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INTERNATIONAL/026: Pakistan - TV-Sendung will mehr Interesse an Bildung wecken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2013

Pakistan: Strom und Wasser für die Schulen - TV-Sendung will mehr Interesse an Bildung wecken

von Zofeen Ebrahim


Bild: © KT/IPS

In seiner TV-Sendung wirbt der pakistanische Sänger Shehzad Roy für Bildung
Bild: © KT/IPS

Karachi, 2. April (IPS) - Shehzad Roy, ein beliebter Sänger in Pakistan, steigt regelmäßig auf seine Harley Davidson, um den 176 Millionen Landsleuten die Vor- und Nachteile des pakistanischen Bildungssystems aufzuzeigen. Im Rahmen seiner eigenen Sendung 'Chal Parha' (Komm, lehre) wird er dabei gefilmt, wie er kleine Dörfer in Bergregionen besucht und sich vor Ort ein Bild macht.

Mit dem 23-teiligen Programm will der private Kanal 'Geo' an jedem Samstag- und Sonntagabend mehr öffentliches Interesse an Bildung wecken. Auch die Schwachstellen werden dabei begutachtet: nationale Lehrpläne mit Eselsohren, überholte Lehrbücher und heruntergekommene Schulgebäude, in denen Wasser, Toiletten und Strom fehlen.

In einer ironischen Art, die bereits zu seinem Markenzeichen geworden ist, gibt Roy der Regierung am Ende jeder Sendung Hausaufgaben auf, die das Bildungssystem verbessern sollen. Er zeigt schöne Schulgebäude ohne Lehrer ebenso wie Schulen mit nur drei Räumen, in denen ein Pädagoge mehrere Klassen unterrichtet. In einigen Sendungen waren Kinder zu sehen, die in Zelten lernen, seit ihre Schulen bei dem Erdbeben 2005 zerstört worden sind. In offiziellen Kreisen heißt es, das für den Wiederaufbau vorgesehene Geld sei zweckentfremdet worden.


Klassenzimmer werden als Viehställe genutzt

Schüler in ländlichen Regionen sind daran gewöhnt, unter Bäumen zu lernen. Die eigentlichen Klassenzimmer werden von den Dorfältesten oft zu Viehställen oder Futterkammern umgewidmet. Auch in den Städten sieht es nicht viel besser aus. Kinder müssen häufig Bäche mit Abwässern überqueren und sich auf dem Schulweg die Nase zuhalten, um den fauligen Gestank nicht riechen zu müssen. Andere sitzen dicht gedrängt in Räumen, in denen es keine Ventilatoren gibt.

Roys Sendung hatte rasch Erfolg, vielleicht weil "ein Bild mehr sagt als Worte, vor allem wenn es um wahre Geschichten geht", sagt Baela Raza Jamil, die Leiterin von 'Idare-e-Taleem-o-Agehi' (Zentrum für Bildung und Bewusstsein) in Islamabad. "Ich habe meinen Mitarbeitern gesagt, dass sie das Programm unbedingt anschauen sollen."

Im April 2010 wurde in Pakistan Bildung zu einem Grundrecht für alle Menschen bis 16 Jahren erklärt, indem ein entsprechender Artikel in die Verfassung aufgenommen wurde. Roy weist aber darauf hin, dass fast sieben Millionen Kinder zwischen fünf und neun Jahren nicht zur Schule gehen. Und viele derjenigen, die in dem Alter den Unterricht besuchen, brechen nach ein paar Jahren ab.

Beobachter sehen die Wurzeln des Problems bereits in den Anfangsjahren des Staates Pakistan. Laut Haris Gazdar vom Kollektiv für Sozialforschung in Karachi läuft die dominierende Strömung des pakistanischen Nationalismus auf eine Spaltung des Landes hinaus. Ein gangbares Modell für den Aufbau einer Nation sei nicht entworfen worden. Deshalb habe die Bildung, "die in fast allen anderen Ländern von der nationalistischen Elite als Vehikel für die Nationenbildung gesehen wird, für die gespaltenen Eliten in Pakistan keinen realen Wert".

