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OZEANIEN/014: Australien - Möglichst weit weg, Bootsflüchtlinge sollen nach Osttimor (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Oktober 2010

Australien: Möglichst weit weg - Bootsflüchtlinge sollen nach Osttimor

Von Stephen de Tarczynski


Melbourne, 18. Oktober (IPS) - Australiens Einwanderungsminister Chris Bowen war in brisanter Mission unterwegs: In Osttimor, Indonesien und Malaysia diskutierte er mit Regierungsvertretern den Vorschlag seiner sozialdemokratischen Minderheitsregierung, in Osttimor ein regionales Auffanglager für Bootsflüchtlinge einzurichten. Die Betroffenen sollen hier für die Dauer ihres Asylverfahrens festgehalten werden. In Australien ist der Umgang mit den Boat People seit langem politisch ein heißes Eisen.

Seit Anfang des Jahres haben australische Behörden über 100 Schiffe mit Asylsuchenden abgefangen. Oft zahlen die Flüchtlinge Schleppern viel Geld für die Fahrt auf überladenen und häufig nicht seetüchtigen Booten.

Der Plan von einem regionalen Sammellager in Osttimor hat bereits Menschenrechtsaktivisten auf den Plan gerufen. Sie warnen vor dem 'Export' von Flüchtlingen, die in Australien Schutz suchen. Osttimors Parlament hatte den Vorschlag der australischen Regierung im Juli abgelehnt. Doch Australiens Premierministerin Julia Gillard und ihre Labor-Regierung rechnen mit dem wohlwollenden Interesse der politischen Führung Osttimors. Bislang sind die Verhandlungen zwischen Canberra und Dili über Konsultationen nicht hinausgegangen

"Eine Regelung, in die unsere regionalen Partner eingebunden werden, ist die wirkungsvollste Abwehr illegaler Migranten. Sie hält Menschen davon ab, auf gefährlichen Seefahrten ihr Leben zu riskieren", erklärte Einwanderungsminister Bowen. Nach dem Gespräch mit Osttimors Staatspräsident José Ramos-Horta bekräftige er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Dili: "Zu diesem Thema gibt es zwischen Ost-Timor und Australien keine Meinungsverschiedenheiten." Man habe sehr konstruktiv diskutiert.

Doch Ramos-Horta zeigte sich besorgt: "Ein solches Zentrum in Dili darf nicht zum Anziehungspunkt für die vielen tausend Flüchtlinge werden, die in Malaysia, Indonesien und Thailand seit Jahren auf das Ende ihres Asylverfahrens warten", zitierte ihn die in Sydney erscheinende Tageszeitung 'The Australian'. Auf jeden Fall müsse man die Gewissheit haben, dass der Aufenthalt der Asylbewerber zeitlich begrenzt bleibt. In einem Monat sollen die offiziellen Verhandlungen über ein regionales Zentrum für Bootsflüchtlinge fortgesetzt werden.

Unterdessen beobachten australische Menschenrechtsexperten die Pläne ihrer Regierung mit Skepsis. Nach Ansicht von Kate Gauthier vom 'Refugee Council of Australia', einer Dachorganisation mit mehr als 130 zivilen Flüchtlingsorganisationen, könnte das Vorhaben nur dann als positiver Schritt gewertet werden, wenn daraus ein System wirklich alternativer Schutzmöglichkeiten für Flüchtlinge entwickelt würde und es ihnen erspart bliebe, sich Schleppern anzuvertrauen.


"Negatives Signal"

Andererseits ist die Aktivistin besorgt, dass die Regierung mit der Einrichtung eines regionalen Flüchtlingslagers in Osttimor zur umstrittenen australischen Flüchtlingspolitik der so genannten Pazifischen Lösung zurückkehrt. "Es wäre ein unglaublich negatives Signal, wenn sie damit nichts anderes bezweckt, als Flüchtlinge möglichst weit von Australien fernzuhalten", sagte Gauthier.

Die Pazifische Lösung war 2001 von Australiens damaliger konservativer Regierung unter John Howard eingeführt worden, um Bootsflüchtlinge abzufangen, bevor sie Australiens Küsten zu nahe kommen. Sie wurden in Flüchtlingslager auf der kleinen Inselrepublik Nauru oder in Papua-Neuguinea auf Manus Island untergebracht.

Nach dem überwältigenden Wahlsieg, den Australiens Labor-Partei 2007 erzielte, hatte der damalige Premierminister Kevin Rudd eine weniger repressive Einwanderungspolitik angekündigt. Doch die Frage, wie man mit Bootsflüchtlingen umgehen soll, ist in Australien ein politisch heißes Eisen geblieben und wurde auch bei den Parlamentswahlen im August sehr kontrovers diskutiert.

Menschenrechtsaktivisten werfen den beiden großen Parteien, den Sozialdemokraten und den Konservativen, seit langem vor, mit knallharten, übertriebenen Maßnahmen Bootsflüchtlinge von der Küste fernzuhalten. Deren Zahl ist vergleichsweise gering. Nach Angaben der UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) beantragten im vergangenen Jahr 6.206 Menschen Asyl in Australien, einem Land mit 22 Millionen Einwohnern. Das waren keine 0,5 Prozent der 1,18 Millionen Asylbewerber, die 2009 weltweit registriert wurden. Australien liegt bei den jährlich eingehenden Asylanträgen im globalen Vergleich an 33. Stelle.


50.000 illegale aber unbehelligte Migranten

Weit bessere Karten als die ungeliebten Bootsflüchtlinge aus Sri Lanka oder Afghanistan haben in Australien illegale Einwanderer aus Europa, China oder den USA, die als Touristen auf australischen Flughäfen landen und nach Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis jahrelang oder für immer bleiben. Die Regierung schätzt die Zahl dieser unauffälligen illegalen Zuwanderer auf über 50.000.

Viele Australier sind nicht damit einverstanden, dass Flüchtlinge, auch Kinder, weiterhin in einem Lager auf der zum australischen Territorium gehörenden Christmas Island festhalten werden, wo sie 2.600 Kilometer vom westaustralischen Perth entfernt auf ihr Asylverfahren warten.

Graham Thom, der für 'Amnesty International' in Australien die Arbeit mit Flüchtlingen koordiniert, hält das von der Regierung propagierte regionale Flüchtlingslager in Osttimor für durch und durch ungesetzlich. "Damit würde Australien Flüchtlinge wieder einmal in ein anderes Land abschieben", kritisierte der Arzt.

"Es widerspricht dem Recht auf Asyl, der Allgemeinen Menschenrechtenserklärung und der Flüchtlingskonvention, wenn Asylbewerber, die bereits australisches Hoheitsgebiet erreicht haben, gegen ihren Willen in ein Drittland abgeschoben werden, um dort auf ihr Asylverfahren zu warten", schrieb Thom am 13. Oktober in einem Blogg im Internet.

Australien war einer der acht Staaten, die den Entwurf der von der UN-Vollversammlung 1948 verabschiedeten Menschenrechtsdeklaration erarbeitet hatten. Das Land ist zudem Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.refugeecouncil.org.au
http://www.amnesty.org.au/refugees/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53171

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2010