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FINANZEN/289: Bildung für die Konjunktur - Konjunktur für die Bildung (idw)


Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) - 11.01.2009

Bildung für die Konjunktur - Konjunktur für die Bildung

Ein Kommentar von Dieter Dohmen zum Konjunkturpaket II


"Wir hinterlassen den nachwachsenden Generationen einen Scherbenhaufen, verweigern einem Teil von ihnen aber den Besen, um diesen Scherbenhaufen zusammenzukehren."

So könnte man - sicherlich etwas zugespitzt - die derzeitige Situation zusammenfassen. In kürzester Zeit hat die Bundesregierung ein riesiges Maßnahmenpaket zusammengeschnürt, um der Finanz- und Wirtschaftskrise zu trotzen. Höhere Bildungsausgaben, die dringend notwendig sind, werden auf die lange Bank geschoben und drohen auszubleiben, wenn die jetzt diskutierte Schuldenobergrenze eingeführt werden sollte. Hat Bildung keine Konjunktur mehr in Deutschland?

In einer schier unglaublichen Geschwindigkeit hat die Bundesregierung ein Paket von fast 700 Milliarden Euro aufgelegt, um Banken und Unternehmen zu helfen und die Konjunktur anzukurbeln. Im ungünstigen Fall, wenn die Rettungsschirme tatsächlich fällig werden sollten, kann die Finanzkrise den derzeitigen Schuldenstand von knapp 1.600 Milliarden Euro um fast 700 Milliarden Euro erhöhen. Wahrscheinlich erscheint ferner, dass sich dieser Schuldenberg in den nächsten Jahren durch sinkende Steuereinnahmen und steigende Sozialausgaben aufgrund zunehmender Arbeitslosigkeit weiter erhöhen wird. Selbst wenn nun eine Schuldenobergrenze beschlossen werden sollte, gegen die grundsätzlich nichts einzuwenden ist, stellt sich die Frage, wie diese Beträge je zurückgezahlt werden sollen, wenn gleichzeitig jeder zwölfte Jugendliche das Schulsystem ohne Abschluss verlässt, jeder sechste keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen kann und viele junge Menschen keinen Ausbildungs- oder Studienplatz finden? Bleibt bei all dem noch Geld für die dringenden Reformen im Bildungssystem übrig?

Zurzeit belaufen sich die Schulden je Bundesbürger - einschließlich Kinder, Greise, Erwerbslose - auf fast 20.000 Euro, sie werden sich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich erhöhen, so viel ist ziemlich sicher. Absehbar ist, dass die Bevölkerung zukünftig schrumpft. Ferner lastet die Rückzahlung tatsächlich auf den Schultern der erwerbstätigen Bevölkerung; dies sind derzeit knapp 40 Millionen Menschen. Die Schuldenlast je Erwerbstätigen beträgt demnach derzeit rund 40.000 Euro - ohne Zinsen. Und nach aktuellen Prognosen wird mit der Alterung der Bevölkerung die Zahl der Erwerbstätigen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten deutlich sinken.

Die Gesamtwirtschaft steht und fällt aber mit den Menschen, ihren Qualifikationen und Kompetenzen. Die Zahl der Erwerbstätigen wird erheblich von der Arbeitslosigkeit und damit vom Bildungsniveau beeinflusst. Personen ohne Berufsausbildung haben ein deutlich überproportionales Arbeitslosigkeitsrisiko; ein fehlender Schulabschluss erhöht das Risiko noch einmal deutlich. Dies wird auch in Zeiten eines Fachkräftemangels gelten; die Unternehmen werden eher schrumpfen oder ins Ausland gehen, als dass sie junge Menschen ohne ausreichende Vorqualifikation einstellen werden. Derzeit verlassen bis zu 80.000 junge Menschen jährlich das Schulsystem ohne Abschluss. 20 Prozent der 15-Jährigen, das sind etwa 160.000 Personen, verfügen nicht über die grundlegenden Fähigkeiten, die sie zur Aufnahme einer Berufsausbildung benötigen.

