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OSTEUROPA/294: Moldawien - Formiert sich die neue Regierungskoalition ... (Falkenhagen/Queck)


Moldawien: Formiert sich die neue Regierungskoalition, genannt "Allianz für Europäische Integration"?

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 2. September 2009


Es ist schon merkwürdig, bis vor kurzem lautete eine Koalitionsvereinbarung der sog. Allianz für europäische Integration von 4 nichtkommunistischen Parteien, die bei den Wahlen am 29. Juli 2009 mit insgesamt 53 Abgeordnetensitzen als Sieger hervorgingen, dass der Führer der Demokratischen Partei, Marian Lupu, das Amt des moldawischen Präsidenten erhält, der Führer der Liberaldemokratischen Partei, Vlad Filat, Parlamentsvorsitzender wird und Serafim Urechean, der Führer der Allianz "Unser Moldawien", das Amt des Premierministers übernehmen soll. Der Führer der Liberalen Partei, Mihai Ghimpu, wurde in der Allianz zunächst mit dem Posten des Stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden abgespeist. Einen Posten des Vizeparlamentsvorsitzenden gestand man gnädigerweise auch der mit 48 Sitzen stärksten Fraktion im Parlament, der Kommunistischen Partei, zu.

Nun landete Vlad Filat, der sich zum Anführer der Viererkoalition (manche Moldawier sprechen von einer Viererbande) aufgeschwungen hatte, als sich das neu gewählte moldawische Parlament konstituierte, einen Überraschungscoup. Vlad Filat stellte im Parlament den Antrag, dass nicht er, sondern Mihai Ghimpu zum Parlamentsvorsitzenden gewählt wird. Als Parlamentsvorsitzender und oberster Hüter der legislativen Gewalt und damit der Gesetzlichkeit wurde er, Vlad Filat, von Abgeordneten nicht nur der Kommunistischen Partei, sondern auch seiner Viererallianz offensichtlich wegen der bestehenden massiven Korruptionsvorwürfe als ungeeignet befunden. Deswegen wurde nun der Führer der Liberalen Partei (15 Parlamentsitze), Mihai Ghimpu, für den Posten des Parlamentsvorsitzenden vorgeschlagen. Aber das Amt des Premierministers sollte trotzdem Vlad Filat zufallen, dem ad okulos bis auf die Knochen korrupten Politiker. Das Amt kann das verkraften, lautet offensichtlich seine Logik!

Während sich die Wahl des Parlamentsvorsitzenden nicht zum Problem gestaltete, denn dazu ist eine einfache Mehrheit im Parlament erforderlich, sieht es beim Amt des Premierministers anders aus. Der muss lt. Verfassung vom Staatspräsidenten nominiert bzw. designiert werden. Das ist eine Verfassungshürde, die Vlad Filad schnell zu überspringen gedachte. Der noch amtierende Präsident Woronin von der Kommunistischen Partei wurde von Filat auf der besagten Parlamentssitzung quasi ultimativ aufgefordert, ihn, Vlad Filat, noch am gleichen Tag, an dem die Wahl des Parlamentsvorsitzenden erfolgen sollte, zum Premierminister zu nominieren, so dass er dann anschließend vom Parlament verfassungsgemäß ebenfalls mit einfacher Mehrheit bestätigt werden kann. Doch Woronin dachte nicht daran, diesen korrupten Typen (er bedachte ihn in diesem Sinne mit einigen aggressiven Ausdrücken) zu nominieren. Es kam zu einem heftigen Wortwechsel zwischen beiden, wobei beleidigende Worte fielen. Woronin erklärte auch, dass er jegliche Nominierung eines Premierministers ohne vorherige Abstimmung mit allen Fraktionen ablehne. Da warnte Filat mit drohenden Worten Woronin und alle kommunistischen Abgeordneten davor, Boykottpolitik zu betreiben. Woronin zögerte nicht, auf den schlechten Ruf von Filat anzuspielen. Woronin hatte durchaus recht. Schließlich ist Moldawien kein Premierminister zuzumuten, der bereits im Zusammenhang u.a. mit Zigarettenschmuggel und wegen illegaler Immobiliengeschäfte straffällig geworden war.