Viele pakistanische Familien investierten zwar nach Kräften in die Ausbildung ihrer Kinder, sagt er. "Doch nirgendwo auf der Welt ist die Schulbildung für alle allein durch privates Interesse geschaffen worden. In Pakistan gibt es kein kollektives Interesse an Bildung, weil keine kollektive Vereinbarung über ein kulturelles Modell für Nationenbildung existiert."

Jamil erklärt, dass weniger als zehn Prozent der pakistanischen Kinder Zugang zu einer qualitativ guten Erziehung im Vorschulalter hätten. Die Expertin, die den derzeitigen Jahresbericht zur Bildung (ASER) verantwortet, kann ihre Aussagen mit deprimierenden Zahlen belegen. "70 Prozent der staatlichen Grundschulen haben nur ein oder zwei Räume für fünf Klassen", sagt sie. Mehr als 40 Prozent der Schulen verfügten über keine Toiletten, in 66 Prozent fehle Elektrizität und in 37 Prozent gebe es kein Trinkwasser. Wie Jamil weiter kritisiert, stehen Vorschulklassen selten eigene Lehrer oder Assistenten zur Verfügung, obwohl dies im nationalen Lehrplan vorgeschrieben sei.


Hohe Zahl von Schulabbrechern

Insgesamt sind den Statistiken zufolge 86 Prozent aller Kinder eingeschult. 33 Prozent von ihnen verlassen die Schule jedoch ohne Abschluss. Nur 18 Prozent derjenigen, die die gesamte Grundschulzeit hinter sich bringen, haben das nötige Rüstzeug für eine weiterführende Schule.

Lediglich 30 Prozent der Schüler, die es bis zur zehnten Klasse schaffen, haben schließlich den Abschluss an der weiterführenden Schule in der Tasche. Und nur drei Prozent von ihnen besuchen dann eine Universität. Der Anteil der Pakistaner, die lesen und schreiben können, liegt mit 58 Prozent deutlich unter dem Millenniumsentwicklungsziel der Vereinten Nationen von 88 Prozent.

Für Roy ist die Fernsehsendung bisher eine "interessante und zugleich schmerzhafte Erfahrung" gewesen. Er hat zahlreiche Schüler interviewt und Diskussionen mit Eltern, Lehrern, Regierungsbeamten, Geistlichen und Psychologen an mehr als 200 Schulen geführt.

Der bekannte Friedensaktivist A. H. Nayyar sieht die Sendungen als notwendigen Schritt zur Erreichung der UN-Entwicklungsziele im Bereich Bildung. Die Regierung ergreife keine angemessenen Maßnahmen und stelle nicht das nötige Geld zur Verfügung. "In der nationalen Bildungsstrategie von 2008/09 wurden mehr finanzielle Mittel für Bildung angekündigt. Diese Zusage ist aber nicht eingehalten worden", kritisiert er. Offiziellen Daten zufolge sind nur zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts des südasiatischen Landes für Bildung vorgesehen.

Chal Parha klärt die Zuschauer auch darüber auf, dass manche Kinder nicht zur Schule gehen können, weil die Familien arm sind und sie früh arbeiten oder heiraten müssen. Auch die verbreitete Prügelstrafe ist abschreckend. Roy berichtete kürzlich über ein achtjähriges Mädchen, das von seinem Lehrer mit einem Stift beworfen worden war. Der Stift traf das Auge und verursachte am Ende die Ablösung der Netzhaut. Der Lehrer rechtfertigte sich damit, dass das Kind nicht aufgepasst habe. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.awaztoday.com/talkshows/212/1/1/Chal-Parha.aspx
http://www.un.org/millenniumgoals/education.shtml
http://www.aserpakistan.org/
http://www.ipsnews.net/2013/03/motorcycle-mission-teaches-some-lessons/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2013