Und was sind die Maßnahmen der Politik, um diesen Missstand zu beseitigen? Sie bekundet, dass sie den Anteil der Schulabbrecher von derzeit acht auf vier Prozent bis 2015 verringern möchte. Bisher gibt es aber keine inhaltlichen Konzepte, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Stattdessen wird diskutiert, ob man den Förderschulabschluss nicht einfach als "normalen" Schulabschluss anerkennen soll. Zwar werden diese Jugendlichen dadurch nicht ausbildungsfähig oder besser vermittelbar, aber es poliert die Statistik. Auch hat die Bundesregierung beim Bildungsgipfel vorgeschlagen, die Bildungs- und Forschungsausgaben bis 2015 auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Dies entspricht einem Anstieg um rund 30 Milliarden Euro im Jahr und ist grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung. Da sich Bund und Länder beim Bildungsgipfel aber weder über das Ziel als solches noch über die Verteilung der Finanzlasten verständigen konnten, haben sie eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die bis Ende 2009 über mögliche Wege befinden soll. Fazit: Dringend notwendige Bildungsinvestitionen werden auf die lange Bank geschoben, teilweise zweifelhafte Maßnahmen in Namen der Finanz- und Wirtschaftskrise werden im Eiltempo beschlossen! Angesichts der Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise für die öffentlichen Haushalte und der Diskussionen über eine Schuldenobergrenze ist auch zu befürchten, dass für die notwendigen Bildungsreformen kein Geld mehr da sein wird. Die nachwachsenden Generationen zahlen für das Versagen der Banker! Sie haben damit das eingangs formulierte Problem: Wir hinterlassen ihnen einen Scherbenhaufen, verweigern einem Teil von ihnen aber den Besen - d.h. echte Bildungschancen -, um diesen Scherbenhaufen zusammenzukehren.

Nun soll hier nicht bestritten werden, dass akuter Handlungsbedarf besteht. Auch sollen die im Konjunkturprogramm enthaltenen Investitionen in den baulichen Zustand von Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen nicht übersehen werden. So sinnvoll und notwendig diese grundsätzlich sind, sie führen nicht zu besseren Bildungsleistungen und mehr Schulabschlüssen. Wenn aber die nachfolgenden Generationen in die Lage versetzt werden sollen, den angehäuften Schuldenberg ihrer Vorfahren auch zu tilgen, dann müssen alle Kräfte mobilisiert werden, um junge Menschen zum Schulabschluss zu bringen und zur Berufsausbildung zu befähigen. Während andere Nationen ihre jungen Menschen immer höher qualifizieren, errichten wir immer neue Hürden und entlassen viel zu viele junge Menschen ohne Zukunft in das Erwerbsleben.

Wenn wir aber ohnehin aus konjunkturellen Gründen etwas tun müssen, warum nutzen wir dann nicht die Gelegenheit und investieren in die Zukunft, statt nur für Fehler der Vergangenheit zu bezahlen?

Im Klartext: Warum wird nicht der Ausbau des Ganztagsschulprogramms konsequent vorangetrieben? Der vollständige Ausbau aller Schulen zu gebundenen Ganztagsschulen würde rund 20 Milliarden Euro kosten, wie eine in Kürze erscheinende Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) ermittelt hat. Hierdurch könnten die Fördermöglichkeiten für bildungsbenachteiligte Kinder nachhaltig verbessert und ein Beitrag zur Verringerung der Zahl der Schulabbrecher geleistet werden.

Da mehr Ganztagsschulen auch zusätzliches Lehr- und sonstiges Personal benötigen, etwa für mehr sportliche, musikalische oder künstlerische Aktivitäten sowie Förderunterricht und Nachhilfe - gerade auch zugunsten benachteiligter Kinder -, wäre eine Qualifizierungsprogramm nicht nur für Lehr- und andere Fachkräfte sinnvoll. Für manche Tätigkeiten, wie die Essensausgabe oder die Pausenaufsicht, könnte man auch Personen mit geringeren Qualifikationen einstellen. Die erforderliche Qualifizierung könnte etwa aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit finanziert werden. Dies ist auf Dauer billiger als ein Arbeitloser, der die Volkswirtschaft durchschnittlich rund 18.000 Euro im Jahr kostet.