Vlad Filat erwiderte dreist, "dass Woronin wissen möge, dass wir nicht ängstlich sind und auch anders können", Woronin müsse die Konsequenzen seines Verhaltens tragen. "Wir werden uns durchsetzen und auch gegen den Willen von Woronin den neuen moldawischen Präsidenten wählen und wir werden gegen ihn auch eine neue Regierung installieren und das wird für Woronin eine bittere Bestrafung sein", erklärte er. Er gab damit zu verstehen, dass er als "Führer" der Viererkoalition sich auch über Verfassungsgrundsätze, z. B. dass der Präsident mit Drei-Fünftelmehrheit, d.h. mindestens 61 Stimmen gewählt werden und der Regierungschef vom Staatspräsidenten designiert sein muss, hinwegzusetzen entschlossen sei.

Vorher hatte Filat in einer Grundsatzrede im Parlament noch den Rechtsstaat beschworen, den die Viererkoalition, die "Allianz für europäische Integration" wiederherstellen wolle.

Mit seinen Ausfällen gegen den noch amtierenden Staatspräsidenten Woronin bewies Filat, dass sich das rechte bürgerliche Lager über Verfassungsgrundsätze und Rechtsnormen skrupellos hinwegzusetzen entschlossen ist, wenn es gilt, ihre fundamentalen Interessen durchzusetzen, während sie den Linken, besonders den Kommunisten, gerne vorwerfen, per se ein Unrechtsregime zu vertreten. Die neun Jahre der Regierung der Kommunisten auf Grund verfassungsgemäßer Wahlen haben aber nun offensichtlich jedermann bewiesen, dass sie die Verfassungsgrundsätze und Rechtsnormen exakt einhielten und einhalten. Die Anschuldigungen von Filat treffen deswegen mit keiner Silbe zu.

Nach dem Wortduell mit dem Führer der Liberaldemokraten, Vlad Filat, verließ Woronin demonstrativ den Parlamentssaal und mit ihm gingen alle kommunistischen Abgeordneten. Das moldawische Parlament hat in der Tat nicht das Recht, den Premierminister und damit auch das Ministerkabinett in eigener Kompetenz zu wählen.

Die Wahl des Parlamentsvorsitzenden ging dann in Abwesenheit der Kommunisten über die Bühne. Mihai Ghimpu erhielt alle 53 Stimmen der "Allianz für europäische Integration", für seine Wahl zum Premierminister hatte Vlad Filat aber auch nicht mehr die volle Rückendeckung seines Viererbündnisses. Da war noch Serafim Urechean mit den 7 Abgeordneten seiner Allianz "Unser Moldawien", der ursprünglich zum Premierminister auserkoren war und der für dieses Amt auch die größeren Erfahrungen, die größere Kompetenz und auch politische Reife mitbringt. Auf ihn war besondere Rücksicht zu nehmen. Er kann nämlich die Viererkoalition auch mit sieben Abgeordneten der Allianz "Unser Moldawien" jederzeit sprengen. Aber auch den 13 Abgeordneten der Demokratischen Partei von Marian Lupu kam die verbale Aushebelung der Verfassungsgrundsätze durch Vlad Filat auch nicht gerade zupasse. Somit konnte die Wahl von Vlad Filat zum neuen moldawischen Premierminister am 28. August gar nicht mehr in Angriff genommen werden. Jetzt ist zunächst vorgesehen, den neuen moldawischen Präsidenten zu wählen.

