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OZEANIEN/013: Chinesinnen in Neuseeland (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 106, 4/08

Neuseeland
Gold Mountain Story
Chinesinnen in Neuseeland

Von Margit Wolfsberger


Mitte August 2007 fand in Auckland, Neuseeland eine Konferenz statt, deren provozierender Titel "Bananas NZ Going Global" das neue Selbstbewusstsein der chinesischen NeuseeländerInnen ausdrückt. Frauen waren und sind in diese Identitätsprozesse stark involviert, obwohl sie bis dato in Neuseeland marginalisiert wurden.


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"Bananas" ist ein an sich abwertender Begriff für in Neuseeland geborene oder dort aufgewachsene Chinesinnen, denen vorgeworfen wird, außen "gelb" und innen "weiß" zu sein. Bei der Organisation der ersten Bananas-Konferenz 2005 haben sich aber die daran beteiligten Personen dazu entschlossen, diese negative Stereotypisierung aufzugreifen und für sich positiv umzudeuten bzw. bewusst einzusetzen. Es gelang damit Menschen außerhalb der traditionellen chinesischen Organisationen anzusprechen und eine Debatte über Fragen der Identität von in Neuseeland geborenen oder als Kinder dorthin gekommenen ChinesInnen, die so genannte 1,5 Generation, anzuregen. Diese Entwicklung erscheint umso notwendiger, als es mittlerweile einen zunehmenden Rassismus innerhalb der neuseeländischen Bevölkerung gegenüber den "neuen" asiatischen MigrantInnen gibt, und dies auch die bereits etablierten chinesischen Mitbürgerinnen wieder zu "Außenstehenden" innerhalb des bikulturellen Gesellschaftskonzeptes Neuseelands macht.


Unwanted Aliens ohne Frauen

Trotz der wirtschaftlichen Leistungen von chinesischen MigrantInnen wurden diese seit den 1880er Jahren in Neuseeland als unerwünschte EinwanderInnen ("Unwanted Aliens") gesehen und unterlagen bis 1944 der "Chinese Poll-Tax": Für die Erteilung einer Einreisebestimmung musste eine sehr hohe Summe von den BewerberInnen bezahlt werden, was in dieser Form nur für EinwanderInnen aus China galt. Auch nach dem Wegfall der Poll-Tax von 1944 betrieb Neuseeland bis 1987 eine eindeutig Europa bevorzugende Einwanderungspolitik und britische SiedlerInnen galten als Norm und IdealeinwanderInnen. Mit der Änderung der Bestimmungen und der Aufgabe der nationalen Bevorzugung 1987 veränderte sich die Migration nach Neuseeland. Viele Menschen aus Asien allgemein und aus China speziell nutzten und nutzen diese Öffnung. Heute bezeichnen sich 19% der NeuseeländerInnen selbst als AsiatInnen. Im Februar 2002 entschuldigte sich Helen Clark, die neuseeländische Premierministerin, offiziell bei den chinesischen MitbürgerInnen für die jahrzehntelange spezifische Diskriminierung bei den Einreisebestimmungen.


Dragons on the Long White Cloud

Die Chinese Poll Tax hatte Frauen in besonderer Weise betroffen, wie Manying Ip, Historikerin und Kämpferin für die Rechte der chinesischen Minderheit in ihren Publikationen hervorhebt: So lebten 1867, dem Jahr der ersten Volkszählung nur sechs Chinesinnen gegenüber 1.217 Chinesen in Neuseeland. Dieses eklatante Geschlechtermissverhältnis wurde durch die Einreisebestimmungen erzeugt. Die hohe Einreisegebühr wurde von Familien in China gemeinsam aufgebracht und in Männer "investiert", die in Neuseeland am ehesten Arbeit finden würden. So entstand im Laufe der Jahre in Neuseeland eine männlich dominierte chinesische Gemeinschaft, die zwar nach und nach Frauen aus der Heimat heiratete, diese aber nicht nachholte. Erst während der japanischen Invasion in China in den späten 1930er Jahren erlaubte Neuseeland als Ausnahmegeste einer größeren Gruppe von Ehefrauen und Kindern von in Neuseeland lebenden chinesischen Männern den Nachzug. Und erst 1991 erreichte das Geschlechterverhältnis innerhalb der chinesischen Bevölkerungsgruppe die Normalverteilung der üblichen Bevölkerung. Ein Beleg für diese starke Unterrepräsentation und Isolation von Chinesinnen in Neuseeland ist auch die Tatsache, dass es im 1991 veröffentlichten historisch-biographischen "Book of New Zealand Women" auf 750 Seiten nur ganze vier Einträge zu Chinesinnen gibt.


