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INTERNATIONAL/036: Somalia - Radikale Form des Islams an den Schulen gelehrt, Warnung vor Folgen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Oktober 2013

Somalia: Radikale Form des Islams an den Schulen gelehrt - Experten warnen vor den Folgen

von Ahmed Osman


Bild: © Ahmed Osman/IPS

Islamunterricht in einer Schule in Somalia
Bild: © Ahmed Osman/IPS

Mogadischu, 16. Oktober (IPS) - Mukhatar Jama unterrichtet seit etwa zehn Jahren an einer weiterführenden Schule in der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Religion steht in allen Schulen des ostafrikanischen Landes auf dem Lehrplan. Die meisten Eltern haben Jama zufolge keine Ahnung, was ihren Kindern im Unterricht vermittelt wird: eine radikale Form des Islams.

"Auf dem Lehrplan für den Islamunterricht steht der reine Wahhabismus, der aus Saudi-Arabien exportiert wurde", sagt der Lehrer. "Den Kindern wird erklärt, dass alle Nicht-Wahhabiten, auch wenn es sich um die eigenen Eltern handelt, Ungläubige sind und dass es erlaubt ist, Nicht- Muslime zu töten."

Zur genauen Zahl der Schulen in Somalia liegen keine konkreten Angaben vor. Bekannt ist jedoch, dass die meisten einen Religionsunterricht anbieten, der den Vorgaben aus Saudi-Arabien folgt. Der Wahhabismus lehnt den moderaten Sufismus ab, dem eher die älteren Generationen von Somaliern folgen.

Immer mehr Jugendliche in dem kriegszerrissenen Land entwickeln ein radikales Gedankengut, das auch über die Grenzen Somalias hinaus dringt. Damit wird das ohnehin fragile Gleichgewicht in der Region weiter gefährdet.


Radikaler Islam findet in Ostafrika zunehmend Anhänger

Der Islamismus habe nicht nur in Somalia und dem Nachbarstaat Kenia, sondern auch in den umliegenden Ländern Wurzeln geschlagen, warnt der Analyst Omar Yusuf aus Mogadischu. "Die Regierungen in der Region sollten den Anschlag auf die Westgate Mall in Nairobi als Warnung verstehen und gegen die zunehmende Radikalisierung vorgehen. Als logischen nächsten Schritt müssen sie der todbringenden Militanz der Jugend entgegenwirken."

Bei dem Terroranschlag auf das Einkaufszentrum in der kenianischen Hauptstadt am 21. September, zu dem sich die islamistische Gruppierung 'Al-Shabaab' bekannte, wurden mehr als 70 Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt.

Die Gruppe, die mit dem islamistischen Terrornetzwerk Al Qaeda verbunden ist, hat wiederholt mit Angriffen in Kenia gedroht, seit die Truppen des Landes 2011 in Somalia einmarschiert waren und die radikalen Kämpfer aus strategisch wichtigen Zonen im Süden, einschließlich der Hafenstadt Kismayo, vertrieben hatten.

Al-Shabaab, die ebenfalls den fundamentalistischen wahhabitischen Lehren folgt, kämpft für die Errichtung eines islamischen Staates, der auch andere Länder Ostafrikas umfassen soll. Yusuf führt die zunehmende Akzeptanz der Ideologie darauf zurück, dass ihr die Schulen in Somalia den Boden bereiten. "Wenn die Jugendlichen die Schule abgeschlossen haben, müssen sie nur noch militärisch ausgebildet werden. Dann hat man gleich einen qualifizierten Al-Shabaab-Kämpfer."

Lehrer und Eltern scheinen geteilter Meinung über die Lehrinhalte zu sein. Einige akzeptieren die radikalen Lehren als Teil der Religionserziehung, während andere eine Indoktrinierung ihrer Kinder befürchten. "Mir ist schon aufgefallen, dass mein Sohn durch extremistische Ansichten seiner Lehrer beeinflusst wurde. Er hat mehrmals die Schule gewechselt, doch alle Einrichtungen in Mogadischu verwenden die gleichen wahhabitischen Bücher, die aus Saudi-Arabien kommen. Das ganze Land wird im Handumdrehen zum Wahhabismus konvertieren", warnt ein Vater, der aus Sicherheitsgründen seinen Namen nicht nennen will.

Omar Kulmiye, ein anderer Vater, hat bei seinen Kindern keine Radikalisierung festgestellt. "Ich weiß nicht viel über Religion, aber da die Kinder den Islam studieren, seit sie vor fünf Jahren in die Schule kamen und ich keine Veränderung bei ihnen festgestellt habe, denke ich, dass das so in Ordnung ist", meint er.

Zakia Hussen vom 'Heritage Institute for Policy Studies' (HIPS) in Mogadischu führt die Gewaltbereitschaft vieler junger Somalier auf verschiedene Ursachen zurück. Mangelnde politische Partizipation spiele ebenso eine Rolle wie Arbeitslosigkeit und fehlende Bildungsperspektiven.


Extremisten fangen Jugendliche auf

"Militante Gruppen treten als 'zweite Familie' auf und vermitteln ein Zugehörigkeitsgefühl. Das macht sie für viele junge Leute so attraktiv", erläutert Hussen. "Junge Rekruten erhalten außerdem einen bezahlten Job und eine Ehefrau. Das wäre für sie ansonsten in der somalischen Gesellschaft kaum erreichbar."

Die Arbeitslosenrate liegt in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen bei 67 Prozent. Wie aus dem Bericht über menschliche Entwicklung in Somalia 2012 des UN-Entwicklungsprogramms UNDP hervorgeht, sind 70 Prozent der rund 10,2 Millionen Somalier unter 30.

Die somalische Regierung versucht derzeit jedoch mit der Unterstützung des Weltkinderhilfswerks UNICEF und internationalen Partnern einen ehrgeizigen Plan umzusetzen, der die Einschulung von einer Million Kindern vorsieht. Im Rahmen der 'Go 2 School'-Initiative sind auch als Maßnahme gegen die weitere Ausbreitung des Extremismus Änderungen am Lehrplan vorgesehen.

Laut UNICEF ist die Rate der Schulanmeldungen in Somalia so niedrig wie kaum sonst auf der Welt. Nur etwa 40 Prozent aller Kinder besuchen demnach den Unterricht. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.undp.org/content/undp/en/home/librarypage/hdr/Somalia-human-development-report-2012/
http://www.unicef.org/somalia/
http://www.ipsnews.net/2013/10/somalia-takes-teaching-to-the-extreme/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2013