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BERUF/1469: Zum Berufsbildungsbericht 2012 - Miese Ausbildung, miese Bezahlung, Facharbeitermangel (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 21 vom 25. Mai 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Miese Ausbildung, miese Bezahlung, Facharbeitermangel
Der Berufsbildungsbericht 2012 - ein Armutszeugnis der Bundesregierung

von Manfred Dietenberger



Während die Wirtschafsbosse laut einen angeblichen Azubi- und Facharbeitermangel bejammern, freut sich die Bundesregierung über die angeblich eingetretene "entspannte" Situation auf dem "Ausbildungsmarkt". Die Auszubildenden selbst, aber mit ihnen auch die Gewerkschaften, klagen über den Missbrauch und die schlechte Qualität der Ausbildung. Wer aber hat nun recht?

Mit dem vor kurzem von der Bundesregierung vorgelegten Berufsbildungsbericht 2012 liegt ein weiteres Armutszeugnis dieses nicht am Menschen sondern am Profit orientierten Gesellschaftssystems vor. Es belegt anschaulich die Unfähig-, aber auch Unwilligkeit der im real existierenden Kapitalismus Herrschenden, das Menschenrecht auf Arbeit und Berufsausbildung zu gewährleisten. In Wahrheit ist die Situation auf dem "Ausbildungsmarkt" weniger als befriedigend. Noch immer suchen bundesweit 265 591 junge Menschen einen Ausbildungsplatz. Dem gegenüber stehen 233 514 unbesetzte Ausbildungsstellen. Immer noch werden viele junge Menschen in Maßnahmen des so genannten Übergangssystems vermittelt - 294 294 im Jahr 2011 - obwohl die meisten von ihnen nur einen Ausbildungsplatz, aber dazu keine Maßnahmen benötigen. Und immer noch haben 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren keinen qualifizierten Berufsabschluss (das sind 17 Prozent der Altersgruppe). 2011 wurden 570 140 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. 29 689 Ausbildungsplätze blieben bislang unbesetzt, obwohl 11 550 neu hinzugekommene Jugendliche händeringend einen Ausbildungsplatz suchen. Glaubt man dem Berufsbildungsbericht konnte mehr als jeder dritte Betrieb einen oder mehrere Ausbildungsplätze nicht besetzen.

Die Statistik aber ist das eine, die Alttagswirklichkeit im real existierenden Kapitalismus hierzulande das andere: Nicht die jungen Menschen sind arbeitsscheu und "ausbildungsunwillig" oder gar "ausbildungsunreif" wie die ausbilungswilligen Betriebe behaupten. Nein, die übergroße Mehrheit (rund 80 %) der Betriebe drückt sich davor eine ordentliche Ausbildung überhaupt anzubieten. Selbst die mehr als 65 000 Jugendlichen, die 2011 von der Bundesarbeitsagentur (BA) amtlich als "ausbildungsreif" eingestuft wurden und ausdrücklich ihren Ausbildungswunsch erklärten, wurden in sogenannten Warteschleifen zwischengelagert. Addiert man diese rund 65 000 zu den 11 550 in diesem Ausbildungsjahr ohne Ausbildungsplatz gebliebenen Jugendliche, kommt man auf mehr als 76 000 junge Menschen, die sich um die gut 29 000 offenen Stellen prügeln sollen - denn frei nach Adam Riese könnte ja jede angeblich noch offene Stelle mehr als zweimal besetzt werden.

Zu den Branchen die permanent über Auszubildendenmangel klagen, gehören allen voran das Hotel- und Gaststättengewerbe, Bäcker, Bauarbeiter, Köche, Klempner, Fleischer, aber auch Gebäudereiniger usw. Diese Branchen zeichnen sich aber nicht nur durch ihre überdurchschnittlich hohe Zahl von gemeldeten offenen Stellen, sondern eben auch durch die überdurchschnittlich vielen vorzeitigen Vertragslösungen.(z. B. mehr als 40 % im Hotel- und Gaststättengewerbe) und Misserfolge bei Prüfungen aus. Die Bezahlung allerdings ist hingegen auffällig unterdurchschnittlich niedrig. Beispiel: Erhalten Auszubildende im Westen durchschnittlich 708 Euro und im Osten 642 Euro, bekommen Kochlehrlinge nur 620 Euro und im Osten mickrige 499 Euro. Azubis im Gastgewerbe bekommen 587 Euro (West) bzw. 471 Euro (Ost) und die Klempner-Azubis erhalten 453 Euro Ausbildungsvergütung. Im Jahr 2007 entschieden sich immerhin rund 13 100 Jugendliche für eine Ausbildung in der Baubranche. Im vergangenen Jahr waren es noch 11 900 Bewerber. "Das ist ein Minus von mehr als 9 Prozent. Damit verbaut sich der Bau die eigene Zukunft. Wenn vermeintlich weniger qualifizierte Jugendliche davon ausgehen müssen, dass ihre Bewerbungen sowieso gleich aussortiert werden, dann ist die Hemmschwelle für sie viel zu hoch," so die IG BAU.