Home away from Home

Diese strukturelle Benachteiligung von Chinesinnen bei der Einreise, die auch durch das traditionelle chinesische Frauenbild, wo sich Töchter und Schwiegertöchter v.a. um die Betreuung der Kinder und Eltern kümmern sollten, befördert wurde, führte zu einem schwierigen Integrationsprozess von chinesischen Frauen, die gegen vielfache Diskriminierungen kämpfen mussten. Es entstanden aufgrund der Isolierung von Chinesinnen auch keine eigenen Frauenorganisationen und in den allgemeinen Frauenorganisationen Neuseelands waren sie kaum zu finden oder ihre speziellen Anliegen wurden nicht gesehen bzw. unterstützt. In dieser Lebenssituation bis in die 1970er Jahre hinein wundert es nicht, dass in vielen autobiographischen Aussagen diese Isolation schmerzlich zum Ausdruck kommt. Nun ist die Wiederentdeckung des Lebens der Mütter oder Großmütter Gegenstand von literarischen Äußerungen von Chinesinnen in Neuseeland. So beschäftigt sich etwa der bei der letzten Bananas-Konferenz prämierte Kurztext "The Stove" von Renee Liang mit dem Verhältnis einer in Neuseeland geborenen Chinesin zu ihrer verstorbenen Mutter.

Die Suche nach den eigenen Wurzeln, die oft zugunsten einer möglichst vollkommenen Assimilierung vollkommen vergessen wurden, ist derzeit Gegenstand vieler künstlerischer Äußerungen, wie die Präsentationen bei den Bananas-Konferenzen eindrucksvoll zeigen.


Astronautinnen und Studentinnen

Neben diesem Selbstfindungsprozess gibt es nun auch ein verstärktes Zusammenarbeiten zwischen schon in Neuseeland etablierten Chinesinnen - der so genannten Old Generation - und den in den 1990er Jahren neu hinzugekommenen chinesischen MigrantInnen, die zum Teil zwar nicht aus China kommen, aber dennoch Chinesinnen sind. Diese Gruppe ist zum Teil weitaus besser ausgebildet als ihre VorgängerInnen, findet allerdings aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, vorhandener Vorurteile und fehlender Jobs allgemein, keine adäquaten Berufsmöglichkeiten, was dazu führt, dass die Frauen verstärkt zu Hause bleiben und sich um die Kindererziehung und Haushalt kümmern und die Männer im Herkunftsland oder in einem anderen asiatischen Land arbeiten und nur zeitweise die Familie in Neuseeland besuchen. Diese transnationalen MigrantInnen werden in Neuseeland als AstronautInnen bezeichnet und ihnen wird vorgeworfen, sich nicht in die Gesellschaft Neuseelands integrieren zu wollen. Es verwundert nicht, dass durch diese spannungsgeladene Situation bei Befragungen ein Großteil dieser MigrantInnen derzeit den Wunsch hat, Neuseeland wieder zu verlassen und in die Heimat, sofern dies möglich ist, zurückzukehren oder weiterzuziehen.

Zur Gruppe der temporären MigrantInnen in Neuseeland gehören auch die chinesischen SprachschülerInnen. Englische Sprachschulen für asiatische Jugendliche und junge Erwachsene sind eine wichtige Einnahmequelle für Neuseeland und während die wirtschaftlichen Vorteile von allen gesehen werden, gibt es wachsende Bedenken über die Art und Weise wie junge Chinesinnen in Neuseeland fern von ihren Eltern und Verwandten leben und welche Auswirkungen dies auf die neuseeländische Gesellschaft hat. Drogenprobleme, Spielsucht, Autounfälle, Teenager-Schwangerschaften und vieles mehr werden den temporär in Neuseeland lebenden SchülerInnen angelastet. Während ein Großteil der jungen Leute nach Ablauf des Ausbildungsvisas wieder zurückkehrt, optieren andere für den Verbleib in Neuseeland, auch als Sprungbrett für eine weitere Migration nach Australien oder in die USA.

Das Schicksal der ehemaligen chinesischen Sprachschülerin An An Xue, die nach Auslaufen ihres StudentInnenvisas einen weitaus älteren Chinesen 2003 geheiratet hatte, um im Land bleiben zu können, und deren Ehe schließlich durch ihre Ermordung vermutlich durch den Ehemann endete, erschütterte im September 2007 Neuseeland. Auch wenn der Fall größtenteils als privates Ehedrama behandelt wurde, kamen im Zuge der Berichterstattung auch Aspekte des Lebens von chinesischen Migrantinnen ans Licht der Öffentlichkeit, über die von allen Seiten her ansonsten lieber geschwiegen wird. Welche weiteren Folgen der Fall hat und ob sich dadurch etwa verstärkt Frauengruppen innerhalb der chinesischen Community bilden, um sich gegenseitig zu unterstützen, bleibt abzuwarten.


Literatur:

Manying Ip: Home away from Home: Life Stories of chinese Women in New Zealand. (Auckland 1990).

Manying Ip: Dragons on the Long white cloud. The Making of chinese New Zealanders (Auckland 1996).

Manying Ip: Redefining Chinese Female Migration: From Exclusion 10 Transnationalism. in: L. Fraser & K. Pickles (eds.): Shifting Centres: Women und Migration in New Zealand History (Dunedin 2002).


Links:

www.goingbananas.org.nz
www.nzchinese.org.nz
www.stevenyoung.co.nz
www.skykiwi.com


Zur Autorin:

Margit Wolfsberger ist Kulturanthropologin und Kommunikationswissenschafterin und forscht zur Migration nach Neuseeland.
Projektwebsite: www. univie.ac.at/pacificmigration


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 106, 4/2008, S. 30-31
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2009