Ernst-Abbe-Hochschule Jena - 27.10.2017
Studentische Praktika: Vieles passt, aber nicht alles
Empirische Studie der Ernst-Abbe-Hochschule Jena
Pflichtpraktika sind mittlerweile ein zentraler Bestandteil der Curricula in vielen Hochschulstudiengängen. Durch die praktische Anwendung und Ergänzung theoretischer Studieninhalte sollen der Übergang in das Beschäftigungssystem erleichtert, Probleme des Wissenstransfers abgebaut und die Beschäftigungsbefähigung ("Employability") der Studierenden gefördert werden. Aktuellen Untersuchungen zufolge enthalten fast drei Viertel aller Studiengänge ein mehrmonatiges Praxismodul. Darüber hinaus absolviert etwa jeder vierte Hochschüler zusätzlich ein freiwilliges Praktikum während des Studiums. Sowohl die Studierenden, als auch die Unternehmen können von Praktika profitieren. Während die Hochschüler Praxiserfahrung sammeln und ein mögliches Berufsfeld bzw. einen potenziellen Arbeitgeber näher kennenlernen zu können, kommen die Unternehmen frühzeitig in Kontakt mit akademischen Nachwuchskräften, können Sie unter realen Arbeitsbedingungen erleben und testen und sie im positiven Fall für einen Eintritt ins Unternehmen gewinnen. In Zeiten des demografischen Wandels und des sich verschärfenden Fachkräftemangels in vielen Branchen stellen die Praxisphasen von Studierenden somit eine wichtige Rekrutierungsquelle dar. Praktika haben damit ein eindeutiges Win-Win-Potenzial für Studierende und Unternehmen.
Doch wie müssen Praktika gestaltet und durchgeführt werden, damit beide Parteien gleichermaßen einen Nutzen daraus ziehen können? Zwar wurden von verschiedenen Institutionen mehr oder weniger konkrete Leitfäden zur Durchführung von Praktika entwickelt und veröffentlicht, bspw. von der IHK Berlin, dem DGB und der IG Metall.
Aber wie konsequent richten sich die Unternehmen nach solchen Empfehlungen? Wie gut sind Praktika geplant und durchstrukturiert? Und wie zufrieden sind die Studierenden mit ihren Praxisaufenthalten? In Anbetracht der Tatsache, dass mit dem Angebot von Praktika für die Unternehmen in vielen Fällen ein erheblicher finanzieller, personeller und zeitlicher Aufwand einhergeht, stellen schlecht geplante und/oder halbherzig durchgeführte Praktika eine Verschwendung von knappen betrieblichen Ressourcen dar. Weder die Qualifizierungsziele für die Studierenden, noch die Rekrutierungsziele der Unternehmen werden dann erreicht. Aus bildungspolitischer Sicht sind suboptimale Praktika vertane Lernchancen und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ungenutzte Optionen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit über den Schlüsselfaktor "Humankapital". Damit drängt sich die Frage auf, welche Erfahrungen Studierende in ihren Praktika gemacht haben, wo sie Unzulänglichkeiten und Verbesserungsmöglichkeiten sehen.
Um die Qualität von Praktika aus Sicht der Studierenden, sowie mögliche Fehlerquellen und Optimierungspotenziale genauer zu analysieren, wurde von den beiden Forschern der Ernst-Abbe-Hochschule Jena - Sebastian Schirbe und Prof. Dr. Klaus Watzka - eine Studierendenbefragung durchgeführt. An der im Mai 2017 durchgeführten Online-Befragung beteiligten sich 168 Studierende und Alumni aus diversen Fachbereichen, insbesondere der Wirtschafts-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften. Die Zielgruppe hatte im Rahmen ihres Studiums mindestens ein Praktikum absolviert. Zum Großteil studieren oder studierten die Befragten an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena. 80% der Befragten hatten ihr Praktikum innerhalb der letzten vier Jahre absolviert.
Die gute Nachricht zuerst. In Gesamtschau werden die absolvierten Praktika überwiegend recht positiv bewertet. Die Studierenden bestätigten, dass sie einen großen Nutzen aus ihren Praxisphasen ziehen konnten. 80% der Befragten stuften ihr Praktikum sowohl für die fachliche, als auch für die persönliche Weiterentwicklung als "hilfreich" ein. Die persönlichen Ziele der Studierenden, wie z. B. "Sammlung von Praxiserfahrung und Kompetenzentwicklung", wurden in zwei Drittel der Fälle erfüllt. Insgesamt waren 79 % aller Befragten mit ihrem Praktikum "sehr zufrieden" bzw. "zufrieden", was in Globalbetrachtung aus Studierendensicht für eine hohe Qualität der durchgeführten Praktika spricht. Allerdings zeigten sich auch in jeder Phase des Praktikums (Einführung, Durchführung, Abschluss/Nachbetreuung) unübersehbare Defizite. Von einem insgesamt guten Basisniveau aus, gibt es in vielen Unternehmen also noch deutlich "Luft nach oben". Einige ausgewählte und besonders prägnante Ergebnisse der Studie sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt.