Doch Hans Heinrich Driftmann, Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK, wünscht sich künftig die bundesweite Einführung von Kopfnoten auf den Schulzeugnissen, die da zum Beispiel wären: Hinweise auf Betragen, Fleiß und Ordnung. Mit solchen Hinweisen auf die "Sozialkompetenz" des Ausbildungsplatzbewerbers könne man es den Unternehmen erleichtern, auch Jugendlichen mit schlechteren Schulnoten eine Chance auf einen Ausbildungsplatz zu geben. Die IG BAU sieht das anders. Es sei falsch, bei den Bewerbern um einen Ausbildungsplatz zu sehr auf die Zeugnisnoten zu schielen. Auch Jugendliche mit Hauptschulabschluss oder Schulabbrecher sollten stärker als bisher die Gelegenheit bekommen, sich während der Ausbildungszeit zu entwickeln und im Bauhandwerk ihre Perspektive zu finden. Das Hotel- und Gastgewerbe gehört zusammen mit dem Lebensmittelhandwerk zu den vom Lehrlingsmangel besonders betroffenen Branchen. 2011 sind fast 26 Prozent der von dieser Branche angebotenen Ausbildungsplätze zum Restaurantfachmann/-fachfrau unbesetzt geblieben. Das sind mehr als in jedem anderen Ausbildungsberuf. Die Erklärung, warum bestimmte Ausbildungen wenig lukrativ sind, ist einfach: Azubis fehlen immer genau dort, wo die Ausbildungsbedingungen schlecht sind. Besonders anschaulich zeigt dies das Beispiel der Restaurantfachmann/-fachfrau: Dies ist einer der Berufe, in denen die Ausbildungsbedingungen oft als besonders schlecht berühmt-berüchtigt sind: Die Ausbildung zum Restaurantfachmann, zur Restaurantfachfrau belegt den Platz 1 bei der Ausbildungsabbrecherquote, fast jeder/jede zweite Auszubildende bricht die Ausbildung ab (47,6 %). Die Ausbildungsvergütung liegt weit unter dem Durchschnitt - fast nirgends verdienen Azubis weniger. Und in dieser Branche scheitern überdurchschnittlich viele in den Abschlussprüfungen ( 14,1 %).

Der blöde Spruch "Lehrjahre sind keine Herrenjahre" erklärt und entschuldigt die miesen Ausbildungsbedingungen nicht. Auch im Jahre 2012 verwechseln immer noch viele Ausbildungsbetriebe Ausbildung mit der Möglichkeit zu besonders krasser Ausbeutung und als Instrument zur Zurichtung künftiger williger und billiger Arbeitsklaven. Die Lage der arbeitenden Jugend, wie auch die der gesamten Arbeiterklasse in diesem unserem Lande ist systemisch mies. Daher braucht die arbeitende Jugend unsere solidarische Unterstützung in ihrem Kampf um die Einführung einer Ausbildungsabgabe für alle Unternehmen mit mehr als 10 Beschäftigten, die keine Ausbildungsplätze anbieten, die gesetzliche Ausbildungsverpflichtung für Großbetriebe mit einer Mindestquote von 10 % der Gesamtzahl der Belegschaft, so wie die gesicherte Übernahme in ein reguläres unbefristetes Arbeitsverhältnis nach dem Berufsabschluss. Dies durchzusetzen hat die IGM in dieser Tarifrunde gerade mal wieder vergeigt, obwohl es zu einem gleichrangigen Hauptziel der diesjährigen Tarifauseinandersetzung verkündigt worden war und zigtausendde junge Metaller massiv dafür warnstreikten: Die vereinbarte "grundsätzliche" Übernahme der Azubis nach erfolgreichem Abschluss der Berufsausbildung ist ein Bluff, denn die Kapitalisten haben nicht nur ein Hintertürchen, sondern gleich ein Scheunentor zur Ausflucht mit vereinbart. Denn "Ausnahmen" sind möglich und zwar immer dann, wenn die persönliche Eignung des Azubis zu wünschen lässt, oder im Betrieb "akute Beschäftigungsprobleme" herrschen, ist es Essig mit der Übernahme. Den betrieblichen "Bedarf" an Arbeitskräften aber stellt die Chefetage in eigener Machtvollkommenheit - ganz ohne betriebsrätliche Mitbestimmung selbst fest. Die Ausbildungsvergütung muss den Jugendlichen ein eigenständiges und unabhängiges Leben ermöglichen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 21 vom 25. Mai 2012, Seite 5
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2012