsident der Rechtsberatungsfirma Jurek Ltd., die bei der Entstaatlichung und Privatisierung von Industrie- und Agrarunternehmen tätig war. Ab Januar 1998 bis 2001 war er Berater des Chefs der Aval-Bank in Kiew. Er stieg bis zum Stellvertreter des Chefs der Aval-Bank auf, deren Aktionär auch mit Mehrheitsbeteiligung die österreichische Raiffeisenbank wurde. Gleichzeitig wurde Jazenjuk Haupt-Aktionär der Bank "Wertpapiere", die er 2005 mit hohem Gewinn verkaufte.

Jazenjuk hat mit Rückendeckung von Juschtschenko eine steile politische Karriere gemacht. 2001 wurde er, als Juschtschenko ukrainischer Ministerpräsident war, in die Regierung der Autonomen Republik Krim berufen, wo er das Wirtschaftsministerium leitete. Im Januar 2003 wurde er zum Vizepräsidenten der Nationalbank der Ukraine ernannt. 2004 vertrat er den Präsidenten der Nationalbank. Arsenij Jazenjuk unterstütze in dieser Zeit den Präsidentschaftskandidaten Juschtschenko und profilierte sich bei Geldtransmissionen als dessen Erfüllungsgehilfe. Am 9. März 2005 ernannte ihn der neu gewählte Präsident Juschtschenko zum Vizegouverneur im Gebiet Odessa, wo er sich als radikaler Privatisierer hervortat.

Nach der Entlassung der Regierung von Julija Timoschenko wurde er am 27. September 2005 ukrainischer Wirtschaftsminister in der neuen Regierung unter Echanurov (Jechanurow). Als enger Vertrauter Juschtschenkos war er von September 2006 bis zum 21. März 2007 erster Stellvertreter des Leiters der Präsidialkanzlei (des Sekretariats) des Staatspräsidenten.

Am 21. März 2007 wurde Jazenjuk von Juschtschenko zum ukrainischen Außenminister ernannt. Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen 2007 wurde er von dem westlich orientierten Block "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" (NU-NS) und der BJUT als Kandidat auf den Posten des Parlamentsvorsitzenden vorgeschlagen und auch auf der Parlamentsitzung am 4. Dezember 2007 mit knapper Mehrheit gewählt. Vor Verkündigung des Abstimmungsergebnisses verließen die Abgeordneten der Partei der Regionen und der Kommunistischen Partei den Plenarsaal. Sie protestierten damit gegen einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis, den sie der NU-NS und BJUT vorwarfen. Im Januar 2008 löste Jazenjuk eine politische Krise aus, als bekannt wurde, dass er gemeinsam mit Staatspräsident Juschtschenko um Aufnahme der Ukraine in den offiziellen Beitrittsprozess auf dem anstehenden NATO-Gipfel in Bukarest ersucht hatte. Da es keinen Mehrheitsbeschluss des Parlaments dazu gab, wurde dies als unangemessene politische Stellungnahme des Parlamentsvorsitzenden und Affront des Parlaments angesehen. Jazenjuk wurde zum Widerruf seiner Unterschrift aufgefordert. Nach seiner Weigerung kam es zu Rücktrittsforderungen. Doch den Rücktritt vom Amt des Parlamentsvorsitzenden erklärte Jazenjuk erst am 17. Dezember 2008 nach dem Scheitern der Regierungskoalition zwischen dem Juschtschenko-Block "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" und dem Timoschenko-Block BJUT. Darauf gründete Jazenjuk eine eigene politische Bewegung "Front Smin" (Front der Veränderungen), die er dann in "Einiges Zentrum" umbenannte. Diese neue politische Gruppierung strebt den schnellen Beitritt der Ukraine in die EU und das transatlantische Bündnis an. Im Parlament gehört er derzeit weiter zur Fraktion "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes.

Derzeit wird Arsenij Jazenjuk in westlichen Staaten als fähigster ukrainischer Politiker gepriesen und tritt auch oft in EU- und NATO-Ländern auf. Er spricht perfekt Englisch. Er fungiert im Westen als eine Art Hoffnungsträger anstelle von Juschtschenko, der nur noch ein Zustimmungs-Rating von um die 5 % in der ukrainischen Bevölkerung genießt, nach neustem Stand sogar lediglich noch bei 2,4 % liegt und um diesen Tiefpunkt stagniert.