Für den Ausbau des Kita-Systems sollen bis 2013 insgesamt 12 Milliarden Euro verausgabt werden, rund ein Drittel davon für Investitionen. Warum werden diese Investitionen nicht vorgezogen? Auch dieses würde - wie die Straßenbaumaßnahmen - der Bauwirtschaft helfen und zugleich die Zukunftschancen nachwachsender Generationen verbessern. Im Übrigen wäre ein weitergehender Ausbau des frühkindlichen Bereichs erforderlich, um auch die Kinder aus bildungsfernen Familien zu erreichen, die bisher noch viel zu wenig im Blickfeld stehen. Sie sind aber die große Problemgruppe des deutschen Bildungssystems. Ausreichender Investitionsbedarf besteht also auch hier.

Im diesem Bereich könnten dann auch über einhunderttausend zusätzliche Erzieher/innen und Tagespflegekräfte Arbeit finden. Dies erfordert wiederum ein breit angelegtes Ausbildungs- und Qualifizierungsprogramm. Da auch hier nicht nur Personen mit fachschulischer oder hochschulischer Ausbildung benötigt werden, könnte man dadurch gleichzeitig zum Abbau von Arbeitslosigkeit - auch bei jungen Menschen - beitragen. Auffallend ist doch, dass ein erheblicher Teil von Personen mit Fachhochschulreife offenbar weder eine Berufsausbildung noch ein Studium aufnimmt. Einerseits gibt es damit bereits ein Potenzial an jungen Menschen mit einer guten Vorqualifikation. Andererseits ist überproportional von Arbeitslosigkeit bedroht, wer keine Berufsausbildung hat, wie eine Studie des IAB ergab.

Ein weiterer Punkt sind die Förderschulen: Die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen erfordert nach Einschätzung von Fachleuten die Abschaffung dieser Schulform und die Integration der bisherigen Förderschüler in die "normalen" Schulen. Die mit der Umrüstung von solchen Schulen verbundenen Umbaukosten dürften rund 2 Milliarden Euro kosten. Geht man davon aus, dass infolge der Integration die Klassen an den aufnehmenden Schulen kleiner werden sollten, sind wiederum Lehrkräfte und anderes Personal, Sozialarbeiter, Therapeuten etc. erforderlich. Auch dadurch würden also Arbeitschancen entstehen. Ähnliches gilt auch für die kaum noch aufzuhaltende Abschaffung der Hauptschulen, die schon aus demografischen Gründen keinen Bestand haben werden. Wenn diese mit den Realschulen zu Sekundar- oder Mittelschulen zusammengeführt werden, sind Umbaumaßnahmen ebenso erforderlich wie die Einstellung von Fachkräften mit unterschiedlichen Qualifikationen. Zudem müssen auch die Lehrer auf die heterogeneren Klassen vorbereitet werden.

Dies sind nur einige Beispiele, welche Investitionen sinnvoll in das Konjunkturprogramm II aufgenommen und wie Kinder und Jugendliche befähigt werden könnten, ihre eigene Zukunft zu meistern und den hinterlassenen Scherbenhaufen zusammenzukehren. Im Unterschied zu einigen der bisher geplanten Maßnahmen haben die hier vorgeschlagenen Maßnahmen eine Kurz- und eine Langfristwirkung und sind daher geeignet, Deutschlands Zukunftsfähigkeit nachhaltig zu verbessern. Schließlich droht trotz der vorübergehenden Eintrübung durch die Finanz- und Wirtschaftskrise in wenigen Jahren auch ein massiver Fachkräftemangel. Dies sollte nicht übersehen werden. Das Thema Bildung darf nicht schon wenige Monate nach dem medienwirksamen Ausrufen der "Bildungsrepublik Deutschland" und einer Bildungsreise der Bundeskanzlerin wieder von der Bildfläche verschwinden.


Der Autor:
Dr. Dieter Dohmen ist seit fünfzehn Jahren Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin. Seit rund zwei Jahrzehnten berät der Bildungs- und Sozialökonom Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft zu ökonomischen Fragen von Bildung, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Zentrale Themen des Volkswirts mit sozialwissenschaftlicher Prägung sind Konzepte für die Finanzierung von Bildung und Qualifizierung, Kosten-Nutzen- und Kosten-Wirksamkeits-Analysen zu Bildungsmaßnahmen auf allen Stufen des Bildungssystems, die Auswirkungen des demografischen Wandels auf Bildungs- und Sozialsysteme sowie die Voraussetzungen von Beschäftigung und Innovation.

Weitere Informationen unter:
http://www.fibs.eu

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution674


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS),
Birgitt A. Cleuvers, 11.01.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009