Marian Lupu, der primäre Kandidat für den Posten des moldawischen Präsidenten, betont inzwischen, dass er nach wie vor ein Freund Russlands sei, die weitere GUS-Mitgliedschaft von Moldawien befürwortet, die NATO-Mitgliedschaft Moldawiens im Gegensatz zu Filat und Ghimpu ablehnt und auch für die Beibehaltung des Neutralitätsstatus von Moldawien eintritt. Nach seinen Bekundungen kann er sich auch nicht mit dem neoliberalen Marktradikalismus eines Vlad Filat anfreunden. Er hat sogar des öfteren die Kommunisten beschuldigt, zu neoliberal zu sein. Er warf ihnen vor, dem kapitalistischen Denken verfallen zu sein. In der Kommunistischen Partei gäbe es zahlreiche hohe Funktionäre, die reiche Privatunternehmer sind, erklärte er des öfteren (Diese Einschätzung entspricht dem Vorwurf, dass die Kommunistische Partei weitgehend sozialdemokratisiert ist). Für Vlad Filat ist das aber kein Hindernis, die moldawischen Kommunisten als fundamentalistische Altbolschewiken und antikapitalistische Betonköpfe zu bezeichnen.

Marian Lupu möchte nun offensichtlich auch mit Stimmen der Kommunisten moldawischer Präsident werden. Erneute Parlamentswahlen zu Beginn 2010 müssten unbedingt vermieden werden, erklärte er. Als moldawischer Präsident wäre Lupu laut Verfassung die bestimmende politische Kraft in Moldawien und könnte so auch seine politische Philosophie durchsetzen. Er wolle strikt die Verfassung einhalten, erklärte er (eine Verfassungsänderung würde nämlich eine Zweidrittelmehrheit von mindestens 68 Abgeordnetenstimmen erfordern!).

Der erneute Versuch einer Wahl des neuen moldawischen Präsidenten soll nach den vorliegenden Informationen am 10. September 2009 gestartet werden. Vlad Filat, der ebenfalls auf dieses Amt spekuliert, hätte hier keinerlei Chancen. Es könnte lediglich Marian Lupu gelingen, die notwendige Stimmenmehrheit von mindestens 61 Stimmen zusammenzubringen. Eine weitere Persönlichkeit für die Wahl zum neuen moldawischen Präsidenten ist derzeit nicht in Sicht.

Die moldawische Verfassung sieht im Falle des Nichtzustandekommens einer Wahl des neuen Präsidenten vor, dass der amtierende Präsident (das wäre noch der Kommunist Wladimir Woronin) das Parlament innerhalb von zwei Monaten auflöst und vorgezogene Neuwahlen ausschreibt. Da aber innerhalb eines Jahres laut Verfassung nicht mehr als zwei Parlamentswahlen zulässig sind (die zweite hat bereits im Juli 2009 stattgefunden), könnten die Neuwahlen nicht eher als im Februar 2010 stattfinden.

Die "Allianz für europäische Integration" verfügt derzeit im 101-köpfigen Parlament über 53 Abgeordnetensitze gegenüber 48 Sitzen, die auf die noch bisher regierende Kommunistische Partei entfallen. Die Kommunistische Partei stellte seit 2001 mit absoluter Parlamentsmehrheit die Regierung und behauptete diese mit 60 Abgeordnetensitzen noch bei den Parlamentswahlen im April 2009, verlor sie dann aber bei den Wiederholungswahlen am 29. Juli 2009.

Mihai Ghimpu und Serafim Urechean gelten als kommunistische Renegaten, da sie schon zu Sowjetzeiten der Kommunistischen Partei angehörten und dort auch höhere Funktionen bekleideten. Marian Lupu war als Mitglied der Kommunistischen Partei Moldawiens langjähriger führender Funktionär, als Regierungsmitglied Minister und bekleidete für die Kommunisten bis Juni 2009 den Posten des Parlamentsvorsitzenden. Von Vlad Filat ist keine Vergangenheit als Mitglied der Kommunistischen Partei bekannt, er gehörte aber nach Informationen aus Russland zu Sowjetzeiten nicht nur der Sowjetarmee (wie in seiner offiziellen Biographie steht), sondern auch dem KGB an.

Quellen:
www.moldova.md/md/newslst/1211/1/3290/
http://stiri.rol.ro/content/view/406065/2/
www.peoples.ru/state/politics/vlad_filat/index.html
www.pdm.md/libview.php?1=ro&idc=201&id=683&parent=0
www.filat.md/blog/?p=1512


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Quelle:
Copyright by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
September 2009
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2009