• Rund 80 % der Praktikumsbetriebe setzten bei der Einführung neuer Praktikanten umfangreiche Onboarding-Aktivitäten ein (z. B. Unternehmenspräsentation, umfangreiche Einweisung in betriebliche Regelungen, soziale Eingliederung in den Kollegenkreis).
• 81 % der Befragten wurde ein kompetenter Praktikumsbetreuer/Mentor zugewiesen.
• 71 % der Praktikanten erhielten einen gut ausgestatteten Arbeitsplatz.
• Lediglich 59 % der Befragten erhielten ein Einführungsgespräch, in dem die beidseitigen Erwartungen und Ziele zum Praktikum miteinander abgestimmt wurden.
• Ein detaillierter, schriftlicher Praktikumsplan wird, unabhängig von der Laufzeit des Praktikums, nur von rund jedem vierten Unternehmen erstellt.
• Rund drei Viertel aller Befragten erhielten eine sorgfältige fachliche Einweisung in ihr Aufgabengebiet.
• 89 % der Praktikanten hatten Freiräume bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben und bekamen auch Verantwortung übertragen.
• Bei 78 % der Befragten stand der Praktikantenbetreuer stets für Fragen zur Verfügung.
• 77 % der Befragten fühlten sich gut in das Team integriert und somit als gleichwertiges Mitglied anerkannt.
• Ein Drittel der Befragten erhielt kein bzw. kein regelmäßiges Feedback zu ihrer Arbeit.
• Ebenso stand bei einem Drittel der Befragten kein bzw. kein kompetenter Ansprechpartner für den notwendigen Erfahrungsaustausch zur Verfügung.
• 24 % der Praktikanten beklagten viel Aufgabenleerlauf und/oder langweilige Aufgaben. Bei weiteren 21 % war dies "teilweise" der Fall.
• 61 % der Befragten hatten nicht die Möglichkeit, an kompetenzfördernden Seminaren teilzunehmen. Der Zugang zu betrieblichen Bildungsmaßnahmen steht Praktikanten also i.d.R. nicht offen.
• 74 % der Unternehmen stellten den Praktikanten ein aussagekräftiges (qualifiziertes) Arbeitszeugnis aus.
• 60 % der Befragten bekamen im Anschluss an das Praktikum eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit angeboten (z. B. Anfertigung einer Abschlussarbeit, Werksstudententätigkeit)
• Nur etwas mehr als die Hälfte der Praktikanten (57 %) erhielten am Ende des Praktikums ein ausführliches Abschlussgespräch samt Leistungsbeurteilung.
• Mehrheitlich wurde im Anschluss an das Praktikum der Kontakt seitens der Unternehmen nicht aufrechterhalten. So gaben 50 % der Praktikanten an, dass kein persönlicher Kontakt (z.B. via Telefon, E-Mail usw.) gehalten wurde. Auch unpersönliche Kontaktwege (z.B. Newsletter) wurden bei 71% nicht eingesetzt.
• Bezahlung: Die Zahlung bzw. die Höhe einer Praktikumsvergütung hat keinen Einfluss auf die Zufriedenheit der Praktikanten mit ihrem Praktikum (in der Untersuchung erhielten immerhin 36 % der Befragten keinerlei Vergütung!),
• Fachgebiete: Wirtschaftswissenschaftler sind mit ihrem Praktikum in deutlich geringeren Umfang "sehr zufrieden" bzw. "zufrieden" als Studierende der Ingenieur- oder Sozialwissenschaften. Auch bei der Einschätzung, ob das Praktikum "hilfreich für die fachliche Entwicklung" war, zeigt sich dieses Gefälle. Ungeklärt muss dabei bleiben, ob Wirtschaftsstudenten kritischer sind oder die Praktika in diesem Bereich tatsächlich eine schlechtere Qualität aufweisen,
• Praktikumsdauer: Bei einer Praxisphase von vier bis fünf Monaten empfanden die Befragten den größten Nutzen hinsichtlich der persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung.
1. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere die Gesprächskontakte zwischen Unternehmen und Praktikanten verbesserungswürdig sind. Wichtige Einführungs-, Feedback- und Abschlussgespräche werden oftmals nicht bzw. unzureichend geführt. Die Folge ist, dass die betroffenen Praktikanten keine/wenig Unterstützung bei der Reflexion ihrer Erfahrungen erhalten und systematische, konstruktive Hinweise zur persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung oft ausbleiben. Da studentische Praktika vornehmlich Lernzwecken dienen, sind gerade diese Punkte entscheidend für den Erfolg der Praxisphasen. Deshalb sollten während eines Praktikums folgende Gespräche mit dem zuständigen Betreuer obligatorisch sein und systematisch und regelmäßig geführt werden:
• Hier sollten die Ziele und Erwartungen miteinander abgestimmt
werden, um mögliche Zielkonflikte und/oder überzogene Erwartungshaltungen
frühzeitig zu erkennen und auszuräumen.
