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OSTEUROPA/362: Polen - Geheimes CIA-Gefängnis bringt Regierung in Bedrängnis (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. März 2013

Polen: Geheimes CIA-Gefängnis bringt Regierung in Bedrängnis - Untersuchung tritt auf der Stelle

von Claudia Ciobanu



Warschau, 11. März (IPS) - In Polen kommt die Regierung mit der Untersuchung von Vorwürfen, ein geheimes CIA-Gefängnis für Terrorverdächtige zu unterhalten, nicht voran. Doch der Druck auf Warschau, endlich mit Ergebnissen aufzuwarten, nimmt zu.

Aus mehreren Quellen - von einem Bericht von Dick Marty für den Europarat 2007 bis zu einer kürzlich veröffentlichten Studie der 'Open Society Foundations' - geht hervor, dass es in Polen seit Ende 2002 ein geheimes CIA-Gefängnis gibt. Die Haftanstalt wurde offenbar im Zusammenhang mit einem US-Programm eingerichtet, das Festnahmen und Verhöre von Terrorverdächtigen in Europa vorsieht.

Von offizieller Seite wurde die Existenz eines solchen Haftzentrums bereits bestätigt. So wird in dem 2004 veröffentlichten Report des CIA-Generalinspekteurs, der den Umgang des Geheimdienstes mit angeblichen Verbindungsleuten zum Terrornetzwerk Al Qaeda diskutiert, der Fall von Abd Al-Rahim Al-Nashiri beschrieben. Der mutmaßliche Führer der Al Qaeda am Persischen Golf soll an einem Anschlag auf das US-Kriegsschiff 'USS Cole' beteiligt gewesen sein. 17 US-Soldaten wurden bei dem Attentat im jemenitischen Hafen Aden im Oktober 2000 getötet.

Dem Bericht zufolge wurde Al-Nashiri im November 2002 von der CIA verhaftet und dann bis Dezember des gleichen Jahres den von der ehemaligen Regierung George W. Bush genehmigten 'erweiterten Verhörmethoden' unterzogen. Aus einem stark überarbeiteten Abschnitt geht hervor, dass er in jenem November zweimal der 'Waterboarding'- Foltermethode unterzogen worden sei und "kooperiert" habe. Später habe man ihm vorgeworfen, Informationen zurückgehalten zu haben.

Diese Informationen legen die Vermutung nahe, dass Al-Nashiri unmittelbar nach dem 4. Dezember an einen anderen Ort gebracht wurde, wo er sich erneut den erweiterten Verhörmethoden - dieses Mal in Polen - ausgesetzt sah.


Aus Thailand über Dubai nach Polen verschleppt

Von den polnischen Grenzwachen an die in Polen ansässige 'Helsinki Foundation' übergebene Dokumente belegen, dass Flug N63MU am 5. Dezember 2002 aus Thailand kommend auf dem Flughafen Szymany landete. Die fragliche Maschine war demnach über Dubai geflogen und hatte acht Passagiere und vier Besatzungsmitglieder an Bord. Aus Polen startete die Maschine dann nur noch mit der Besatzung.

Andere Flugzeuge, in denen Al-Nashiri hätte sitzen können, wurden nicht entdeckt. "Wir haben umfassende Daten von 200 bis 300 Maschinen, die entweder im Verdacht stehen oder erwiesenermaßen Terrorverdächtige transportiert haben. Es handelt sich in allen Fällen um Privatflugzeuge, die in den USA registriert sind", sagte Crofton Black von der britischen Menschenrechtsorganisation 'Reprieve'. Er schloss allerdings nicht aus, dass noch weitere mögliche Flüge entdeckt werden könnten.

Ergänzend zu dem Belastungsmaterial, das auch in Bezug auf andere Gefangene relevant sein könnte, haben Regierungs- und Geheimdienstbeamte aus mehreren Staaten, darunter auch aus Polen und den USA, bei Befragungen von UN- und EU-Stellen, Nichtregierungsorganisationen und Journalisten darauf hingewiesen, dass Polen ein wichtiges Land für das CIA-Programm gewesen sei. Informanten sprechen jedoch unter dem Siegel der Verschwiegenheit, da die Regierungen beider Länder bisher noch keine Details zu den Auslieferungsflügen mitgeteilt haben.