Im Präsidenten-Rating liegt Jazenjuk derzeit mit 13,6 % an Platz 3 hinter Janukowitsch mit 25,6 % und Frau Timoschenko mit 20 %. Man bereitet sich nun offenkundig auf eine Präsidentenwahl vor. Der genaue Wahltermin für die Präsidentenwahlen muss, wie gesagt, noch festgelegt werden. Ambitionierter Bewerber um das Präsidentenamt bzw. Amt des neuen Ministerpräsidenten ist auch Viktor Baloga, der erst kürzlich als Leiter des Präsidialamtes (des Sekretariats) des ukrainischen Präsidenten zurückgetreten ist.

Um die Präsidentenwahlen bahnt sich nun erheblicher Streit an. Selbst wenn sie bis Januar 2010 stattfinden, ist ihre demokratische Durchführung gefährdet. U.a. hat der Parlamentsvorsitzende Litwin auf einer Pressekonferenz in Berestetschko (Gebiet Wolynsk) am 21. Juni 2009 erklärt, dass er an künftigen demokratischen Präsidentschaftswahlen ernsthaft zweifelt (s. http//portal.rada.gov.ua/rada/control/uk/publish/article/news_left?art_id=160857&cat_id=37486). (Litwin besuchte Berestetschko (Beresteczko) anlässlich des Jahrestages der Schlacht von Berestetschko, die am 28.- 30. Juni 1651 stattfand. In dieser berühmten Schlacht kämpften ukrainische Kosakenheere im Bündnis mit den Krimtataren unter der Führung des Hetmans und Atamans Bogdan Chmelnyzkij gegen das polnisch-litauische Adelsheer von Johann II. Kasimir (Johann II. Kasimir war König von Polen und Großherzog von Litauen). In Folge dieser Schlacht griff Russland zu Gunsten der Ukraine in den Krieg gegen Polen ein. Wenn auch die Schlacht von Berestetschko zunächst mit einem Rückzug der Kosaken und Krimtataren endete, waren am Ende die Russen und Ukrainer siegreich. Der russisch/ukrainische Krieg gegen Polen endete mit dem Waffenstillstand von Andrussowo (1667). Die Rada von Perejaslawl hatte unter dem Hetman Bogdan Chmelnyzkij 1654 ein Bündnis der Ukraine mit dem russischen Zaren abgeschlossen und besiegelt (wenn auch die Ukraine ein eigenständiger Kosakenstaat blieb, betrachten viele Historiker das Datum von 1654 als Datum des Anschlusses der Ukraine in das russische Zarenreich).

Das ukrainische Parlament hat am Mittwoch, den 10. Juni 2009 einen Beschluss zur Tätigkeit der Medien im Vorfeld der Präsidentenwahlen und zur Tätigkeit des Amts für Rundfunk und Fernsehen gefasst, der jegliche Behördeneinmischung in die Freiheit des Wortes verbietet. Offensichtlich soll das der Vorbeugung gegen befürchtete Manipulationen bei den Präsidentschaftswahlen dienen. Im Parlament wurde am 12. Juni auch noch mit einer Über-Zwei-Drittelmehrheit eine von Juschtschenko eingebrachtes Gesetz zur Bestätigung von Entscheidungen des Präsidenten zum Aufenthalt ausländischer Truppen in der Ukraine zur Teilnahme an gesamtnationalen Militärübungen für das Jahr 2009 verhindert. Seine Behandlung wurde nicht in die Tagesordnung aufgenommen.

In seinen Auftritten orientiert Präsident Juschtschenko weiter auf den schnellen Beitritt der Ukraine zum westlichen Bündnissystem. Das demonstrierte er erneut am 21. Juni anlässlich seiner Teilnahme an der Konferenz der Staatsoberhäupter der zentraleuropäischen Staaten in Novi Sad (Serbien). Er wandte sich zwar verbal gegen die Errichtung von Einflusszonen, der Errichtung neuer Linien der Aufteilung des europäischen Kontinents. Es gäbe kein Monopol auf das Europäertum, erklärte er. Die Ukraine betrachtet sich als Teil des gesamteuropäischen Vereinigungsprozesses, sie wird ihren verantwortungsvollen Beitrag zum Aufbau eines gesamteuropäischen Raumes der Demokratie, Sicherheit und des Aufblühens leisten, sagte er. Er ließ aber keinen Zweifel, dass dies unter der Ägide von Brüssel zu erfolgen hat (s. http//president.gov.ua/news/14183.html).



Über die Autoren

Brigitte Queck ist ausgebildete Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Außenpolitik und als Fachübersetzer Russisch und Englisch sowie publizistisch tätig. Seit 10 Jahren leitet sie den Verein "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg".
Brigitte Queck hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkel.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2009