• Bereits vorhandene (und fehlende) Erfahrungen, Qualifikationen und
spezielle Interessen des Praktikanten sollten zwecks Feinsteuerung des
Praktikums detailliert besprochen werden.
• Sie dienen einerseits der Rückmeldung der Angemessenheit des
Arbeitsverhaltens und eventuell notwendiger Korrekturen und andererseits
von Stärken und Schwächen. Letzteres ist auch für die spätere Wahl des
Arbeitsgebiets von hoher Bedeutung (Orientierungsfunktion!).
• Sie sollten erstmalig kurzfristig nach der Übernahme eigener
Aufgaben durch den Praktikanten stattfinden, danach regelmäßig in
Abständen von sechs bis acht Wochen.
• Der zentrale Themenschwerpunkt liegt auf der gemeinsamen Reflexion
über die Erfahrungen im Praktikum. Vielfach macht erst eine solch
strukturierte Aufarbeitung die Lernerfahrung zu einem dauerhaften
Lernerfolg.
• Wichtiger Bestandteil ist auch die abschließende ehrliche
Beurteilung des Praktikanten, um eine zutreffende Selbsteinschätzung zu
unterstützen und künftige Entwicklungsfelder zu definieren.
• In einem Nebenziel dienen sie dem Unternehmen auch der
Erfolgskontrolle und liefern Ansatzpunkte für künftige Verbesserungen bei
Praktikumsstruktur und -ablauf (Controllingfunktion).
2. Dass fast die Hälfte der Praktikanten über Aufgabenleerlauf
und/oder langweilige Aufgaben klagte, ist ein Zeichen dafür, dass es bei
der Aufgabenplanung/-gestaltung teilweise erhebliche Defizite gibt.
Insbesondere von den Wirtschaftswissenschaftlern wurde dies beanstandet.
Ein Praktikum sollte die Studierenden fordern und möglichst frei von
Leerlaufzeiten sein. Aus diesem Grund ist es unabdingbar, dass die
Aufgabenfelder und Tätigkeitsinhalte der Praktikantenstellen samt
zeitlichen Strukturen im Vorfeld geplant werden. Besonderes Augenmerk ist
auf eine angemessene zeitliche Auslastung und einen angemessenen
Schwierigkeitsgrad der Tätigkeiten zu legen. Die Erstellung eines
schriftlichen (Basis)Praktikumsplans seitens des Unternehmens muss
obligatorisch sein. Dieser kann dann im Gespräch mit dem Praktikanten
feinjustiert werden und an dessen persönliche Vorerfahrungen, besondere
Interessen und Leistungsfähigkeit angepasst werden. Praktikumspläne geben
dem Praktikum Struktur, verhindern Leerlauf und steigern so die Motivation
und Aufgabenakzeptanz bei den Studierenden. Auf dieses Instrument wird in
den Unternehmen bisher nur unzureichend zurückgegriffen.
3. In der Fußballersprache ist zu monieren, dass die Unternehmen mit
der Bereitstellung von interessanten Praktika zwar oft ein gutes Dribbling
über den gesamten Platz hinlegen, aber dann vergessen, den Ball ins Tor zu
schießen. Unter Rekrutierungsaspekten ist es kaum verständlich, dass die
Kontaktpflege durch die Unternehmen im Anschluss an die Praktika oft
unzureichend ist. Gerade in Zeiten des schon existierenden oder sich
abzeichnenden Nachwuchskräftemangels muss die Möglichkeit einer
frühzeitigen Bindung der Praktikanten durch fortgesetzte Kontakte nach dem
Praktikum konsequent genutzt werden. Stattdessen dominiert offensichtlich
die Haltung "aus den Augen aus dem Sinn". Bei auftretenden Vakanzen wird
dann zeit- und kostenaufwendig rekrutiert, obwohl man eigentlich bei einer
potenziellen künftigen Arbeitskraft über das Praktikum schon in einer
Pole-Position war. Zumindest wenig aufwendige Maßnahmen wie die Zustellung
eines Newsletters, die Zusendung der Werkszeitschrift oder auch die
Einladung zu Betriebsfesten sollten als Bindungsmaßnahmen realisiert
werden. Für besonders interessante Praktikanten könnte man regelmäßige
persönliche Kontakte, Stammtischeinladungen, fallweisen Einbezug in
betriebliche Fortbildungsveranstaltungen oder Projektarbeiten etc. prüfen.
Was begeistert, bindet auch.
Sebastian Schirbe, Prof. Dr. Klaus Watzka
Weitere Informationen unter:
http://www.eah-jena.de
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution339
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Sigrid Neef, 27.10.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2017
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