In Polen hat eine 2008 begonnene Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft eine merkwürdige Wendung genommen. Bis vor einem Jahr wurde die Untersuchung von der Staatsanwaltschaft in Warschau durchgeführt. 2011 berichtete die größte Tageszeitung 'Gazeta Wyborcza', dass der erste beteiligte Staatsanwalt kurz davor stehe, Rechtsexperten über die möglichen Folgen der Folterung von Gefangenen auf polnischem Boden durch ausländische Agenten zu befragen.

Im vergangenen Jahr meldeten polnische Medien, dass der zweite zuständige Staatsanwalt dem Leiter des polnischen Geheimdienstes zwischen 2002 und 2004, Zbigniew Siemiatkowski, erzählt habe, dass gegen ihn Anschuldigungen wegen der Verletzung des Völkerrechts durch die unrechtmäßige Inhaftierung Verdächtiger in Polen erhoben würden. Siemiatkowski hat dies bestätigt. Dann wurde der Fall nach Krakau verwiesen.

Mikolaj Pietrzak, der polnische Anwalt von Al-Nashiri, konnte sich inzwischen sein Recht verschaffen, über den Fortgang der Ermittlungen gegen seinen Mandanten auf dem Laufenden gehalten zu werden. Al-Nashiri war 2010 von Polen als Opfer anerkannt worden. Pietrzak erklärte, er habe mit den Behörden in Warschau gut zusammenarbeiten können und von dem zweiten Staatsanwalt Zugang zu der gesamten Akte erhalten. Seit der Fall aber in Krakau weitergeführt werde, werde ihm die Einsicht in die offiziellen Papiere erschwert und in die Geheimdokumente verwehrt.


Fall wird absichtlich in die Länge gezogen

"Es ist eine extreme Unregelmäßigkeit, dass ein Fall von drei verschiedenen Staatsanwälten behandelt wird", sagte Pietrzak. "Und die Tatsache, dass sich im vergangenen Jahr offensichtlich nichts bewegt hat, ist eine traurige Aussage zum Stand der Ermittlungen." Piotr Kosmaty, Sprecher bei der Staatsanwaltschaft in Krakau, bestätigte, dass der Fall eigentlich im Februar abgeschlossen sein sollte. Inzwischen sei der Zeitraum aber verlängert worden, und der Endtermin sei nicht öffentlich.

Adam Bodnar, Leiter der Rechtsabteilung der 'Helsinki Foundation', spricht von einer Verzögerungstaktik, die jede formelle und anschließende Entscheidung in diesem Fall verhindern soll." Justiz und Polizei in Polen stecken seiner Meinung nach in einer Zwickmühle. Das Land könne nicht entlastet werden, aber Siemiatkowski und den früheren Regierungschef Leszek Miller vor Gericht zu bringen, sei in der derzeitigen politischen Lage nicht möglich.

Al-Nashiri ist unterdessen gegen Polen vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gezogen. Die Anwälte von Abu Zubaydah, dem ersten 'wertvollen Gefangenen' für das CIA-Programm, der ebenfalls nach Polen verschleppt worden sein soll, bereiten ebenfalls eine Klage vor.

Selbst für den Fall, dass sich Polen gegenüber dem ECHR mit Informationen zurückhält, gehen Pietrzak und Bodnar davon aus, dass sie genügend Beweismittel gesammelt haben, um nachzuweisen, dass das Land gegen die Genfer Konventionen verstoßen hat, weil es diesen Personen auf seinem Territorium keinen Schutz gewährt hat. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://assembly.coe.int/committeeDocs/2007/Emarty_20070608_noEmbargo.pdf
http://www.opensocietyfoundations.org/reports/globalizing-torture-cia-secret-detention-and-extraordinary-rendition
http://media.luxmedia.com/aclu/IG_Report.pdf
http://www.reprieve.org.uk/
http://www.hfhrpol.waw.pl/en
http://www.ipsnews.net/2013/03/poland-cornered-over-its-secret-prisons/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2013